Vor 86 Jahren in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 erreichten der Hass und die Gewalt gegen jüdische Menschen in Deutschland einen vorläufigen traurigen Höhepunkt. Diese Nacht wurde zu einem Fanal des Massenmordes, an dessen Ende die Ermordung von 6 Millionen jüdischen Menschen stand. Am Ort der in dieser Nacht zerstörten Synagoge in der Mühlenstraße hatte die Stadt am Sonntag zum Gedenken eingeladen.
Das Gedenken in diesem Jahr war anders als in früheren Jahren – was nicht daran lag, dass keine Schüler die Gedenkveranstaltung mitgestaltet hatten. Wer Valeryan Ryvlin, dem Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde zuhörte, der spürte warum. Denn die Stimmung gegenüber den jüdischen Mitbürgern in Deutschland habe sich aus seiner Sicht bei Teilen der Bevölkerung verändern. Der Vorsitzende will sogar erste Parallelen zu jener Zeit des Naziterrors erkannt haben. „Es gibt wieder vermehrt rassistische und antisemitische Gewalt in unserem Land und anderen Ländern Europas“, sagte er.
„Es gibt wieder vermehrt rassistische und antisemitische Gewalt in unserem Land und anderen Ländern Europas.“
Valeryan Ryvlin, Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde, ist besorgt
Auch in Bad Kreuznach hat Ryvlin eine Verrohung in Gedanken, Diskussionen und Debatten bemerkt. Immer häufiger, auch in Taten. „Erschreckenderweise wird dieser Wandel immer gesellschaftsfähiger und in Zeiten der Krisen werden jüdische Mitbürger häufig zu Sündenböcken gemacht“, erklärte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde. Als die barocke Synagoge in der Mühlenstraße 1737 feierlich geweiht wurde, war das ein Bekenntnis der jüdischen Bürger zu ihrer Heimatstadt Bad Kreuznach. „Angekommen, um zu bleiben“, das galt damals aber auch heute“, so der Vorsitzende.
Dennoch fürchtet Ryvlin einen Paradigmenwechsel. Fest macht er ihn an jenem traumatischen Tag, dem 7. Oktober 2023 als „terroristische Barbaren unschuldige israelische Zivilisten überfielen und sie abschlachteten“. Ryvlin versteht nicht, dass Teile der deutschen Gesellschaft den Tod von über 1000 Zivilisten in Israel beklatschten, betanzten und erste Demonstrationen gegen Israel stattfanden. „Stehen sie auf gegen Antisemitismus, benennen sie Antisemitismus und lassen sie nicht zu, dass unsere Gesellschaft gespalten wird und wir gegeneinander und nicht miteinander agieren“, forderte er die knapp 150 Teilnehmer der Gedenkfeier auf.
Letz: Nicht nur eine historische Bürde
Auch für Oberbürgermeister Emanuel Letz ist wichtig, dass das Erinnern an die vielen Opfer der Nazis nicht in der Vergangenheit endet. „Aktuelle Ereignisse führen uns das auf schmerzliche Weise vor Augen: Erst kürzlich wurden gezielt und geplant israelische Fußballfans in Amsterdam angegriffen“, erinnerte Letz. Aus seiner Sicht zeigt diese Gewalt, dass Antisemitismus nicht nur eine historische Bürde ist, sondern auch eine gegenwärtige Bedrohung.
Mit Ryvlin ist sich Letz einig, dass solche Taten ein Aufruf an alle sind, aktiv gegen jede Form von Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit einzutreten. „Wir müssen gemeinsam aufstehen und dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft ein sicherer Ort für alle bleibt. Erinnerungskultur bedeutet Verantwortung für die Gegenwart und die kommenden Generationen“, sagte der OB. Umrahmt wurde die Gedenkstunde von Alexander Zakharenko der das Totengebet „El Male Rachamim“ sprach und vom Chor der jüdischen Kultusgemeinde unter Leitung von Tatjana Feigelmann.