In Bad Kreuznacher Selbsthilfegruppe geben sich Betroffene gegenseitig Tipps und machen sich Mut - Alltag ist meist schwer eingeschränkt
Long-Covid-Selbsthilfegruppe in Bad Kreuznach: Wie es ist, wenn der Akku kaum noch auflädt
Atemnot kann ein Symptom von Long Covid sein, wobei die Betroffenen ganz unterschiedliche Belastungen erleben. Meist sind sie mit einem deutlichen Leistungsabfall verbunden. Eine Bad Kreuznacher Selbsthilfegruppe unterstützen sie sich gegenseitig, damit zurecht zu kommen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow
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Wie sich die Betroffenen gegenseitig Mut machen, um ihr Leben mit teils erheblichen Einschränkungen weiter gestalten zu können.

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Genesen, aber nicht gesund: Für die rund 25 Männer und Frauen, die sich jeden zweiten Montag in Bad Kreuznach treffen, hat sich seit ihrer Corona-Erkrankung fast alles geändert. Während die Infektion weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden ist, haben sie selbst mit den Langzeitfolgen zu kämpfen – und damit, dass Long Covid längst nicht von allen aus ihrem Umfeld als Krankheit akzeptiert wird.

Marina Haas ist Erzieherin und hat sich mutmaßlich in der Kita angesteckt, in der sie angestellt ist. Die 48-jährige aus Hochstätten infizierte sich im Dezember 2021 mit Corona, litt an Nervenschmerzen und starkem Husten. Sechs Wochen war sie krank daheim und ging dann wieder arbeiten. Richtig fit fühlte sie sich die ganze Zeit nicht. Dann infizierte sie sich im Mai 2022 erneut. Diesmal dauerte es nur zwei Wochen, bis die Symptome abklangen. „Aber dann habe ich gemerkt, dass der Puls beim Laufen sehr hoch war“, erzählt sie. Auch das Luftholen fiel ihr schwer. Sie kam die Treppen nicht mehr hoch. Marina Haas ging zu ihrem Hausarzt, der sie zum Lungenfacharzt und zum Kardiologen überwies.

Diagnose ist schwer zu stellen

Gefunden wurde nichts. Trotzdem war Marina Haas nicht wieder die alte. Ihre Konzentrationsfähigkeit war stark beeinträchtigt. Berichte im Kindergarten schreiben, früher eine Routineaufgabe, wurde zum unüberwindlichen Hindernis. „Ich konnte sie auch nicht mehr lesen“, berichtet sie. Marina Haas leidet zudem an anhaltender Erschöpfung. „Wenn ich morgens aufwache, fühle ich mich nicht ausgeruht“, schildert sie die Symptome. „Es ist, als hätte ich gar nicht geschlafen.“ Weil sich die 48-Jährige damit nicht abfinden wollte, kümmerte sie sich intensiv um einen Termin in einer der wenigen Post-Covid-Ambulanzen, bekam einen in Koblenz – es wurde Long Covid diagnostiziert. Ihre Müdigkeit, das weiß Martina Haas heute, ist das Fatigue-Syndrom, das als Folge von Covid auftreten kann.

Wegen der Vielzahl der teilweise unspezifischen Symptome handelt es sich bei Long Covid um eine Ausschlussdiagnose, und sie ist nicht einfach zu stellen. In der Selbsthilfegruppe, die sich seit Oktober 2023 in Bad Kreuznach trifft, ist das Problem bekannt – auch, dass sie von Rentenversicherung, Berufsgenossenschaften oder Arbeitgebern nicht immer anerkannt wird, wie Axel Velten erklärt.

Orga-Team schafft neue Gesprächsrunde

Der Bad Kreuznacher war bei einem Bürgergespräch des SPD-Landtagsabgeordneten Michael Simon zu Gast, bei dem die Mainzer Selbsthilfegruppe Long Covid vertreten war. „Durch die Aussage, dass Selbsthilfe am besten vor Ort stattfindet, habe ich mich bereit erklärt, den Anfang zu machen. Wir haben dann sehr schnell ein Orga-Team gegründet, um die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen.“ So entstand die Gruppe für die Nahe-Region.

Seit einigen Wochen verteilt die Selbsthilfegruppe nun Handzettel, der weitere Betroffene auf sie aufmerksam machen soll. Die Nachfrage ist da: Die Gruppe umfasst rund 25 Männer und Frauen, die alle an Long Covid leiden. Sie sind meist um die 50 Jahre oder älter, teils berufsunfähig oder können nur noch wenige Stunden arbeiten. So wie Axel Velten selber.

Nur noch Teilzeit ist möglich

Der Bürokaufmann erkrankte im April 2021 an Corona. Auch er leidet am Fatigue-Syndrom. „Ich kann nur noch Teilzeit arbeiten“, sagt er, der vormals in Vollzeit beschäftigt war. Die Reduzierung ermögliche ihm, die Erschöpfung besser zu handhaben, und dadurch könne er wieder mehr machen. „Aber ich kann keine schnellen Bewegungen mehr ausführen“, erzählt er. Und er hat Probleme, Treppen hinaufzusteigen.

Was ist Long Covid?

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) umfasst Long Covid verschiedene Langzeitfolgen nach einer Corona-Infektion, die vier bis zwölf Wochen nach der Ansteckung noch bestehen sowie das Post-Covid-Syndrom, bei dem Beschwerden länger als zwölf Wochen vorhanden sind. Die Beeinträchtigungen treten entweder während der Erkrankung auf, zeigen sich manchmal aber auch erst Wochen oder Monate danach. Wie lange sie anhalten und ob sie überhaupt wieder komplett zurückgehen, ist kaum abschätzbar.

Das Krankheitsbild ist nicht einheitlich, und in der Regel liegen mehrere unterschiedliche Beschwerden körperlicher, kognitiver und psychischer Art vor. Zu den Symptomen zählen Abgeschlagenheit und dauerhaftes Erschöpfungsgefühl (Fatigue), verminderte Leistungsfähigkeit, Muskel-, Glieder- und Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Schmerzen beim Atmen, Husten, Sprech- und Konzentrationsstörungen, Kribbeln in Händen beziehungsweise Füßen und anderes mehr. Die Betroffenen erleben meist eine deutliche Leistungsminderung im Alltag. Wie oft Long Covid in der Bevölkerung auftritt, kann noch nicht gesagt werden. Frauen scheinen öfter betroffen zu sein als Männer. cob

Wie alle Long-Covid-Betroffenen hat Axel Velten eines gelernt: sich darauf einzustellen. Die Zähne zusammenbeißen und so tun, als sei nichts, sei die denkbar ungünstigste Strategie. „Danach geht es einem noch schlechter“, weiß er. Oft bezahlen es die Betroffenen mit Schmerzen und noch größerer Erschöpfung bis hin zum Zusammenbruch. Alle wissen: Ihr Akku hat wenig Ladung, und die Energie, die sie noch haben, müssen sie sorgsam einsetzen.

Nach Infektion zweimal im Koma

So geht es auch Bärbel Steffen aus Guldental, die im Dezember 2020 schwer an Corona erkrankte und damit auf der Intensivstation im St. Marienwörth landete. Die 59-Jährige wurde zweimal ins künstliche Koma gelegt und wollte sich schon von ihrem Mann verabschieden. „Ich habe geglaubt, ich überlebe es nicht“, erzählt sie. Doch die Ärzte holten sie zurück.

Geblieben sind ihr Wortfindungsstörungen, Nervenschädigungen und Kraftlosigkeit. „Die Verzweiflung ist wirklich groß“, sagt sie. Manche Freunde, Verwandte und sogar Ärzte würden nicht einsehen, dass sie chronisch krank ist. „Stell dich nicht so an, du siehst doch blendend aus.“: Das sind Sätze, die nicht nur Bärbel Steffen zu hören bekommt, sondern viele Long-Covid-Betroffene. „Dabei überschätzen die Leute, was man noch machen kann“, berichtet sie. Früher habe sie die Küche in einem Rutsch geputzt. „Heute mache ich einen Schrank sauber. Und dann brauche ich Tage, bis ich genug Kraft habe für den nächsten.“

Mit der Energie haushalten

Bärbel Steffen bekommt inzwischen eine Berufsunfähigkeitsrente. Wie alle anderen in der Gruppe setzt sie auf ein Energie-Management, um am Leben teilnehmen zu können. „Es kann sich keiner vorstellen, wie frustrierend das ist“, sagt sie. „Beim Einkaufen überholen einen 80-Jährige mit dem Rollator“, fügt Axel Velten hinzu. Früher hat er mal Fußball gespielt. Vorbei.

In der Selbsthilfegruppe jedoch, sagt er, „finden sie sich wieder“. Zwar gebe es bei Long Covid viele Facetten, doch alle kennen den Kampf mit Berufsgenossenschaften, Rententrägern und Arbeitsämtern, wenn es darum geht, die wirtschaftliche Existenz zu sichern. „Viele können gar nicht schriftlich auf Schreiben reagieren“, weiß Marina Haas. Auch das Verstehen des Behördendeutschs gelingt den Betroffenen nicht immer.

Über all das tauschen sie sich in der Gruppe aus und geben sich Tipps, was im Alltag, bei Amtsgängen oder Ärzten hilfreich ist. Die Betroffenen kommen aus den Kreisen Bad Kreuznach und Mainz-Bingen. Was sie eint, ist, dass sie Verständnis füreinander haben und mit ihrer Situation zurechtkommen müssen. Denn sie alle wissen: Bei Long Covid ist nicht klar, wie lange die Beschwerden anhalten, wie sie sich entwickeln – und ob sie wieder verschwinden.

Die Selbsthilfegruppe Long Covid trifft sich jeden zweiten Montag im Monat von 17 bis 18.30 Uhr in Bad Kreuznach. Erkrankte, Angehörige sowie andere Betroffene (PostVac, ME/Cfs) sind eingeladen, teilzunehmen. Infos gibt es per E-Mail: longcovid-kh@gmx.de oder per Telefon bzw. WhatsApp unter 0177/3398721. Um Anmeldung wird gebeten.

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