Schwere Zeiten für Versöhnungsprojekt der evangelischen Kirche in der Nähe von St. Petersburg
Pskower Engel: Embargo macht es Initiative um Rolf Gillmann aus Hochstetten-Dhaun schwer
Rolf Gillmann aus Hochstetten-Dhaun zeigt eine Weihnachtskrippe, die in den Werkstätten von Pskow von Menschen mit Behinderung gebaut wurde. Für die Erzeugnisse ist die Nachfrage groß, doch die Waren dürfen aktuell nicht ins Ausland gebracht werden. Foto: Armin Seibert
Armin Seiibert

Hochstetten-Dhaun/Pskov. Es sind schwere Zeiten für die Initiative Pskow in der evangelischen Kirche im Rheinland. Die Friedensengel aus Holz, die in Werkstätten von Menschen mit Behinderungen gefertigt werden, dürfen aktuell nicht ins Ausland gebracht werden.

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Der Pskower Engel wird nächstes Jahr 20. 2003 als Symbol und Arbeitsmöglichkeit für junge Erwachsene mit geistiger oder schwer-mehrfacher Behinderung wird er in der beschützenden Werkstatt in Pskow in Russland in Handarbeit hergestellt. Er ist ein Handschmeichler, Begleiter und Tröster, ein Engel, der den Lebensnerv in der Handinnenfläche anregt, ein Bote, der fassbar ist, wenn Unfassbares geschieht.

Das Unfassbare ist der Krieg in der Ukraine, der auch den Engel in der Nähe von St. Petersburg trifft. Millionenfach wird der Engel hergestellt. Aus Kiefern oder Eschenholz. Doch in diesem Jahr kommt er nicht über die Grenze, die wieder zum „eisernen Vorhang“ geworden ist. Das bedauert die Initiative Pskow in der evangelischen Kirche im Rheinland, der Rolf Gillmann aus Hochstetten-Dhaun als stellvertretender Vorsitzender angehört. Gillmann leitete die Werkstätten der Diakonie, machte Pskow zur russischen Vorzeigestadt, erhielt dafür das Bundesverdienstkreuz. Und nun?

Seit 20 Jahren für Versöhnung eintreten

Die Initiative Pskow macht es sich seit 20 Jahren zur Aufgabe, für Versöhnung einzutreten. Die Stadt Pwkow war bei der Belagerung von Leningrad im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört worden, heute hat die Stadt 210.000 Einwohner und verfügt über Werkstätten für behinderte Menschen, die weitgehend von der Initiative konzipiert und aufgebaut und auch durch Spenden finanziert wurde. Rund 45-mal war Rolf Gillmann in Russland, wollte auch im Juli wieder dorthin. Der Krieg verhindert es.

Von Krieg dürfe man dort nicht sprechen, um die Menschen vor Ort nicht zu gefährden, sagt Gillmann im Gespräch mit unserer Zeitung. Er erklärt, wie der Bau von Werkstätten in Russland funktioniert. Erst wird das Material beschafft, vom Kellerstein bis zum Dachziegel, dann beginnt der Bau. Das Material war lange vor dem Krieg beschafft und bezahlt, der Bau sollte beginnen.

Die Handwerker können natürlich nicht ohne Geld arbeiten. Die Sanktionen gegen Russland verhinderten den offiziellen Finanzweg. So machte sich Rolf Gillmann mit einem Koffer voll Geld auf nach Riga. Dort erhielten mehrere Freunde jeweils die für einen Grenzübertritt nach Russland erlaubten 10.000 Dollar. Drüben wurde dann dafür aufgebaut, eine Werkstatt für bis zu 30 Beschäftigte errichtet.

200.000 Euro-Projekt

Das Licht leuchtet inzwischen, der Innenausbau läuft. Der Leiter der Einrichtung, Wjatscheslaw Sukmanov, mit dem Gillmann per WhatsApp in Verbindung steht, berichtet vom Baufortschritt des 200.000 Euro-Projekts. Auch in Wilikic, der zweitgrößten Stadt der Oblast Pskow (so groß wie Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen zusammen) wird jetzt noch eine Werkstatt aufgebaut, Sukmanov soll sie ebenfalls leiten. 320 Kilometer sind es von Pskow dorthin.

Der Betrieb und die Finanzierung der Mitarbeiter obliegt den Verantwortlichen vor Ort, sagt Gillmann. Die Initiative Pskow mit gut 300 Mitgliedern vor allem im Rheinland kümmert sich aber nicht nur um den Werkstattbau, sondern auch um Ausbildung und darum, dass aktuell 320 Kinder und Werk­stattbeschäftige täglich eine warme Mahlzeit bekommen.

Initiative hat Aktivitäten in Russland deutlich eingeschränkt

Wie es mit der Unterstützung, der weiteren Planung und Finanzierung weitergeht, das soll auf einer Klausurtagung im Frühjahr besprochen und entschieden werden. Aus etlichen Projekten der vergangenen Jahre hat sich die Initiative bereits zurückgezogen, etwa aus der Hospizarbeit und aus der Betreuung von Waisenhäusern. Für Kitas, Schulen und Wohngebäude hatte man ebenfalls Startkapital gegeben, doch auch hier heißt es: nicht weiter so. Eine Krankenhaus-Kinderstation wurde inzwischen aufgelöst.

„Wir hinterfragen durchaus, wie wir weitermachen sollen. Erst einmal geht es darum, dass die in unseren Breiten so begehrten Werkstattprodukte auch wieder hier verfügbar sind. Wir haben dort aktuell auch noch Schulden“, sagt Gillmann. Denn die Produkte und das Material sind von dort finanziert, dürfen aber nicht exportiert werden. Zum Beispiel die Pskower Friedensengel.

Auch wenn der mörderische Krieg in der Ukraine vieles in Frage stellt, so ist doch die Versöhnungsarbeit in Pskow gelungen. Rolf Gillmann freut sich, dass es in Russland im Hinblick auf die Betreuung behinderter Menschen ein Umdenken gab. Behinderte brauchen etwas zu essen und einen Schlafplatz. Fertig. So sei es in den 90er Jahren gewesen. Die Idee, die Menschen tagsüber in Werkstätten zu betreuen, um beiden Elternteilen die Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, habe auch die Politiker überzeugt. Wenn sie für ihre Überzeugung dann auch noch gewählt werden, umso besser. So stieg das Interesse an Werkstätten deutlich. Aber es gibt noch viel zu tun, weiß Gillmann. Barrierefreiheit etwa sei ein Fremdwort in Russland.

Vier Werkstattmitarbeiter kommen für Ausbildung nach Deutschland

Im Januar werden vier Werkstattmitarbeiter aus Russland für Praktika und Ausbildung nach Deutschland kommen. Auch Gillmann will irgendwann wieder mal hinfahren, die Freunde vor Ort treffen.

Er hofft mit Millionen Menschen in der Ukraine und in Russland, dass der Krieg bald zu Ende ist und die Menschen nicht nur in Pskow sich wieder dem zuwenden können, was den Alltag erleichtert. Und dass die jahrelange vertrauensvolle Arbeit auf zwischenmenschlicher Ebene wieder ungehindert weitergehen kann – zum Wohle der Menschen, die dringend Hilfe benötigen. Tag für Tag.

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