Von unserer Mitarbeiterin Silke Jungbluth-Sepp
Gerbershagen verbringt seither viel Zeit in Flugzeugen und pendelt zwischen Deutschland, London und den USA. Doch seiner Heimat – er lebt mit seiner Familie seit 20 Jahren in der Nähe von Bad Kreuznach – will er auch künftig treu bleiben. Der Oeffentliche Anzeiger hat mit dem Topmanager über seine bemerkenswerte Karriere gesprochen.
Herr Gerbershagen, als Sie 1987 an der Fachhochschule Bingen ihr Diplom als Elektroingenieur in der Hand hielten, hätten Sie sich eine solche Karriere erträumt?
Nein, das hätte ich nie gedacht. Ich glaube auch nicht, dass so etwas planbar ist. Da gehört ein bisschen Glück dazu, und manchmal muss man auch zur rechten Zeit am rechten Ort sein.
Welche Rolle spielt das Können?
Ausschlaggebend ist natürlich eine solide Grundausbildung. Und eine ganze Menge Erfahrung. In meiner Position ist aber auch der Umgang mit Menschen wichtig. Denn man braucht motivierte Mitarbeiter, die mit für den Erfolg kämpfen.
Wie sind Sie an die Stelle als CEO bei Kodak Alaris gekommen?
Ganz klassisch: Ein Headhunter hat mich angesprochen. Ich war ja schon immer international viel unterwegs, zunächst bei Siemens, später beim US-Konzern Motorola. Dort war ich für das gesamte Europageschäft verantwortlich und habe viel in den USA gearbeitet. Mein Profil hat daher auf die Aufgabe gepasst.
Ist es ungewöhnlich, mit einem FH-Diplom aus Bingen ins internationale Topmanagement aufzusteigen? Für die Position als Konzernchef gibt es vermutlich Bewerber von allen renommierten Business-Kaderschmieden.
Es ist schon eine außergewöhnliche Geschichte. Die Binger haben sich sehr über meine Berufung gefreut. Mein Studium der allgemeinen Elektrotechnik war breit angelegt, und das übrige Wissen hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Wenn ich heutigen Studenten einen Tipp geben soll, rate ich: Stellt Euch in der Ausbildung so breit wie möglich auf, man weiß nie, wohin es einen verschlägt.
Sie sollen als Kodak-Alaris-Chef ausgegliederte Geschäftsbereiche des früheren Kodak-Konzerns wieder in Schwung bringen. Kommt das voran?
Wir stecken mitten in der Restrukturierung aller Geschäftsbereiche, um sie fit für den sehr kurzlebigen Markt zu machen. Da das Unternehmen dem britischen Kodak-Pensionsfonds gehört, sind wir nicht an der Börse gelistet. Das ist ideal, wir können im Jahresrhythmus denken und eine längerfristige Strategie fahren.
Welche Sparten gehören zu Kodak Alaris?
Wir produzieren Fotopapiere, jedes zweite Bild in Europa wird nach wie vor auf Kodakpapier gedruckt. Außerdem betreiben wir das größte Sofortdrucknetzwerk der Welt mit 115 000 Druckstationen in Drogerie- und Supermärkten. Das ist ein schnell wachsendes Segment, täglich lassen eine halbe Million Menschen Fotos ausdrucken. Die neueste Entwicklung ist eine App, um Fotos unmittelbar vom Handy in Auftrag zu geben und später im Geschäft abzuholen. Kodak Alaris ist auch Weltmarktführer bei Industriescannern. Damit kann man etwa Krankenakten digitalisieren. Und wir sind Softwarelieferant. Die Software ist auf künstliche Intelligenz aufgebaut und kann unstrukturierte Daten bearbeiten. Dies ist unter anderem für Versicherungen interessant.
Sie arbeiten in England und den USA, ihr Lebensmittelpunkt ist an der Nahe. Wie klappt das?
Ein Drittel meiner Zeit bin ich in England, ein Drittel in den USA und das restliche Drittel bei Kunden rund um die Welt. Allerdings versuche ich, einen Tag die Woche von Deutschland aus zu arbeiten und mir die Wochenenden freizuhalten. Unsere Kinder sind inzwischen erwachsen. Das gibt meiner Frau Spielraum, mich auf einigen Reisen zu begleiten.
Bleibt noch Zeit für Freunde und Hobbys?
Zeit für Freunde ist ein schwieriges Thema, die meisten kenne ich sehr lange und habe auch noch Kontakt zu Kommilitonen aus Bingen. Ich habe zwei Motorräder und fahre gerne damit herum – wenn ich die Zeit finde.
Was hält Sie trotz der anstrengenden Pendelei in der alten Heimat?
Das ist einfach ein guter Gegenpol. Außerdem ist die Familie ein Fixpunkt. Meine Eltern leben bei Bad Kreuznach, die Schwiegereltern in Bacharach.
Zur Person:
Ralf Gerbershagen (53) ist seit April 2014 Vorstandchef (CEO) des britischen Konzerns Kodak Alaris. Der gebürtige Bacharacher lebt seit 20 Jahren mit seiner Familie in der Nähe von Bad Kreuznach. Nach der Hauptschule und einer Lehre bei der Bundesbahn hat er in Bingen Mittlere Reife und Fachabitur gemacht. Es folgte ein Elektrotechnikstudium an der Fachhochschule Bingen, das er 1987 mit dem Diplom als Elektroingenieur abschloss. Er arbeitete zehn Jahre bei Siemens in München. Nächste Station war für 17 Jahre Motorola in Wiesbaden, zuletzt als Deutschland- und Europachef. Gerbershagen ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne, 23 und 21 Jahre alt.
Kodak Alaris: Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar erzielt
Kodak Alaris entstand 2013 als Abspaltung des insolventen US-Unternehmens Eastman Kodak – mit Hauptsitz in Hemel Hempstead nördlich von London. Der traditionsreiche Foto- und Kamerapionier aus Rochester bei New York hatte 2012 nach gut 130 Jahren Firmengeschichte Konkurs anmelden müssen. Eigentümer von Kodak Alaris ist der Pensionsfonds der früheren britischen Kodak-Beschäftigten, der mehrere Geschäftsbereiche des insolventen Konzerns als Ausgleich für ausstehende Zahlungen übertragen bekam. Kodak Alaris beschäftigt 3400 Mitarbeiter und erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von einer Milliarde Dollar. Das Unternehmen ist in 34 Ländern aktiv. Zu den Produkten zählen zum Beispiel Fotopapiere, Kleinbildfilme, Industriescanner und Druckstationen, wie sie in Deutschland in Drogeriemärkten stehen. Außerdem entwickelt Kodak Alaris Software für das Datenmanagement von Unternehmen.