Sein Name war Paul! Von dem 600 Stimmen starken Chor fühlten sich viele der 3000 Besucher in der ausverkauften Koblenzer EPG-Arena fulminant angesprochen, geradezu angeschrien. „Paul Schneider, den Namen müsst Ihr Euch merken, das ist unser erster Märtyrer,“ sagte sein Pfarrerkollege Dietrich Bonhoeffer zu Konfirmanden, als er von Paul Schneiders Tod (18. Juli 1939) im KZ-Buchenwald erfuhr. Das Musical von Peter Menger „Paul und Gretel – kein Märchen“ erzählt die Lebensgeschichte von Paul Schneider aus Pferdsfeld und seiner Frau Margarete aus Tübingen. Der bittersüße Lebensweg von Kindheit, Studium, Verlobung, kurzer Familienzeit und intensiver Seelsorge war schon hart genug. Dann folgten Gefängnis (vor allem in Koblenz), Folter und Tod im KZ Buchenwald bei Weimar.
„Paul und Gretel“ wurde vor knapp drei Jahren im hessischen Hüttenberg uraufgeführt, wo Paul Schneider als Pfarrer im damaligen Hochelheim gewirkt hatte. Er ging dann nach Dickenschied in die alte Hunsrück-Heimat. Dorthin (nahe seinem Geburtsort Pferdsfeld) war Schneider strafversetzt worden. Er legte sich auch dort mit der Obrigkeit an, weil der „Gott mehr gehorchen wollte als den Menschen“.

Die bewegende Geschichte haben inzwischen schon über 20.000 Besucher gesehen und gehört. Und sie geht weiter. Im September 2025 ist die Porsche Arena (über 6000 Besucher Fassungsvermögen) in Stuttgart der Musical-Schauplatz. Regionalchöre für dort sind unter anderem schon in Karlsruhe und in Ulm initiiert. Denn es sollen noch mehr als 600 Sängerinnen und Sänger von 10 bis 70 Jahren werden, die die Botschaft von Paul und Gretel in die Gesellschaft tragen. In den bisherigen Aufführungen unter anderem in Weimar und Dortmund haben schon über 3600 Sängerinnen und Sänger aktiv mitgewirkt.
Nach Stuttgart im September sollte eigentlich Schluss sein. Doch inzwischen gibt es Anfragen aus Dickenschied, wo Schneiders begraben sind (Open-Air-Aufführung) und die Idee, mit dem Musical nach Berlin zu gehen, wo Paul Schneider ebenfalls gewirkt hatte. Komponist Peter Menger sagt dazu noch nicht ja und nicht nein. Der Orthopäde, Familienvater und Profi-Musiker arbeitet schon an einem Musical über die Johannes-Offenbarung. Mit seiner Frau und Dirigentin Deborah hat er bereits etliche Kindermusicals realisiert. Mengers betreuen einen 150 Stimmen starken Kinderchor in Hüttenberg. Sie gastierten auch schon vor über 500 Zuhörern mit einem Musical in der Kreuznacher Jahnhalle.

Eingängige Lieder sind es – bekannte Weisen wie das Ännchen von Tharau (der Hochzeitswalzer von Paul und Gretel) oder Bonhoeffers Weise („Von guten Mächten...“) zur Schneider-Beerdigung. Die 20 Lieder des Chors zelebrierte der gewaltige Klangkörper präzise und über Stunden hochdiszipliniert – gerade auch die vielen Akteure im Grundschulalter. Die berührende Szene zum Schluss begleiteten 14 „echte Pfarrer“ in Talaren. Sie zogen hinter dem Kreuz her und erinnerten an die Botschaft: Versöhnung mit Gott und den Menschen. Nach Dickenschied im Hunsrück waren damals fast 1000 Menschen gekommen, um von Schneider Abschied zu nehmen – 200 Pfarrer in Talaren. Paul Schneider war einer der wenigen, dessen sterbliche Überreste für eine Beisetzung freigegeben wurde. Die Gestapo-Oberen gingen übrigens beim „Leichenims“ in den Gastwirtschaften leer aus und wurden nicht bedient. Das war im Sommer 1939, ein paar Monate vor dem Zweiten Weltkrieg mit Millionen Toten.

Gretel Schneider blieb zurück mit sechs kleinen Kindern. Sie musste sich immer wieder fragen lassen, auch von ihrer Mutter in Tübingen, warum Paul denn so störrisch war und nicht widerrufen habe. Warum er nicht unterschrieb, dass er nicht mehr politisch predigen werde. Er tauschte die versprochene Freiheit gegen Folter und Tod. Diese Entscheidung, als kleiner Pfarrer mit 41 Jahren den Leidensweg für die Wahrheit zu gehen, nahm ihm seine Frau nicht übel. Sie sagte: Lieber ein Mann, der sein Leben wagt, als ein Mann mit ausgerenktem Rückgrat. Für Paul war es, wie man heute sagt, ein „No-Go“, hinzunehmen, dass der Nazi-Kreisleiter bei einer Beerdigung den „himmlischen Sturm Host Wessel“ beschwor und der Reichsbischof fürs „ewige Deutschland statt für Gottes Ewigkeit“ predigte. Da blieb bei Schneiders Gewissensfrage, den Mund halten oder protestieren, keine Grauzone zwischen ja und nein. Trotz großer Zerrissenheit ließ er sich von der Bibel leiten. Die Haft als Konsequenz sei eine geistige Rüstzeit gewesen, schrieb er heim.

Nein, das Musical ist nicht politisch. Das betonte Komponist Peter Menger zum Auftakt auf der Bühne bei der Vorstellung wichtiger Mitwirkender. Das Projekt war zum 125. Geburtstag Schneiders (29. August 1897) von Andreas Haupt (Vereinsvorsitzender von sdg – soli deo gloria e.V.) initiiert und im Juli 2022 in Hüttenberg uraufgeführt worden. Die Idee kam ihm nach einem Bericht zum 80. Todestag Schneiders 2019. Besser wäre es, man erinnere sich an das Leben, meint Haupt. Komponist Peter Menger nahm sich erfolgreich der Sache an. Seither hat sich das politische Deutschland indes extrem verändert. In manchen Hunsrückdörfern erreichte die AfD bei der Bundestagswahl kürzlich über 40 Prozent. Man erinnere sich an ein Zitat aus den blauen Reihen, die NS-Zeit sei ein „Vogelschiss der Geschichte“ gewesen.
Da ist klar, dass Pauls Stimme gegen Nazigewalt, Denkverbot und Diktatur bei vielen Besuchern nachhaltig einschlägt. Protestieren oder Mund halten? Das hinterfragten für sich sicher viele der zu Tränen gerührten und doch begeistert klatschenden Zuschauer. Die Kardinalfrage: Hättest Du das Schweige-Protokoll unterschrieben und wärst heim zu Frau und sechs Kindern, statt im KZ zu sterben? Eine interessante Frage an 3600 Zuschauer und Mitwirkende in der EPG-Arena mit vermutlich klarem Ausgang pro Unterschrift. Auch der Chronist und Familienvater hätte unterschrieben. Natürlich.

Der Schlusschor schmetterte noch einmal: „Sein Name war Paul!“ Er war Pfarrer von Beruf. An Schneiders Geschichte und die NS-Zeit, die sich nie wiederholen soll, erinnerte der Koblenzer Superintendent Rolf Stahl. Er verwies an das Koblenzer Gestapo-Gefängnis Vogelsang und das Gefängnis neben der Koblenzer Christuskirche mit der Kastanie im Hof. Auch Anne Frank hatte in ihrer Erinnerung einen Baum als Zeuge für Unrecht und als Hoffnungsträger beschworen. In Koblenz schrieb Paul Schneider viele Briefe nach Hause, lernte nebenbei die Bibel auswendig. Sie war ihm wegweisend für Glaube Hoffnung, Verantwortung und Versöhnung.
Vor allem diese. Das Schild „Versöhnung mit Gott“ ließ Paul Schneiders Witwe, die ihren Mann 63 Jahre lang „überlebte“, in seiner KZ-Zelle in Buchenwald aufhängen. Gretel Schneider reichte auch dem KZ-Tyrannen Sommer die Versöhnungshand, besuchte ihn gar im Pflegeheim. In den Schulen der Region „predigte“ Gretel Schneider für Versöhnung und war in der Friedensbewegung in vorderster Front mit dabei.

Der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Nahe-Glan, Uwe Engelmann, hatte als Abiturient Gretel Schneider interviewt. Die Aufnahmen waren mit Grundlage für das Musical. In der Region Nahe-Hunsrück ist Paul Schneider seit Jahrzehnten präsent, als Namensgeber des Paul-Schneider-Gymnasiums oder der Bad Sobernheimer evangelischen Pfarrei. Der Hunsrücker Regionalchor um Martin Kilian und Dirigent Kalli Jost war mit 40 Aktiven in Koblenz mit dabei, bleibt weiter aktiv. Sie hoffen, dass die Ankündigungen zu Ehren Schneiders, etwa kreisübergreifende Wanderwege und Info für Touristen tatsächlich realisiert werden.
Wer das Musical noch nicht kennt, kann die Aufführung am 28. September in Stuttgart besuchen. Info und Tickets im Internet: www.paul-und-gretel-de