„What a time to be alive“ – Was für eine Zeit, um live dabei zu sein. In dieser Woche gab es gleich zwei wichtige Wahlen, bei der einen benötigte man zwei Wahlgänge, um erfolgreich zu sein, bei der anderen vier. Während im Vatikan der Schornstein geraucht hat, dürften es am Dienstag im Berliner Reichstag die Köpfe gewesen sein, denen Qualm entstiegen ist.
Die Zeit der Sedisvakanz, der Zeit des freien Stuhls, ist nun in doppelter Hinsicht vorbei. Die Welt freut sich über die Wahl von Kardinal Robert Francis Prevost zum neuen 267. Papst, Leo XIV. Nicht ganz so viele Menschen weltweit, aber auch einige, freue sich zudem über die Wahl von Friedrich Merz zum zehnten Bundeskanzler.
In Zeiten, in denen die Gewissheit schwindet, muss man anerkennen: Man muss sich mit all dem, was möglich ist, befassen, sei es auch noch so unwahrscheinlich. Die Zeit der unerschütterlichen Sicherheiten ist passé, nicht erst seitdem in den USA demokratisch gewählte Autokraten über das Ende der Meinungsfreiheit in Europa fabulieren.
„Fiasko“, „Wahldrama“, „Kanzler zweiter Wahl“ – die Journaille hat mit großen Begriffen nicht gegeizt. Mitnichten kann Friedrich Merz diesen ersten Wahlgang als Erfolg verbuchen. Aber: Mir wäre neu, dass irgendwo geschrieben steht, das Wahlen, stets erfolgreich sein müssen – auch nicht die zum Bundeskanzler.
Wer sich zu einer Wahl stellt, muss einkalkulieren, dass er oder sie diese verlieren kann. Egal, wie gut vorher Mehrheiten ausgehandelt wurden. Friedrich Merz hat auf seinem Weg zum Bundeskanzler zu viel Porzellan zerschlagen, als das er realistische Hoffnungen hätte hegen können, dafür nicht irgendwann die Quittung zu kassieren. Der verlorene erste Wahlgang war eine Art erzieherische Maßnahme, die sich einige Abgeordnete aus beiden Parteien angemaßt haben. Diese Endlichkeitserfahrung wird Friedrich Merz aber mehr nützen als schaden. Er ist gewarnt. Gut aber, dass er nun gewählt ist. Nun kann die Arbeit losgehen. Ich setze Vertrauen in ihn – ganz einfach, weil man diese Wahl respektieren muss.
Und dank der Mithilfe derer, die Friedrich Merz Anfang des Jahres noch als „Grüne und linke Spinner“ bezeichnet hat, hat es nun ja auch geklappt. Denn eine Abweichung von der Geschäftsordnung des Bundestags und eine raschere Wahl war nur möglich, weil Grüne und Die Linke zugestimmt haben. Sachen gibt’s!
Vielleicht sollte Friedrich Merz sich folgenden Satz vom französischen Publizisten François Mauriac vergegenwärtigen: „Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, dass ich zufrieden bin, weil es gleich zwei Deutschland gibt.“ Einige wollten Friedrich Merz aus Sympathie wohl gleich mehrfach wählen.
Stolz hat es mich ohne Frage gemacht, dass der Oeffentliche Anzeiger am 8. Mai im Bundestag erwähnt wurde. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zitierte in ihrer Rede zum 80. Jahrestag des Kriegsendes eine Passage aus der starken Zeitzeugen-Serie, die derzeit läuft. Der „Oeffentliche“ goes Berlin – klasse!
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