Am 2.1.1945 brannte die Stadt
Mission 776 brachte Bad Kreuznach Zerstörung und Tod
Um 12.20 Uhr begann das Bombardement: In der linken Ecke der Aufnahme erkennt man einen der B17-Bomber, der Bad Kreuznach ins Visier genommen hat. Rechts sieht man den Völkerring und die Rüdesheimer Straße. Damals hatte die Stadt rund 35 000 Einwohner. Diese Zahl halbierte sich nach den Luftschlägen.
Sammlung Steffen Kaul/US Airforce

141 Tote, fast genauso viele Opfer, die an den Folgen des Angriffs starben, die Hälfte des Wohnraums zerstört und Menschen, die aus der Stadt aufs Land fliehen. Vor 80 Jahren griff die US-Airforce Bad Kreuznach an.

Am 2. Januar jährt sich der verheerendste aller Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs auf die Stadt Bad Kreuznach zum 80. Mal. Die Bilanz der Attacke der 144 Kampfbomber, alle mit jeweils vier Motoren ausgestattet, die bloß 20 Minuten dauerte: Mindestens 141 tote Bad Kreuznacher. Eine konkrete Zahl lässt sich nur schwer nennen – eben weil eine offizielle Opferzahl fehlt. Ebenso fehlt in diesem Jahr eine Gedenkveranstaltung seitens der Stadt für eben diese Opfer.

Zwischen dem 7. Oktober 1944 und dem 14. März 1945 bei acht Bombenangriffen auf Bad Kreuznach kamen 317 Männer, Frauen und Kinder um. Am schwersten wurde die Stadt bei den Luftangriffen am ersten Weihnachtstag 1944 (140 Opfer) und am 2. Januar 1945 betroffen. Danach war Bad Kreuznach großflächig zerstört, die Hälfte des Wohnraums war nicht mehr nutzbar, die Menschen flohen aufs Land.

Das Foto zeigt die Ruine des Hauses Anna und Robert Lippe zeigt in der Bosenheimer Straße. 51. Es stand da, wo heute das Autohaus Fleischhauer (Skoda) ist. Links auf dem Foto Glasermeister ist Robert Lippe zu sehen. Er war 1945 75 Jahre alt. Diese Informationen übermittelte uns Hans Dieter Zimmermann aus Berlin, der Enkel von Robert Lippe.
Sammlung Steffen Kaul

Exakt fünf Minuten vergingen am 2. Januar 1945 zwischen Sirenenalarm und dem Beginn des Luftangriffs auf Bad Kreuznach. Wer nicht in der Nähe eines Luftschutzbunkers wohnte oder nicht über einen eigenen im Keller seines Hauses verfügte, hatte praktisch keine Chance. Da nutzte auch der verschlüsselte Funkspruch „Karl kauft vier Zigarren“, der die Bevölkerung vor Beschuss warnte, nicht viel.

Um 12.15 Uhr war der Fliegeralarm in der Stadt zu hören, um 12.20 tauchten sie dann über Bad Kreuznach auf: Die berüchtigten US-Bomber Modell 17 des Herstellers Boeing (kurz B-17-Kampfbomber oder auch „fliegende Festung“ genannt) nahmen Kurs auf die Stadt. Der Feuerregen, den die 140 Maschinen losließen, dauerte bloß 20 Minuten, dann war der Spuk vorbei – und für die Zivilbevölkerung begann das Leid.

Es ist ein bitterkalter Tag, den Bad Kreuznach erlebt. Minus 14 Grad – die Brände, die ausbrechen, können nicht gelöscht werden, weil die Schlauchleitungen einfrieren. Bombentrichter in den Straßen behindern die Rettungsfahrzeuge. Allein auf dem Gelände der Diakonie gehen 35 schwere Luftminen und tausend Brandbomben nieder.

Das Lyzeum an der Ecke Traubenstraße und Wilhelmstraße – heute steht das Behördenhaus dort – wurde komplett ausgebombt.
Sammlung Steffen Kaul

Zurück blieben Schutt, Asche, Tod und Zerstörung. Das Resultat war apokalyptisch: Die 1000 Brand- und 800 Sprengbomben (insgesamt 411 Tonnen), so die offiziellen Zahlen des US-Militärs, die über der Stadt abgeworfen worden, zerstörten mehr als die Hälfte des Stadtgebietes, 141 Bad Kreuznacher starben in den Trümmern, 180 weitere erlagen später ihren Verletzungen.

Der Bahnübergang in der Rheingrafenstraße (links) lässt sich gut erkennen. Schutt und Dreck, die auf der Straße zu sehen sind, sprechen dafür, dass die Fotografie direkt nach dem Bombenangriff aufgenommen wurde.
Sammlung Steffen Kaul

Mahnmal des Angriffs ist der Turm der Kreuzkirche. Noch Jahre später war der Zeiger der Uhr auf der „Zwölf“ zu sehen – die Uhr war stehen geblieben. Der Oeffentliche Anzeiger vermeldet in einer Notausgabe vom 4. Januar: „Der neue Terrorangriff: Amerikanische Flieger haben in Bad Kreuznach, Bad Münster am Stein und Langenlonsheim wiederum große Gebäudeschäden in Wohnviertel angerichtet. Viele Menschenleben sind unter der Zivilbevölkerung zu beklagen. Kirchen sind getroffen worden. Krankenhäuser sind trotz des Roten Kreuzes bombardiert worden, obwohl in ihnen auch verwundete amerikanische Kriegsgefangene lagen. Auch Waisenhäuser wurden zerstört.“

Die Spuren des Angriffs sind bis heute sichtbar: Die mit Gestrüpp bewachsene Stelle entlang der Bahnlinie am Kohleweg ist nichts anderes als ein Bombentrichter, der nie ausgebessert wurde.
Sammlung Steffen Kaul

Nach dem Angriff vom 2. Januar 1945 war in Bad Kreuznach nichts mehr, wie es zuvor einmal war. Die Stadt erlebte danach ihre eigene Stunde Null. Dabei hatte sich Bad Kreuznach noch nicht vom ähnlich verheerenden Angriff am ersten Weihnachtsfeiertag 1944 erholt. Damals starben 140 Menschen, 17 B-17-Bomber hatten 51 Tonnen Sprengbomben gezündet. Mission 776, so der Name des Luftschlags vom 2. Januar bei der US-Kommandantur, hatte offiziell die Bahnlinien, die Logistikanlagen entlang des Bahnnetzes und die Rangierbahnhöfe als Ziel. De facto wurde aber – auch aus Gründen mangelnder technischer Präzision – nahezu alles bombardiert, was eben das Stadtbild prägte: Wohnhäuser, Verwaltungsgebäude, Gastronomie, Krankenhäuser, Kirchen. Die erste Bombe, die einschlug, traf das Haus Brückes Nr. 25, war aber eigentlich für den Güterbahnhof bestimmt. Eigentlich war der Angriff für den Neujahrstag erwartet worden.

Berichtet wird auch darüber, dass einige US-Piloten, wissend um das, was ihre Bomben anrichten – Nazi-Deutschland war Anfang 1945 schon praktisch besiegt –, diese über den Waldgebieten auf Kuhberg und im Lohrer Wald abwarfen. Um niemanden zu gefährden. Noch heute deuten Bombenkrater dort daraufhin.

Weil die zum Teil christlich geprägten US-Piloten keine weiteren Opfer unter der Zivilbevölkerung riskieren wollte, warfen sie ihre Bomben über Waldgebieten ab, wie hier über dem Lohrer Wald.
Sammlung Steffen Kaul

Am Silvestermorgen 1944 waren nämlich bereits zur frühen Stunde Aufklärungsmaschinen über der Stadt gesichtet worden. Die Airforce ließ sich einen zusätzlichen Tag Zeit. Um dann mit bis dato ungeahnter Wucht zuzuschlagen.

Ziel der Angriffe war ebenso die Bad Kreuznacher Industrie. Die chemische Fabrik Dr. Jacob, Schneider Optik, aber vor allem die Seitz-Werke, die für das deutsche Heer Wasserentkeimungsfilter anfertigten, wurden unter heftigen Beschuss genommen und zum Teil komplett zerstört. Zwei Luftminen, 35 Sprengbomben und 53 Brandbomben zerstörten 80 Prozent der Werksanlagen von Seitz. Vor dem Angriff verfügte die Stadt über 3500 Wohnhäuser mit 8300 Wohnungen. Nach dem Luftbombardement waren 1800 Häuser mit 4300 Wohnungen komplett oder mindestens zu 50 Prozent zerstört.

Auch zwischen Salinenstraße und der heutigen Wormser Straße (damals Mainzer Straße) wurden viele Häuser vernichtet.
Sammlung Steffen Kaul

Der Zerstörungsgrad der Stadt lag am Kriegsende bei 54 Prozent. „Im Hagel der 800 auf Bad Kreuznach niedergehenden Sprengbomben aller Kaliber und der über 20.000 Brandbomben wurden von 8300 bei Kriegsbeginn vorhandenen Wohnungen 4300 zerstört. Außer den 1850 Wohngebäuden – von 3500 im Jahre 1939 – wurden 645 von 970 gewerblich genutzten Bauten vernichtet. 1050 Wohngebäude wurden über 50 Prozent, 400 über 80 Prozent und 300 völlig zerstört. Das bedeutet, dass bei Kriegsende nur noch 47 Prozent des Wohnraums und 34 Prozent der gewerblichen Betriebe genutzt werden konnten. 361.000 Kubikmeter Schutt waren wegzuräumen. Fast alle öffentlichen Gebäude wurden durch Bomben beschädigt oder zerstört. Große Schäden im Versorgungs-, Kanal- und Verkehrsnetz kamen hinzu. Alle Hauptbrücken über die Nahe wurden beim Herannahen amerikanischer Truppen gesprengt, ohne dass dadurch der Vormarsch behindert worden wäre – wie sich schon zwei Tage später herausstellte“, berichtet das Buch „Aufbruch aus Trümmern“, das von dem langjährigen Chef des Oeffenlichen Anzeigers, Richard Walter, in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung der Sparkasse Rhein-Nahe, herausgegeben wurde.

Auch ein Jahr nach dem Bombardement offenbart dieser Bick von der Kauzenburg das Ausmaß der Zerstörung.
Sammlung Steffen Kaul

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