Der Angriff vom 2. Januar 1945
Schreckenstage: Als Bomben auf Bad Kreuznach fielen
Das Haus Schultheiss im Brückes 34 wurde zerstört.
Sammlung Steffen Kaul

In der Zeit von Weihnachten 1944 bis zum 2. Januar 1945 fielen Bomben auf Bad Kreuznach. Die Bad Kreuznacher Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann hat dazu ein handschriftliches Manuskript des Zeitzeugen Emil Weirich ausgewertet

Die Luftangriffe von Weihnachten 1944 und vom 2. Januar 1945 führten zu verheerenden Bombeschäden in der Stadt. Viele Kreuznacher starben.
Otto Schweighöfer

Bad Kreuznach war „lange von schlimmen Angriffen aus der Luft verschont geblieben“ schreibt Emil Weirich (1869–1963) in seiner Chronik „Von Weihnachten 1944 bis Ostern 1945“. Nur vereinzelt waren in den Jahren und Monaten vor der sechsten Kriegsweihnacht 1944 Bomben auf die Stadt gefallen.

Mit Beginn der Ardennenoffensive der deutschen Wehrmacht änderte sich die luftstrategische Situation. Statt der weiteren Bombardierung strategisch wichtiger Ziele im Innern des Reiches stand die Abriegelung des Schlachtfeldes durch die alliierten Luftstreitkräfte hinter den Angriffsarmeen aus der Luft - die sogenannte „Interdiction“ im Vordergrund. Die notwendige Zerschlagung von Verkehrsanlagen traf damit auch Bad Kreuznach und Bad Münster am Stein.

140 Opfer an Weihnachten 1944

An Heiligabend fielen mittags Bomben auf die Stadt, die starke Verwüstungen im Bereich Ecke Mannheimer Straße – Salinenstraße bewirkten. Tags darauf, am ersten Weihnachtstag, folgte ein schwerer Luftangriff, diesmal mit verheerenden Auswirkungen. Weirich bemerkt: „Schwere Bombenschäden in Mannheimerstr. u. Ecke Baumgartenstr. „Rhein.“ Bechtold, Evangel. Waisenhaus, Metzger Keller (vollständig zerstört u. ausgebrannt) u. viele, viele andere. (Ich kann u. werde sie nie alle anführen)“. Tragisch, so bemerkt der Volksschullehrer weiter, sei der Tod „vieler junger Leute vom Arbeitsdienst, die dort (im Luftschutzraum vom Rheinischen Hof-Bechtold) Schutz gesucht hatten“.

Wer war Emil Weirich?

Emil Jacob ist der Großvater von Renate Weirich, die von 1991 bis 1999 Bad Kreuznacher Kulturdezernentin war. Er wurde in Neuwied geboren und kam 1888 als junger Lehrer nach Kreuznach. Er erlebte drei Kriege, den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 und den Zweiten Weltkrieg 1939 bis 1945. Renate Weirichs Vater war Dr. Heinrich Karl Emil Weirich (1899–1965), ein überzeugter Pazifist. Ab November 1931 war er Studienrat an der Städtischen Oberrealschule in Oberhausen. Als überzeugter Sozialdemokrat geriert er schnell in Konflikt mit der nationalsozialistischen Ideologie. Shon kurz nach der Machtergreifung wurde er am 1. April 1933 beurlaubt, einige Monate später aus dem Schuldienst entlassen und erhielt Berufsverbot. Weirich kehrte in seine Heimatstadt Bad Kreuznach zurück, wo er nach dem Krieg für die SPD dem Stadtrat angehörte. In Oberhausen erinnert seit März 2023 ein Stolperstein an den Kreuznacher Pädagogen. hg

Dem verheerenden Großangriff an Weihnachten 1944, dem 140 Menschen zum Opfer fielen, folgten in den Tagen darauf mehrere Vollalarme, die die Bevölkerung vor Luftangriffen warnten. Sirenen, die im Stadtgebiet verteilt auf Gebäuden angebracht waren, alarmierten die Bevölkerung mit definierten Signalen: Voralarm, Vollalarm, Vorentwarnung und Vollentwarnung. Zu ihrem Schutz standen neben den privaten Luftschutzräumen (LR), ausgewiesene und gekennzeichnete Luftschutzräume oder Luftschutzbunker bzw. Luftschutzstollen zur Verfügung. Auf dem Eiermarkt, an der Salinenstraße und vor dem Bahnhof etwa waren L-Räume in der Erde ausgeschachtet, mit Beton ausgebaut und gedeckt worden. Besseren Schutz boten tiefe Stollen, die in die Sandsteinhänge der Stadt eingegraben waren: etwa im Brückes, unter dem Schlossberg oder dem Paulinum der Diakonie.

Temperatur auf minus 14 Grad gesunken

Bomben fielen erneut an Silvester Nachmittag, danach stand u.a. die Männerstation der Diakonie in hellen Flammen, ein großer Teil der „Horst-Wessel-Schule“ (heutige Ringschule) stürzte ein.

Über Nacht war es kalt geworden und es hatte geschneit. Morgens, Neujahr, wurde erneut Alarm gemeldet. Die Temperatur war auf minus 14 Grad gesunken, die Infrastruktur schon 6 Tage gestört. Insbesondere die Wasserversorgung versagte. Bombentrichter und Schuttmassen erschwerten ein Fortkommen in den Straßen und die Versorgung der Verletzten. Die Erkenntnis machte sich breit, dass das Rote-Kreuz-Zeichen nicht vor Bombentreffern schützte. Nachbarschaftshilfe war in besonderem Maße notwendig, Gefahrenmanagement überlebenswichtig.

Eine Seite aus dem "Tagebuch" von Emil Weirich
Franziska Blum-Gabelmann. Franziska Blum.Gabelmann

Am Dienstag, dem 2. Januar 1945, wurde gegen Mittag erneut Vollalarm ausgelöst. Es folgte ein weiterer Großangriff. Weirich spricht von einem Unglücks- oder Schreckenstag. Den Angriff mit Spreng- und Brandbomben erlebte er in seinem Haus in der Waldemarstraße 3. Er schreibt: „Wir standen unter der dicken Mauer am Eingang zum Luftschutzraum. Und schon heulte u. sauste es über uns hin. Wie nie zuvor. Schon hörten wir die schweren Einschläge unaufhörlich, manchmal beängstigend nahe: Das Haus erbebte, Türen u. Fenster klirrten. Wenn es so ganz laut u. schwer dröhnte u. krachte, dann duckten wir uns. Wie lang der ganze Angriff gedauert hat? Ich weiß es nicht zu sagen. Es schien unendlich. Es wurde still. Ich hinaus, die Türen sind noch in Ordnung. Aber o weh!“

„Tagelang war Brand u. Rauch in der Stadt.“
Emil Weirich in seinem „Tagebuch“

Die Zerstörungen in der Stadt waren enorm. In der Altstadt vergingen Tage und Wochen bis alle Straßen und Gassen wieder zu begehen waren. „Tagelang“, so Weirich, „war Brand u. Rauch in der Stadt“. Sein eigenes Haus war unbewohnbar geworden. Er zog nach Herlesweiden Nr. 39 (heute Erlenweg 10). Dort kamen zeitweise 11 bis 12 Personen unter. Am Abend des 2. Januar blickte Weirich von dort auf eine brennende Stadt hinab – „ein ungeheures Flammenmeer von Seitz-Werke, Dr. Jakob über Bahnhof, Hl. Kreuzkirche, Post, Salinenstr. Inneres der Altstadt, über Gymnasialstraße, Ludendorffstr. (heute Dr. Karl-Aschoff-Str.) bis Oranienhof!!!“

Die Temperaturen liegen anhaltend bei um die minus 15 Grad. Die Hilfe für Verletzte, Verschüttete, Menschen mit Verbrennungen und Fleischwunden ist aufgrund des Feuers, der Bombentrichter und die Schuttberge schwierig. Viele, die durch die Bomben nicht sofort getötet wurden, erliegen in den darauffolgenden Tagen ihren Verletzungen.

Massengräber auf Friedhof ausgehoben

Nach und nach werden die Toten geborgen. Insgesamt starben 141 Personen. „Auf unserem Friedhof“, so Weirich, „ist eine ganze Anzahl Massengräber ausgehoben worden. In zweien habe ich die Särge, die noch nicht von Erde bedeckt waren, gezählt. Es waren in jedem Grab über 50. Die Särge sind oft ganz primitive, ungehobelte u. ungestrichene Kisten. Vor der Beerdigung stehen manche Särge tagelang in den Totenkammern oder auch im Freien vor der Grabkapelle. Mit Blaustift oder auf andere Art ist der Name des Toten auf den Sarg geschrieben.“ Aufgrund des tiefgefrorenen Bodens können die Leichen nicht beerdigt werden. Weirich schreibt: „Den Totengräbern war es nicht möglich, die große Menge der Gräber auszuschachten, Pickel u. Hacke konnten in dem tiefgefrorenen Boden kaum benutzt werden, er musste oft gesprengt werden“.

Erschüttert über den Tod seiner Kollegen

Er zeigt sich erschüttert, als er vom Tod seiner Kolleginnen und Kollegen erfährt, darunter „unsere liebe Kollegin u. treue Immergrüne und ihre Schwester“ und schreibt, dass zwei Kollegen, Jacquemar und Petry „die wenigen Reste der Schwestern Hüschelrath, die noch zu finden waren, in einem Leintuch zu Grabe gebracht“ haben.

„Welch ein verbrecherischer Wahnsinn!“
Emil Weirich
Die ehemaligen Lederwerke Rohde im Kohleweg, dort, wo heute das Diakonie-Parkhaus steht, am 2. Januar 1945 angegriffen.
Sammlung Steffen Kaul

Die Stadt Bad Kreuznach erlebte am 25.12.1944 und am 2.1.1945 ihre schwersten Luftangriffe, die hohe Todesopfer forderten und einen hohen Zerstörungsgrad an privaten und öffentlichen Gebäuden sowie der Infrastruktur nach sich zogen. Weirich schrieb: „Viele, viele aber besitzen nichts mehr als was sie auf dem Leibe tragen. Und mancher von ihnen sagt leise aber auch laut den =Sprechchorsatz=: „Das danken wir dem Führer“.

Am 27. Februar kommentiert Weirich Hitlers Proklamation am 25. Februar 1945 aus dem Führer-Hauptquartier zur Erinnerung an die Verkündigung des NS-Parteiprogramms mit den Worten: „Welch ein verbrecherischer Wahnsinn!“

Literatur:

Dieter Busch, Der Luftkrieg im Raum Mainz während des Zweiten Weltkrieges 1939-1945. (Veröffentlichung der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 9). Mainz 1988.

Bad Kreuznach. Aufbruch aus Trümmern. Hrsg. Stadt Bad Kreuznach. Bad Kreuznach 1991.

Quelle:

Emil Weirich, Von Weihnachten 1944 bis Ostern 1945. Handschriftliches Manuskript.

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