Das Verfahren war in besonderer Weise durch massive Versuche der Zeugenbeeinflussung und Einschüchterung durch Personen aus dem Umfeld des Angeklagten geprägt. An diesem dritten Verhandlungstag wurden nicht nur routinemäßig Personenkontrollen durchgeführt, im Schwurgerichtssaal hatte man auch die Sicherheitstrennwand aufgebaut. In erster Linie, weil der ehemalige Präsident der Vereinigung, der gegen den Angeklagten und früheren Vizechef der Gang ausgesagt hatte, sowohl im Vorfeld der Verhandlung als auch am zweiten Prozesstag bedroht worden war.
„Du hast alles verloren, ich bestelle einen Auftragskiller in der Türkei“, soll ihm eine Schwester des Angeklagten in einer Verhandlungspause vor dem Gerichtsgebäude zugerufen haben. Schon Wochen vorher soll es mehrere Einbruchsversuche in seine Wohnung gegeben haben, berichtete der 25-jährige Ex-Präsident. Er hat das Verfahren in Sachen No Mercy noch vor sich und wird sich unter anderem auch wegen zweier Vorfälle verantworten müssen, die jetzt zur Verurteilung des Angeklagten geführt haben.
Dabei ging es im ersten Fall um pure Machtdemonstration, bei der ein damals erst 16-Jähriger mit Elektroschocks gequält wurde. Der Angeklagte und der Ex-Präsident traktierten den Jugendlichen, der lediglich als Mitläufer einzustufen ist, mit einem Taser, forderten ihn auf „zu tanzen“, und als er sich weigerte, musste er sich selbst Elektroschocks verabreichen.
„Das war menschenverachtend“, so Staatsanwalt Wolfgang Jung, der eine Haftstrafe von sechseinhalb Jahren beantragte. „Die Todesangst dieses Zeugen war bei seiner Aussage hier im Saal zwei Jahre nach dem Vorfall deutlich zu spüren“, unterstrich der Vorsitzende Richter Folkmar Broszukat. Der zweite Anklagevorwurf der Freiheitsberaubung betraf einen 20-Jährigen, der sich den Unmut der Bosse zugezogen hatte, als er weisungsgemäß eine Frau akquirierte, die für die Bande als Prostituierte arbeiten sollte. Weil er mit einer erst 15-Jährigen im Vereinstreff erschien, sollte er abgestraft werden.
Er durfte den Raum nicht verlassen, und der Angeklagte sowie der Ex-Präsident drohten ihm eine Art Spießrutenlaufen an. „Sport machen“ hieß das im Sprachgebrauch der No-Mercy-Mitglieder: Eine Minute schlagen und treten reihum mehrere Männer auf den in der Mitte stehenden „Delinquenten“ ein. Der 20-Jährige konnte damals zum Glück unter einem Vorwand fliehen. Sowohl Staatsanwalt Jung als auch Richter Broszukat betonten nachdrücklich den kriminellen Ursprung der Bande. „Die Gruppe hat sich offen gegen den Rechtsstaat gestellt, sie wollte einen Schutz gewähren, der von niemandem gewünscht wurde“, so Broszukat. Eine Schwester des Angeklagten kündigte noch im Gerichtssaal an, dass der Angeklagte Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird.