„Wir haben nie gesagt, dass wir nichts bezahlen wollen. Mit vielen von uns wurde gar nicht gesprochen“, kritisiert die Bosenheimerin Sigrid Lorenz, eine von zehn sogenannten privaten Fremdanliegern. „Es geht uns nicht darum, uns vorn Kosten zu drücken, wir wollen fair behandelt werden und transparent wissen, was wir bezahlen müssen.“
Der Streit um die Erschließung des zweiten Bauabschnitts des Neubaugebiets „In den Weingärten“ zieht immer weitere Kreise. Am Montag war er Thema im Finanzausschuss, demnächst werden sich der Stadtrat am 15. Juni in einer Sondersitzung und der Gewobau-Aufsichtsrat damit befassen. Die Gewobau-Spitze um Geschäftsführer Karl-Heinz Seeger gerät immer mehr unter Druck und in die Defensive. Insgesamt sind es elf Fremdanlieger (zehn private), die dort etwa 26.500 Quadratmeter Bauland besitzen und mit 2,4 Millionen Euro an den Erschließungskosten beteiligt werden sollen, die sich weigern, den Vertrag so zu unterschreiben.
Die den Fremdanliegern avisierten Kosten für die Erschließung reichen je nach Grundstücksgröße anteilig von 48.000 Euro bis zu 733.000 Euro. Der Anlieger mit der größten Flächenzahl ist aber keine Privatperson, sondern die Stiftung Kreuznacher Diakonie, einer der größten Arbeitgeber der Region. Dort gibt es aber inzwischen eine Annäherung in Sachen Erschließung. Die Problematik: Mit der Gewobau wurde mittels eines städtebaulichen Vertrags von 2015 die Erschließung des Gebietes vereinbart. Der Vertrag enthält unter anderem die Regelung, dass die Stadt keine Kosten für den Ausbau von Kanal, Straße et cetera von den Anliegern erhebt, sondern die Gewobau. Bereits ohne die unterschriebenen Verträge zur Kostenübernahme von allen in der Tasche zu haben, legte man mit der Erschließung los, in der Hoffnung, sich zu einigen – so wie es im ersten Bauabschnitt gelungen ist.
Das Hauptproblem aus Sicht der Anlieger: Noch immer habe es die Gewobau nicht geschafft, eine sattelfeste Kostenübernahmeregelung vorzulegen, erklärt Rechtsanwalt Herbert Emrich, der einige Anlieger vertritt. Dort seien Positionen aufgelistet, die nichts mit den Fremdanliegern zu tun hätten und deswegen auch nicht von ihnen zu zahlen seien. Da gehe es vor allem um Rechtsbeistandskosten, die die Gewobau nun versuche, auf die Anlieger umzulegen, oder Kosten für die Machbarkeitsstudie der Gebietsentwässerung. „Würde die Stadt die Erschließung machen, müsste man sich an einen Kostenkatalog halten. Hier werden nun fleißig die Kosten abgedrückt“, wirft Harald Schäfer vor, der gemeinsam mit seiner Frau Petra dort Flächen besitzt. Die ihnen zugesendete Vereinbarung sei eine „Blankvollmacht“. Emrich geht noch weiter: „Dieser Vertrag ist so schlecht, dass man ihn eigentlich nicht besprechen kann.“
Auch sieht er eine andere Klippe: Die anvisierte Umgestaltung des Erschließungsvertrags zwischen Stadt und Gewobau, in der Weise, dass die Stadt die Erschließungskosten für die Gewobau erhebt, sei nicht zu machen. Der Vertrag sei für die Stadt von Vorteil, und in eine derartige Rechtsposition könne weder Oberbürgermeisterin Heike Kaster-Meurer noch der Stadtrat eingreifen. „Die Oberbürgermeisterin sehe ich in einem wirklichen Interessenskonflikt, weil jede Änderung des städtebaulichen Vertrags einen Nachteil für die Stadt mit sich bringt.“
Emrich rätselt, warum die Geschichte gerade jetzt aufploppt. „Diese Probleme sind der Gewobau seit 2015 bekannt.“ Seine Forderungen sind klar: Es müssten die Altlasten (unter anderem während des Umlageverfahrens an Weinbergen entstandene Schäden) beseitigt und ein Schlichtungsverfahren gestartet werden.
Ein anderer Fremdanlieger aus Ingelheim schildert dem „Oeffentlichen“ seine Sicht der Dinge: Bereits im Dezember 2019 hat er sein Grundstück gekauft, „bis heute aber nicht einmal eine Kostenvereinbarung erhalten, die ich hätte unterschreiben können“. Man legte ihm lediglich einen „Entwurf“ (inklusive Wasserzeichen) vor, „der schlichtweg inakzeptabel war“. Nicht nur seien die Höhe der Erschließungskosten horrend für ein derartiges Gebiet (nahezu 100 Euro pro Quadratmeter), „auch die Bedingungen des Erschließungsvertrages sind höchst einseitig und vollständig zulasten der Fremdanlieger“. Es werde keinerlei Fertigstellung garantiert oder in Aussicht gestellt, was wiederum eine Bauplanung extrem erschwere, kritisiert er.
So heißt es in dem Entwurf vom 13. November 2020, bei den unter „Kostenpositionen“ aufgeführten Beträgen handele es sich teilweise um Schätzungen. „Die Gewobau behält sich vor, Positionen aus der Anlage ,Kostenpositionen' zu erweitern, zum Beispiel bei unerwartetem Aufwand für die Erfüllung des städtebaulichen Vertrags der Stadt.“ Weiterhin hält sich die Gewobau ein einseitiges Rücktrittsrecht offen – „wenn sich nicht sämtliche Eigentümer von Grundstücken im zweiten Bauabschnitt zur anteiligen Übernahme von Erschließungskosten verpflichten“.
Im Grunde stehe dort zusammengefasst, so der Eigentümer: „Wir werden erschließen – irgendwie, irgendwann, zu horrenden Kosten, und wir können bis zu zwei Jahre nach Erschließung sogar nochmals in unbeschränkter Höhe nachfordern. Zudem garantieren wir nichts und behalten uns einen Rücktritt von der Erschließung vor.“
Auch im Hinblick auf einen Gesprächstermin, um seine Sorgen und Bedenken im gemeinsamen Gespräch auszuräumen, habe es wiederholt und über inzwischen eineinhalb Jahre lediglich ablehnende Reaktionen gegeben: Es hätten ihn nur wiederholte Drohungen erreicht: „Entweder Sie unterschreiben, oder wir werden Ihre Anschlüsse entfernen, die Erschließung rückgängig machen, und Ihr Grundstück ist danach nichts mehr wert.“
Er empfinde dieses Geschäftsgebaren als „absolut unseriös“: Die Gewobau hat 2015 einen Erschließungsvertrag geschlossen, aus dem klar hervorgeht, dass man das Risiko hat, Fremdanlieger an den Kosten zu beteiligen. „Heute ist man mit der Erschließung weit fortgeschritten, hat aber offensichtlich schlichtweg vergessen, eine Kostenvereinbarung rechtzeitig mit mir zu erwirken.“ Da frage er sich, wie man bereits 13 Millionen Euro ausgeben kann, dabei aber die Fremdanlieger teilweise vergessen habe. „Sollte man nicht vor Erschließungsbeginn die Fremdanlieger bereits beteiligt haben? Für mich ist das unerklärlich.“ Er habe der Gewobau angedeutet, dass er für ein klärendes Gespräch zur Verfügung stehe. Doch offenbar habe man dort keinerlei Interesse daran. Der Grundstückseigentümer betont, er würde sehr gern eine Kostenvereinbarung abschließen, „aber nicht zu diesen knallharten und einseitigen Bedingungen“.