Zeitzeugen erinnern sich
Kreis Bad Kreuznach: Stimmen aus dem Zweiten Weltkrieg
Gefühle, Gedanken und Geräusche sind nach 80 Jahren noch immer präsent: Zeitzeugen aus dem Kreis Bad Kreuznach blicken zurück auf ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Als Protagonisten unserer Serie "Dem Ende entgegen – Das Kriegsende im Kreis" teilen unter anderem (von links) Erich Steinhauer (Hüffelsheim), Rosemarie Schitteck (Bad Kreuznach) und Rudolf Dröscher (Heimweiler) ihre Erinnerungen.
Hannah Klein, Montage: Svenja Wolf. Hannah Klein

Zwischen Angst, Neugierde und Erleichterung: Sie erlebten den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche, 80 Jahre nach dem offiziellen Kriegsende teilen Menschen aus Bad Kreuznach und der Region ihre Erinnerungen an jene Zeit.

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Noch sind sie da: Menschen, die den Zweiten Weltkrieg selbst erlebt haben und sich wahrhaftig erinnern. Sie sind Zeugen einer Zeit, die nicht in Vergessenheit geraten darf. „Dem Ende entgegen – Das Kriegsende im Kreis“: So heißt unsere Serie anlässlich der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945.

Viele Zeitzeugen teilten ihre Erinnerungen im Gespräch mit unserer Redaktion. 80 Jahre nachdem der Krieg offiziell endete, blickten sie zurück. Viele Erlebnisse haben sich eingebrannt: Es sind Bilder, Gerüche und Geräusche, die ein Leben lang bleiben. Egal ob Neugierde, Ungewissheit oder Todesangst: Es sind Gefühle, die nach acht Jahrzehnten noch immer nicht verstummt sind.

Zeitzeugen erinnern sich an Bombenangriffe auf Bad Kreuznach

Die 98-jährige Annemarie Ebertz aus Kirn erlebte den Zweiten Weltkrieg mit ihren drei Geschwistern und ihrer Mutter in Bad Kreuznach, wo sie geboren wurde. „Wir haben im Bäderhaus Wasser geholt und die großen Töpfe mit Schlitten nach Hause gezogen“, erinnert sich Ebertz. Einmal seien auf dem Rückweg Jagdbomber über sie geflogen. Gemeinsam mit ihren Geschwistern habe sie sich Schutz suchend unter einen Baum gestellt. An die Zerstörung ihrer Heimatstadt, vor allem die zerbombten Bahngleise zwischen Bad Kreuznach und Bad Münster, kann sich Ebertz gut erinnern: „Die Erschütterungen und lauten Geräusche haben sich bis heute eingeprägt.“

Die Bombenangriffe auf die Kreisstadt erlebte auch Horst Herrmann mit: Im Juni 1938 geboren, wuchs er in der Fischergasse in der Neustadt auf. Wenn zu Kriegszeiten die Sirenen gingen, habe er meist in einem Weinkeller Unterschlupf gefunden. „Der muffige Geruch des Kellers ist mir als Kind hängen geblieben.“ Im März sei der Krieg in Bad Kreuznach vorbei gewesen. „Viele Leute hatten keine Wohnungen mehr. Es war kalt und es gab nichts zu essen“, erinnert sich Herrmann, der heute im Bad Sobernheimer Stadtteil Steinhardt lebt.

Amerikaner besetzen Dörfer rund um Kreissstadt

Es sind vor allem die letzten Wochen und Monate vor dem Einmarsch der Amerikaner, an die sich die verbliebenen Zeitzeugen erinnern. Sigrid Gebhard aus Norheim, die während des Zweiten Weltkrieges in der Gustav-Pfarrius-Straße in Bad Kreuznach lebte, blickt auf die friedliche Ankunft der amerikanischen Truppen zurück: „Plötzlich hieß es: Die Amis kommen über den Hungrigen Wolf.“ Die US-Soldaten seien freundlich gewesen, so die 86-Jährige. „Die haben Schokoteile mit Nüssen und kleine gebackene Schnitzelchen von ihren Jeeps geworfen. An den Geschmack erinnere ich mich heute noch.“

Rudolf Dröscher, im Januar 1938 geboren, ist Zeitzeuge: Den Zweiten Weltkrieg hat er in Heimweiler erlebt. Besonders der Rückzug der deutschen Wehrmacht und der Einmarsch der Amerikaner sind ihm in Erinnerung geblieben.
Hannah Klein

Schokolade und Apfelsinen aus Dosen: Rudolf Dröscher aus Heimweiler erinnert sich ebenfalls an den friedlichen Einmarsch der Amerikaner, die den Dorfbewohnern ihre Mitbringsel von den Autos aus zuwarfen. „Das haben wir alles vorher nicht gekannt“, sagt der 87-Jährige. Generell habe er als Kind auf dem Land außer dem Rückzug der deutschen Wehrmacht nicht viel mitbekommen.

„Die deutschen Soldaten haben die Häuser besetzt. Die haben alles belagert, wir waren machtlos“, sagt Dröscher. Mit seiner Familie habe er bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen tagelang im Keller gesessen. Einmal sei seine Mutter in dieser Zeit um Brotbacken hinauf gegangen. Als plötzlich eine Rakete im Garten einschlug, sei sie gerade auf dem Rückweg gewesen: „Ich sehe heute noch, wie die Frau die Kellertreppe runterflog.“

Erich Steinhauer, im Mai 1940 geboren, ist Zeitzeuge: Den Zweiten Weltkrieg erlebte er in Hüffelsheim. Als Kind trieb ihn die Neugierde an, er wollte Panzer sehen. Die Gefahren des Krieges nahm er nicht ernst.
Hannah Klein

Der Einmarsch der Amerikaner hat sich auch bei Erich Steinhauer eingeprägt – im Mai 1940 geboren, war er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal fünf Jahre alt. Noch heute lebt Steinhauer in seinem Elternhaus in Hüffelsheim, einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die amerikanischen Truppen seien am 16. März 1945 in Hüffelsheim einmarschiert. „Wir mussten aus unserem Haus raus. Das konnte ich gar nicht begreifen“, sagt Steinhauer.

Obdach fand die Familie bei Bekannten im Ort. „Das Haus war so klein, die hatten selbst keinen Platz.“ Gemeinsam mit seiner Mutter sei er wenige Tage nach dem Einmarsch zurück auf das elterliche Anwesen gekehrt, um die Tiere im Stall zu versorgen. „Meine Mutter hat oben im Haus Sachen für mich zusammengesucht. Da hat die Nachbarin plötzlich aus dem Fenster gerufen: ‚Hol den Jungen weg!‘“

„Meine Schwester hat mich immer zurückgehalten, das habe ich als erdrückend empfunden.“
Erich Steinhauer aus Hüffelsheim, Zeitzeuge des Zweiten Weltkriegs

Vor dem vierjährigen Steinhauer spielt sich eine grausame Szene ab: US-Soldaten verfrachten die leblosen Körper ihrer Kameraden. „Die haben die Toten in ein großes Auto verladen. Von der Seite waren da Fächer, in die man die Menschen einschieben konnte.“ Aufmerksam beobachtet der Junge das Geschehen.

Es ist die Neugierde: Als Kind nimmt Steinhauer den Krieg und seine Gefahren nicht ernst, stattdessen möchte er sehen, wie die großen Panzer rollen und die lauten Kampfflugzeuge am Himmel fliegen. „Meine Schwester hat mich immer zurückgehalten, das habe ich als erdrückend empfunden“, erinnert sich der Hüffelsheimer.

Wie Steinhauer unterschätzte auch die heute 88-jährige Gertrud Herrmann aus Kirn die Gefahren des Kriegs: „Wir Kinder hatten keine Angst.“ Gemeinsam mit ihren drei älteren Brüdern sei die damals Achtjährige sogar draußen gewesen, wenn Bomben fielen.

50 Meter von Herrmanns Elternhaus – nahe der katholischen Kirche – entfernt, sei eine Bombe eingeschlagen, alles habe in Trümmern gelegen. „Wir haben später in den Steinen gespielt. Das war unsere Kindheit, die für uns trotz allem schön war“, sagt die Kirnerin.

Rosemarie Schitteck, im Jahre 1943 geboren, ist Zeitzeugin: Die beiden letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs erlebte sie in Bad Kreuznach. „Ich habe den Krieg nicht mehr so nah erlebt, aber die Nachkriegszeit – und die war genauso schlimm", sagt die 82-Jährige.
Hannah Klein

Rosemarie Schitteck ist 82 Jahre alt, wurde 1943 in Bad Kreuznach geboren: „Ich habe den Krieg nicht mehr so nah erlebt, aber die Nachkriegszeit – und die war genauso schlimm.“ Schitteck wuchs in den Trümmern der Bad Kreuznacher Innenstadt auf, im Wassersümpfchen war sie zu Hause. Das Ausmaß der Zerstörung sei der Bad Kreuznacherin damals nicht bewusst gewesen: „Ich habe aber die Sorgen meiner Eltern, Großeltern und Verwandten mitbekommen.“

Burgen und Häuschen oder Tomatensoße aus roten Steinen: Mit anderen Kindern spielte Schitteck immer auf den Trümmergrundstücken der Stadt. „Das war für uns Kinder sehr spannend.“ Später hätten die Erwachsenen die Bomben unter den Trümmern gefunden. Als Kind habe sie beim Wiederaufbau mitgeholfen: „Im Wassersümpfchen habe ich mit Frauen die Steine abgeklopft.“

„Ich habe den Krieg nicht mehr so nah erlebt, aber die Nachkriegszeit – und die war genauso schlimm.“
Rosemarie Schitteck aus Bad Kreuznach, Zeitzeugin des Zweiten Weltkriegs

Der 8. Mai 1945: An den Tag des offiziellen Kriegsendes haben die wenigsten der Zeitzeugen eine konkrete Erinnerung – im Kreisgebiet war der Krieg mit dem Einmarsch der Amerikaner ab März desselben Jahres vorbei.

Die 1925 geborene Margot Iserhardt aus Roxheim schreibt in einem Brief an unsere Redaktion: „Das Gefühl am 8. Mai 1945 war nicht nur für mich, sondern für alle Familien im Dorf eine große Erleichterung. Der Grund: Alle, die Angehörige beim Militär hatten und seit Dezember 1944 nichts mehr wussten, hofften, dass wenn sie jetzt noch lebten, am Leben blieben.“

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