Seit Februar herrscht in Europa wieder Krieg. Ein Krieg, der nicht nur unsägliches Leid für die Zivilbevölkerung mit sich bringt, sondern auch für die Soldaten. Sowohl auf russischer wie auf ukrainischer Seite geraten Soldaten täglich in Kriegsgefangenschaft. Kein leichtes Schicksal, wie die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers Bretzenheim zeigt.
Auch darum möchte der Winzenheimer Ortsvorsteher Mirko Helmut Kohl das Lager als Mahnmal gegen den Krieg wieder stärker ins Bewusstsein rücken. Verbündete hat er beim Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge Rheinland-Pfalz/Saarland in Mainz mit Landesgeschäftsführer Carsten Baus und Bildungsreferent Dennis Köppl gefunden.
Baus macht im Dokumentationszentrum „Lager Bretzenheim“ im ehemaligen Amtshaus deutlich, wie wichtig es ist, die Geschichte des Lagers immer wieder herauszuarbeiten. Darum fordert Baus auch, Dinge rund ums Lager rational zu betrachten, sie zu entmythologisieren. Ein Besuch im Dokumentationszentrum ist da ein guter Anfang. Durch die Sammlung von Originalen wie Schriften und Gebrauchsgegenständen wird deutlich, wie der Alltag in diesem Lager ausgesehen hat.
Aber auch, dass dort Menschen hinter Zäunen saßen, die einer geschlagenen Armee angehörten. Menschen, die teils daran beteiligt waren, als die Wehrmacht 1941 weite Teile Europas erobert hatte, waren nun zwischen 1945 und 1948 auf wenigen Hektar zwischen Bretzenheim und Winzenheim hinter Stacheldraht eingesperrt. „Das Lager Bretzenheim ist ein wichtiger Ort, gehört er doch zu den authentischen Orten des Zweiten Weltkrieges“, sagt Baus. Er weiß, dass dieser Ort bis heute Menschen von links- und rechtsaußen polarisiert. „Jüngst haben ihn sogar Esoteriker entdeckt“, berichtet der Landesgeschäftsführer. Dabei soll er doch laut Kohl nur eins sein: ein Ort des „Nie-Wieder“ – ein Ort gegen den Krieg.
Vor zwei Jahren hatte der Winzenheimer Ortsvorsteher eingeladen, das Lager zu umgehen. „Ich wusste, dass es das Lager gab, war aber überrascht, wie groß es tatsächlich war. Die wirklichen Ausmaße sind heute nicht mehr einfach nachvollziehbar, da Teile in Bretzenheim überbaut wurden. Übrigens hat die Bebauung gezeigt, dass sich im Bereich des Lagers keine Goldgräberstimmung einstellen kann. Bei Ausschachtungen wurde dort nichts gefunden, sodass niemand auf Schatzsuche gehen braucht.
Dokumentationszentrum wächst
Einer, der es doch tut, ist der gebürtige Bretzenheimer und heute in Winzenheim lebende Heinz-Jürgen Dilli. Er sucht allerdings nach Artefakten aus dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager im Internet. Sein bevorzugtes Grabungsgebiet ist Ebay. Dort hat er schon manches ersteigert. Der verrückteste und zugleich persönlichste Treffer war der eines Entlassungsscheins. Erst als er ihn in Händen hielt, wurde er auf den Namen aufmerksam. Der war auf einen Josef Dilli ausgestellt und trug das Geburtsdatum seines Vaters. Dilli hatte den Entlassungsschein seines Vaters Josef ersteigert.
Aber selbst dieses Stück Familiengeschichte will er nicht behalten. Wie viele andere Dinge zum Kriegsgefangenlager bekommt er einen Platz im Dokumentationszentrum. Denn nur dort, wo sie für die Allgemeinheit zugängig sind, sind solche Dinge nutzbar. Schließlich ist es Ziel des VdK, zu erinnern und zu mahnen. Darum möchten Baus und Köppl auch das Lager und Dokumentationszentrum stärker in der Öffentlichkeit verankern. „Die Geschichte des Lagers ist nämlich vielschichtiger als manch einer denkt“, wissen die VdK-Mitarbeiter.
Es ist eben nicht nur das Lager vom Mai 1945, als die Amerikaner dort 130.000 teils ausgezehrte Wehrmachtssoldaten unterbrachten, die oft keine Ausrüstung mehr hatten. Köppl verhehlt nicht, dass die amerikanischen Bewacher, die zuvor als Infanteriedivision bei der verlustreichen Ardennenoffensive und der Schlacht im Hürtgenwald eingesetzt waren, nicht immer zimperlich mit ihren Gefangenen umgegangen sind.
Am Ende das Tor zur Freiheit
Aber Bretzenheim war auch das Lager, das später einen Sportplatz und ein Freibad hatte. Und am Ende ein Tor zur Freiheit. Denn 1948 war Bretzenheim Entlassungslager für die letzten Deutschen in französischer Kriegsgefangenschaft.
Dass die Geschichte des Lagers kein alter Zopf ist, beweisen nicht so sehr extrem Rechte oder Linke, sondern junge Leute wie die Schülerin Liana Frank, die sich mit Lagerbiografien beschäftigt.