Von unserem Redakteur Dominic Schreiner
Wo soll ich mich denn jetzt als nächstes festhalten? Was machen eigentlich meine Füße? Habe ich überhaupt einen einigermaßen festen Stand? Die ersten drei, vier Griffe ging ja alles noch recht leicht – jetzt wird es schon anstrengend. Was mache ich eigentlich gerade hier, in etwa 4 Metern Höhe, an der nackten Betonfassade des Glockenturms der evangelischen Kirche St. Matthäus?
34 Meter ragt der Glockenturm in die Luft. Hier dürfen sich ab Samstag Mutige beim Klettern probieren.
Heute und morgen feiert die Kirchengemeinde ihren 50. Geburtstag zusammen mit dem Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) Bad Kreuznach, der 40 Jahre alt wird. Und heute wird auch der Turm zum Klettern freigegeben. Denn bei der ohnehin notwendigen Sanierung des Turms 2014 wurden dort mehr als 500 Haltegriffe angebracht, damit künftig Kletterer ganze 34 Meter gen Himmel stürmen können. Klettern am Kirchenturm – das gibt es in Rheinland-Pfalz kein zweites Mal.
Jugendarbeit mit Klettergurt
Treffpunkt Turm: Primär sollen in den Sommermonaten jeden Donnerstag um 16 Uhr Kinder und Jugendliche aus der Gemeinde zwischen 12 und 16 Jahren mit diesem neuen erlebnispädagogischen Angebot angesprochen werden, doch „wir freuen uns auch sonst über jeden, der kommt“, sagt Manfred Pusch. Pusch, selbst erfahrener Kletterer, und vor allem seit vielen Jahren in der christlichen Jugendarbeit engagiert, hatte die Idee, einen Kirchen- als Kletterturm auszubauen, der bald auch von Kletterern nach Buchung über das Internet (www.cvjm-badkreuznach.de) genutzt werden kann. Jetzt steht Pusch ein paar Meter von mir entfernt auf sicherem Geläuf und passt auf, dass ich nicht abstürze.
Das heißt, er steht fest auf dem Kiesbett, das um den Turm herum angelegt wurde und eventuelle Stürze etwas abfedern kann, und hält das Seil fest, das von seinem Hüftgurt aus hoch zur Turmspitze läuft und von dort wieder runter an meinen Gurt. „Lass die Beine die Arbeit machen“, ruft er mir zu, während ich spüre, wie sich in mir Ungeduld (oder Verzweiflung) breitmacht, weil ich gerade nicht weiß, wie es weitergehen soll. Bevor ich in die Wand bin, hatte er mir erklärt, dass die Beine das Körpergewicht hochdrücken sollen, erst dann sucht sich der Kletterer einen neuen Haltegriff mit den Händen. Einfach gesagt. Aber schwer getan.
Ich blicke angestrengt nach unten, während ich wie eine Spinne an der Wand klebe – oder zumindest versuche, nicht abzurutschen. Dann entdecke ich eine neue Möglichkeit, die ich mit meinem Fuß tatsächlich erreichen könnte, nehme meinen ganzen Mut zusammen, stemme meinen Körper mit dem höher platzierten Bein in die Höhe, erreiche mit dem anderen Bein den neuen Haltepunkt, greife schnell nach irgendeinem Griff (sind die aber klein!), den ich irgendwie erreichen kann, und halte mich leicht verkrampft fest. Geschafft. Wieder ein halber Meter mehr an Höhe. Ich atme durch. Und vertraue darauf, dass Pusch mich auch wirklich abfangen wird, sollte es nötig werden.
Ein Sport mit Symbolcharakter
Vertrauen in den Kletterpartner ist bei diesem Sport sehr wichtig. Und für Pusch ein guter Ansatz, um auf sein eigentliches Anliegen aufmerksam zu machen. Denn hier am Turm geht es nicht nur um das Klettern, es geht auch um Arbeit mit jungen Menschen, und es geht nicht zuletzt um Glauben. „Das Kletterseil kann durchaus für Gott stehen“, erläutert Pusch, „stell dir vor, du kommst in eine Situation, die empfindest du als bedrohlich oder als Angst einflößend – aber du hast dann eine Sicherung dabei.“
Ich kann dieses Bild gut nachvollziehen. Vor allem dann, als ich die nächste Höhe überwinden will, bin ich froh, dass ich mich gut gesichert weiß. Das Spiel wiederholt sich, ich muss mein inneres Ich, das mir ständig zuflüstert: „Was machst Du da gerade?“ austricksen. Schauen, drücken, halten, ziehen. Immerhin komme ich so auf 7 Meter Höhe. Das klingt nicht wirklich beeindruckend, aber später wird mir Pusch erzählen, dass er bei seinem ersten Versuch auch nicht höher kam – tröstlich. „Ich kann nicht mehr“, rufe ich ihm zu, die Muskeln in meinen Unterarmen brennen, aber vor allem mein Kopf will nicht mehr. „Lass Dich fallen“, antwortet Pusch ruhig. Ein kurzes Zögern, dann lasse ich den Griff los und baumel sicher im Seil.
„Ich kann dir das tausendmal erklären“, sagt Pusch, als ich wieder am Boden bin, etwas enttäuscht darüber, dass ich nicht höher gekommen bin. „Aber das wird nur durch das Selbsterfahren besser. Das ist eine Metapher, die auch für den Glauben stehen kann“, ergänzt er. Und ich glaube ihm das.