Rolf Schaller ist Schicksal der Zwangsarbeiter in Kreuznach nachgegangen
Opfer der Zangsarbeit: Von den Nazis verschleppt, drangsaliert, ausgebeutet
Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann mit Rolf Schaller bei der Präsentation seines neuen Forschungsaufsatzes zur Situation der Zwangsarbeiter in Bad Kreuznach während des Zweiten Weltkriegs. Foto: Harald Gebhardt
Gebhardt

Bad Kreuznach. Die Aufarbeitung der schlimmen Zeit des Nationalismus ist schwierig und zäh. Sie gelingt nur wie das Zusammensetzen eines Mosaiks, „Step by Step“, wie es Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann ausdrückte, als der Bad Kreuznacher Heimatforscher Rolf Schaller seine neueste Forschungsarbeit vorstellte: Sie heißt „Verschleppt, drangsaliert, ausgebeutet“ und ist „den Opfern von Zwangsarbeit und Gewalt unter der Nazi-Herrschaft in Bad Kreuznach“ gewidmet.

Lesezeit 4 Minuten

Darin ist er dem Schicksal und den Lebensbedingungen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern im Dritten Reich in Bad Kreuznach nachgegangen. Dazu hat er unter anderem als Quellen das Landeshauptarchiv Koblenz, die Sterbebücher des Kreuznacher Standesamts, Zeitungsberichte und das Kreuznacher Beerdigungsregister ausgewertet.

Blum-Gabelmann dankte Schaller für seine zweijährige Arbeit: „Das war ein großer Schritt, den Sie jetzt damit gesetzt haben.“ Für die Historikerin ist dies eine wichtige Grundlagenforschung, die der 76-jährige Autor damit geleistet hat. Denn nur so könne es gelingen, neue Impulse für weitere Forschungen zu setzen und neue Opfergruppen der nationalsozialistischen Gewaltherrscher in den Fokus zu rücken.

Es ist das düsterste Kapitel der deutschen Geschichte. Für Schaller ist besonders erschreckend und erschütternd, wie systematisch und von langer Hand geplant die Nazis dabei vorgegangen sind, und ihre „verbrecherische Vorgehensweise“. Was ihn bei seinen Bemühungen und Recherchen auch umgetrieben hat: die UN-Menschenrechtscharta, die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 in Paris verkündet wurde. Und natürlich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wie es im Grundgesetz steht, dessen 75. Geburtstag dieser Tage gefeiert wurde.

Davon konnte im nationalsozialistischen Deutschland keine Rede sein. Menschenrechte wurden mit Füßen getreten. Der Russland-Feldzug ab 1942 führte im Dritten Reich dann zu einem gravierenden Arbeitskräftemangel. Mit Folgen: Die deutsche Kriegswirtschaft, Industrie und Landwirtschaft wären ohne das Heer von mehr als acht Millionen Zwangsarbeitern zusammengebrochen. Die Anwerbung von Arbeitskräften begann schon ab 1940, hatte aber nur wenig Erfolg. Daher gingen die Nazis bald zu Zwangsrekrutierungen und Verschleppung über.

Mit 4,7 Millionen stellte die Sowjetunion dabei die größte Gruppe der Zwangsarbeiter, gefolgt von Polen (2,8 Millionen) und Frankreich (2,3 Millionen). Danach kamen Italien und weitere west- und osteuropäische Länder. Die Ostarbeiter gehörten zur zweituntersten Gruppe. Zur untersten Hierarchiestufe gehörten damals in der Nazi-Ideologie die „Fremdvölkischen“, Juden, Sinti und Roma, die Opfer einer gezielten Vernichtungspolitik wurden.

Zwangsarbeiter hatte laut Schaller eigentlich jeder: in Gaststätten, Hotels, Handwerks- oder landwirtschaftlichen Betrieben – und zwar von französischen Kriegsgefangenen bis zu Ostarbeitern. Das belegen, so Schaller, die vorliegenden Zwangsarbeiterlisten beim Landeshauptarchiv Koblenz. Im Juli 1942 registrierte die Bad Kreuznacher Arbeitsverwaltung in ihrem Bezirk 2671 Fremdarbeiter, davon 1475 sogenannte „Ostarbeiterinnen“ und „Ostarbeiter“. Am 30. September 1944 betrug die Zahl der Zwangsarbeiter 6558, davon 4179 Männer und 2379 Frauen, darunter 3224 „Ostarbeiter“.

Der „Ostarbeiter-Erlass“ enthielt unter anderem folgende Bestimmungen: Kontakte zu Deutschen waren ihnen strengstens untersagt. Es bestand zudem eine Kennzeichnungspflicht: Sie mussten auf der Jacke ein Stoffabzeichen mit der Aufschrift „Ost“ tragen, das sie auch noch selbst bezahlen mussten. Sie durften den Arbeitsplatz nicht verlassen, bei Fliegerangriffen keine Schutzräume aufsuchen. Die Verpflegung war schlecht, sie mussten schuften für einen – falls überhaupt – Hungerlohn. Betriebsführer und Vorarbeiter hatten ein Züchtigungsrecht. Einmal mehr ein Beleg dafür, wie perfide, zynisch und menschenverachtend die Nazis mit ihnen umgegangen sind. Untergebracht waren sie in eigens errichteten Barackenlagern bei oder auf dem jeweiligen Firmengelände, in notdürftigen, teilweise menschenunwürdigen Behausungen und Massenquartieren. Die Lager waren mit Stacheldraht umzäunt und wurden streng bewacht. Unter anderem gab es an der Heidenmauer ein Ostarbeiterlager.

Allerdings: „Die Aktenlage zu den in Bad Kreuznach und Umgebung beschäftigten Zwangsarbeitern ist sehr dünn. Die meisten Unterlagen wurden wohl zum Ende des Dritten Reiches vernichtet“, schreibt Schaller. Ein Register mit der Liste von Firmen, die eine Ostarbeitergebühr zahlen mussten, weil sie Zwangsarbeiter von 1939 bis 1945 beschäftigt hatten, und ihre Anzahl gab es bis 2001 beim Finanzamt Bad Kreuznach. „Heute ist davon nichts mehr da“, beklagt Rolf Schaller, er empfindet das als „deprimierend“.

Die Todesursachen bei den Zwangsarbeitern in den Jahren 1939 bis 1943 deuten auf extreme Mangelernährung, unzureichende Unterbringung und mangelhafte Bekleidung hin. Meist handelte es sich um Lungenentzündungen, Bronchitis, Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Tuberkulose, Typhus oder Fleckfieber.

Nach der Befreiung lebten die Ostarbeiter, nun sogenannte „Displaced Persons“ (DPs), zunächst auf die Stadt verteilt, so zum Beispiel im Eintracht-Vereinsheim am Sportplatz Heidenmauer oder in der Lohrer Mühle. 1946 ließ die französische Militärregierung dann auf dem Kuhberg ein Barackenlager errichten, in dem zeitweilig bis zu 650 DPs untergebracht waren. Eine nicht unerhebliche Zahl von Ostarbeitern blieb auch nach dem Krieg in Deutschland, aus Angst, in der Sowjetunion könnte man sie der Kollaboration mit dem Feind und der Spionage beschuldigen und erneut internieren.

Von den insgesamt 101 Toten, deren Namen Schaller alle auflistet, wurden die sterblichen Überreste von 62 Opfern exhumiert und in ihrer Heimat zur letzten Ruhe gebettet. Im Distrikt 16b (Foto) auf dem Hauptfriedhof stehen drei Steinkreuze mit den Namen von je vier Opfern. Das erste ist eine „unbekannte Frau“, von der nur der Vorname Christine bekannt ist. Außer den anderen elf auf den Kreuzen genannten Toten sind auf diesem Gräberfeld noch vier weitere Opfer begraben. 24 Opfer fanden im Distrikt 89 ihre letzte Ruhe. An die 38 Opfer der 12. SS-Eisenbahnbaubrigade erinnert im Distrikt 85/88 das von dem Kreuznascher Bildhauer Karl Steiner geschaffene Mahnmal für die „Opfer des Krieges und des Faschismus“.

Schallers Dokumentation lässt sich auf der Internetseite der Stadtverwaltung unter folgendem Link mit der Adresse www.ku-rz.de/khgeschichte einsehen.

Top-News aus der Region