An jenem Tag fährt der Hargesheimer Michael Schwenk (39) gegen 16.30 Uhr mit seiner hochschwangeren Frau und dem kleinen Sohn die Alzeyer Straße in Richtung Innenstadt entlang. Der Kreuznacher Heinz Zingen (73) sitzt derweil mit einem Bekannten im Café Lohner und trinkt Kaffee. Und Harun Pazarlilar (37), ebenfalls aus Kreuznach, befindet sich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit und fährt die Alzeyer Straße in Richtung Hackenheim entlang.
Die drei Männer kennen sich nicht, doch nun passiert etwas, das sie zusammenführt. Als Michael Schwenk aus dem Auto schaut sieht er, wie sich im Gebüsch neben der Straße etwas bewegt. „Ich habe gesehen, dass jemand auf einer Frau saß und extrem auf sie eingeprügelt hat, wie ein Gorilla“. Schwenk ist noch heute entsetzt, wenn er daran denkt: Er habe schon ein paar Schlägereien gesehen, aber noch keine, die derartig brutal war.
Helfer versuchen, Täter zu stoppen
Schwenk parkt sein Auto an der Tankstelle, seine Frau wählt den Notruf und bleibt bei ihrem Kind im Auto. Schwenk rennt zum Täter, zusammen mit einer älteren Dame und Heinz Zingen, der durch das Geschrei der Helferin aufmerksam wurde, zieht er den Täter vom Opfer weg. Dieses habe stark geblutet und sei voller Panik weiter ins Gebüsch gelaufen.
Etwa zu diesem Zeitpunkt betritt dann auch Harun Pazarlilar die chaotische Szene. Er hatte während der Fahrt nach Hause die Autofenster geöffnet und hörte, wie die ältere Dame den Täter anschrie: „Nein, hören Sie auf, bleiben Sie hier, bis die Polizei kommt.“ „Da wurde ich aufmerksam“, sagt Pazarlilar. Er hält mitten auf der Straße an, steigt aus dem Auto und läuft zu den beiden. Er fordert den Täter auf, stehen zu bleiben und hält ihn am Arm fest. „Ich dachte, es geht darum, dass der Mann der Dame die Handtasche geklaut hat“, sagt er. Doch plötzlich versteht er, dass die Lage weitaus dramatischer ist: „In dem Moment ist das Opfer aus dem Gebüsch gekommen. Sie war voller Blut und hatte eine tiefe Schnittwunde am Hals“, erinnert er sich. Die Frau steht offensichtlich unter Schock und lässt sich nicht aufhalten. Sie flieht über den Rewe-Parkplatz. Im Tumult lassen die Helfer den Täter los, der die Verfolgung wieder aufnimmt. Pazarlilar, der zwischenzeitlich wieder ins Auto gestiegen ist, fährt dem Täter hinterher, hupt laut, steigt wieder aus, rennt weiter hinterher. Dem Angreifer gelingt es fast, die Frau wieder zu schnappen. Doch zwei Zivilpolizisten sind schneller und überwältigen den Mann. Sie waren nur zufällig vor Ort. Da haben wir wirklich Glück gehabt, dass die da waren“, sagt Schwenk.
Ein Messer hat während des Durcheinanders keiner der drei Helfer gesehen. Es wurde erst später im Gebüsch gefunden – ein Küchenmesser mit einer 6,5 Zentimeter langen Klinge. „Im Nachhinein denkt man ,Mein Gott, was da alles hätte passieren können'“, sagt Heinz Zingen.
Schlimmeres Leid verhindert
Die Frau wurde im Krankenhaus behandelt. Zunächst hieß es, sie sei schwer verletzt. Zum Glück stellte sich dann aber heraus, dass ihr Zustand nicht lebensbedrohlich waren, nach einigen Tagen wurde sie wieder entlassen. „Als ich gehört habe, es geht ihr gut, das war für mich das Schönste, was passieren konnte“, freut sich Harun Pazarlilar. Die mutigen Helfer haben höchstwahrscheinlich Schlimmeres verhindert. Schade finden es die drei Herren, dass die ältere Dame, die maßgeblich daran beteiligt war, den Täter zu bändigen, nicht geehrt werden möchte. Ihr gebühre großer Respekt, finden alle drei. Denn Zivilcourage ist nicht selbstverständlich: „Viele standen da einfach und haben zugeschaut“, sagt Schwenk. „Ich würde immer wieder gerne helfen“, sagt Pazarlilar.
Er und die beiden anderen haben den Vorfall gut verarbeitet. Aber vergessen werden sie ihn nie. „Ich fahre diese Strecke seit 15 Jahren jeden Morgen und jeden Abend“, sagt Pazarlilar. „Immer wenn ich jetzt die Alzeyer Straße entlangfahren, drehe ich den Kopf und muss daran denken, was an dem Tag passiert ist.“
Der Prozess gegen den Angreifer läuft derzeit. Am heutigen Donnerstag sagen die Helfer am Landgericht Bad Kreuznach gegen den Mann aus.