Ost-West ohne Alternative
Reif und Popp sind beide Befürworter einer Entlastungsstraße entlang des Kohlenwegs. Früher wurde sie Ost-West-Trasse genannt. Reif betont aber, ihm gehe es vorrangig um die Entwicklung und Belebung der Innenstadt. Um diese – von der Moltkestraße bis zur Bosenheimer Straße, vom Bahnhof mit dem Europaplatz als parkähnliche Anlage bis zum Bocksbrunnen – für Handel, Gastronomie und Investoren attraktiver zu machen, sie zu begrünen, radfahrer- und fußgängerfreundlich sowie weitgehend autofrei zu machen, brauche man aber diese Entlastungsstraße. „Ich denke, dass man Kreuznach ohne die Entlastungsstraße nicht beleben kann“, ist Reif überzeugt. Nur so lasse sich der Verkehr sinnvoll ordnen, könne man in der Innenstadt auch Platz schaffen und sie attraktiv machen für Radfahrer, Fußgänger sowie den ÖPNV. „Wir müssen die Leute in die Stadt bekommen.“ Wenn jemand eine Idee hat, wie dies ohne eine Entlastungsstraße bewerkstelligt werden kann, soll er sich melden, findet Reif. Sinnvolle Gegenvorschläge habe er bisher noch keine vernommen. Seine Meinung an der fortwährenden Kritik, die Ost-West-Trasse stelle das Auto über andere Verkehrsmittel, lautet: „Viele sehen gar nicht, dass durch den gebündelten Autoverkehr ja auch Platz für Radfahrer und Fußgänger entsteht.“
Die Pläne für eine solche Straße gibt es seit den 1960er-Jahren. Sie reichten ursprünglich bis zum heutigen Stadtteil Bad Münster am Stein. Eine Tunnellösung, um das Salinental, die grüne Lunge der Stadt, vom Verkehr zu entlasten, war dabei auch im Gespräch. Und eine solche bringt auch Reif wieder ins Spiel – aber nicht parallel zur Bahnlinie, sondern eine Untertunnelung des Rabenkopfs, von der Salinenbrücke bis westlich des Felsenecks. Auch dies ist aus seiner Sicht „eine sinnvolle Lösung“. Und da es sich dabei um eine Bundesstraße handelt, müsste die Stadt für die Kosten nicht aufkommen. Aber klar ist beiden auch: Ein Tunnelprojekt ist die unwahrscheinlichste unter all den kursierenden Verkehrsvarianten. 2010/2011 war man dem Bau einer Ost-West-Verbindung von der Ochsenbrücke bis zur Bahnunterführung bei der Polizei am nächsten: Die Pläne waren fertig, aus Reifs Sicht „perfekt“, bei der Finanzierung war man auf einem guten Weg.
Damals kalkulierte man mit Gesamtkosten von 20 Millionen Euro. Ihren Kostenanteil vom 20 Prozent hatte die Stadt durch den Grundstückerwerb fast vollständig entrichtet, die verbleibenden 80 Prozent sollten durch Bund und Land getragen werden. Die Deutsche Bahn hatte eine Kostenbeteiligung für die Aufweitung der Unterführung an der Polizei bereits zugesagt. Heute würde eine Umsetzung wohl um mehr als 10 Millionen Euro teurer werden. Das ist für Reif und Popp aber kein Argument dafür, das Projekt fallen zu lassen, sondern man müsse es anpacken.
„Die Innenstadt muss interessant gemacht werden, und dazu bedarf es der Entlastungsstraße.“ Reif betont, das Scheitern der damaligen Pläne könne man nicht auf das Ergebnis der Bürgerbefragung dazu abwälzen, die Verantwortung trage seitdem vielmehr Oberbürgermeisterin Heike Kaster-Meurer.
Mehrheit schwindet langsam
Inzwischen sind die Befürworter einer Ost-West-Verbindung in der Stadtpolitik deutlich weniger geworden: Kein Vergleich zu dem verstorbenen Peter Anheuser oder Werner Klopfer, die sich vehement dafür eingesetzt haben. Reif geht sogar noch einen Schritt weiter: Seit den 1960/70er-Jahren habe es immer wieder eine Partei verstanden (gemeint ist die SPD), den Bau der Entlastungsstraße zu verhindern und eine zukunftsfähige Entwicklung der Kernstadt zu blockieren. Zwar sieht auch das fünf Jahre alte Integrierte Verkehrsentwicklungskonzept (Ivek) nach wie vor eine Ost-West-Entlastungsstraße vor, doch viel mehr dazu gibt es nicht. Vielleicht kommt ja durch den anvisierten neuen Grundschulstandort auf dem Diakoniegelände am Bösgrunder Weg südlich des Kohlenwegs neuer Schwung in die Planung, denn bei einem Schulneubau dort muss auch die Verkehrssituation und -anbindung in dem Bereich zumindest bis zur Rheingrafenstraße geklärt werden – auch ohne die belastenden hochemotionalen Diskussionen darüber in den vergangenen Jahrzehnten. Reif betont ebenfalls: „Das Thema Entlastungsstraße muss entemotionalisiert werden, und die Fakten müssen als Entscheidungsgrundlage in den Fokus gerückt werden.“ Offiziell ist das Vorantreiben der Ost-West-Trasse immer noch politische Beschlusslage, auch wenn die später verabschiedete Machbarkeitsstudie zum Ausbau des Kohlenwegs wie ein Notausstieg aus dem kostspieligen und an wechselhaften politischen Mehrheiten krankenden Projektes wirkt. Man muss sich keine Illusionen machen: Das Projekt Ost-West-Trasse scheint auf Raten zu sterben.
Auch Klimaschutz ein Faktor
Andreas Popp fasst den Bogen weiter. Der Klimaschutz werde als übergeordnetes Argument für die Verkehrswende eingeführt, ergänzt er und lenkt den Blick aber noch auf einen anderen Aspekt: Er sieht in der Stadt auch ein Ungleichgewicht im Verhältnis von Neubauprojekten zur Instandsetzung von alten Gebäuden. Letzteres erzeuge wesentlich weniger Kohlendioxid, hinterlasse damit klimapolitisch einen viel besseren Fußabdruck.
Alles in allem: „Es gibt kein Konzept, alles ist Flickschusterei“, kritisiert der passionierte Radfahrer Popp die Situation für Radfahrer im Gesamtverkehrsnetz. Für ihn sind die geplanten Radstreifen in der Wilhelmstraße ein Witz. Reif geht sogar noch weiter: „Es gibt für nichts ein Konzept in Bad Kreuznach. Das ist das Problem.“ Er habe eines entwickelt, eine Vision für die Zukunft, nur das interessiere niemanden. „Es wird nicht zukunftsorientiert geplant in Bad Kreuznach.“