Christina Gann: Leiterin des Hauses Eugenie Michels der Diakonie legt ihr drittes Buch vor - Erfahrungen verarbeitet
„Den Tod umarmen“: Bad Kreuznacher Hospizleiterin schreibt über das Leben
Hospizleiterin Christina Gann (50) hat ihr drittes Buch geschrieben. In „Den Tod umarmen – Tagebuch einer Hospizleiterin“ schreibt sie über das Leben in der Kreuznacher Einrichtung. Sie sagt: „Wir im Hospiz möchten allen Gästen vermitteln: Das hier ist deine Zeit. Am Ende darf das Sterben sein.“ Foto: Cordula Kabasch
Cordula Kabasch

Christina Gann, Leiterin des Hauses Eugenie Michels der Diakonie, legt ihr drittes Buch vor. Wie sie darin ihre persönlichen Erfahrungen und die mit ihren Patienten verarbeitet.

Das Tagebuch einer Hospizleiterin, die seit 2009 Menschen beim Sterben begleitet hat: Kann das eigentlich mehr sein als todtraurig? Darauf gibt Christina Gann in ihrem neuen Werk „Den Tod umarmen“ eine klare Antwort: Sie mag vielleicht ihre Leser damit überraschen, vor allem, da es leichtere Themen gibt als das Lebensende: Was die Leiterin des Eugenie-Michel-Hospizes täglich erlebt und mit nach Hause nimmt, ist ein starkes, freudiges Ja zu sich selbst und zum Leben. Und das möchte Christina Gann weitergeben, wie sie im Interview mit dem Oeffentlichen Anzeiger erklärt.

Frau Gann, wenn die Leute hören, was und wie Sie arbeiten: Was ist die häufigste Reaktion?

„Wie kannst du dort arbeiten?“ Das ist eine Frage, die ich oft gestellt bekomme. Oder mir wird gesagt: „Ich könnte das nicht.“ Ja, es ist oft traurig, in einem Hospiz zu arbeiten, weil man manchmal den Menschen nur dadurch Halt geben kann, indem man mitfühlt. Das kann auch sehr schmerzhaft für einen selbst sein. Denn wir setzen uns neben den anderen, der gerade leidet, und halten seine körperlichen oder seelischen Schmerzen mit ihm zusammen aus.

Aber unser Haus ist ganz klar auch ein Ja zum Leben. Wir begleiten unsere Gäste auf ihrem letzten Weg, und unser Grundsatz dabei ist: Alles kann, nichts muss. Wir nehmen die Menschen an, wie sie sind. Ohne Vorurteile und Wertung, sondern mit Verständnis und Empathie. Bei uns geht es um Lebensqualität. Wir tun, was wir können, damit es unseren Gästen in ihrer letzten Zeit gut geht.

Was gibt Ihnen die Kraft, das Sterben immer wieder auszuhalten?

Eine Kraftquelle für mich sind meine drei Hunde, mit denen ich oft in der Natur bin. Zu akzeptieren, dass das Leben endlich ist, ist eine weitere. Das Leben wird viel wertvoller, wenn man sich dessen bewusst ist und für sich klar hat, dass der Tod für uns alle nur eine Frage der Zeit ist. Diese Themen verarbeite ich auch in meinen Büchern.

„Den Tod umarmen“ ist ihr drittes Buch. Sie haben drei Jahre daran gearbeitet. Was hat sie veranlasst, mit dem Schreiben zu beginnen?

In gewisser Weise bin ich dazu hingeführt worden. Ich hatte vor etlichen Jahren selbst eine schwere Krankheit, als meine beiden Söhne noch klein waren, und ich wusste nicht, ob ich sie aufwachsen sehen würde. Es war Brustkrebs, und er war schon weit fortgeschritten. Die Beschäftigung mit meinem eigenen Ende hat mich als Krankenschwester und Pflegemanagerin unter anderem in die ambulante und stationäre Palliativversorgung geführt und in das Ethik-Komitee der Helios-Kliniken in Wiesbaden.

Welche Aufgaben hatten Sie im Ethik-Komitee?

Wir hatten die Aufgabe, den mutmaßlichen Willen von Patienten herauszufinden, die ihn selbst nicht mehr mitteilen konnten und keine Patientenverfügung hinterlassen hatten. Ein Beispiel dafür ist ein Patient, der seit zehn Jahren im Wachkoma liegt. Hätte er lebensverlängernde Maßnahmen gewünscht? Das war eine wichtige Frage, die wir zu klären hatten. Danach kam ich als Hospizleiterin nach Bad Kreuznach und Simmern. Meine Bücher sind nicht nur Teil meiner eigenen Verarbeitung, sondern ich möchte damit die Botschaft vermitteln, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod eine große und sinnstiftende Chance ist. Ich möchte Hoffnung schenken und Mut machen. Entscheidend ist letztlich, wie man gelebt hat. Und so, wie wir gelebt haben, so sterben wir auch.

Über Christina Gann

Christina Gann ist 50 Jahre alt, lebt in Odernheim am Glan und ist seit 2018 Leiterin des Eugenie-Michels-Hospizes in Bad Kreuznach. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenpflegerin in Stuttgart, studierte in Mainz Pflegemanagement und war in den Wiesbadener Helios-Kliniken unter anderem im Qualitäts- und Vertragsmanagement tätig sowie im Ethik-Komitee.

Eine weitere Station ihres beruflichen Werdegangs war die ambulante Palliativversorgung im Wiesbadener St.-Josefs-Hospital, ehe sie die Leitung des Kreuznacher Hospizes übernahm. Christina Gann hatte einen Lehrauftrag an der Hochschule in Mainz und war Referentin bei der Landesärztekammer in Bad Nauheim. Die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen schreibt seit mehreren Jahren Bücher und hat inzwischen drei Werke bei zwei Verlagen veröffentlicht. cob

Was meinen Sie damit?

Menschen, die mit sich im Reinen sind und ihr Leben sowie dessen Ende und damit das Sterben akzeptiert haben, können meistens leichter in Ruhe und Frieden gehen als diejenigen, die schwerwiegende und ungelöste Probleme mit sich herumtragen. Für sie ist das Loslassen oft schwieriger. Wir im Hospiz möchten allen Gästen vermitteln: Das hier ist deine Zeit. Am Ende darf das Sterben sein. Wir begleiten unsere Gäste dabei, wenn sie das wünschen. Wir machen nichts, um das Leben zu verlängern. Das oberste Ziel ist es immer erst einmal, die Schmerzen so weit wie möglich zu verringern.

Wer darf zu Ihnen ins Hospiz kommen? Können Sie alle aufnehmen, die um einen Platz bitten?

Für eine Aufnahme brauchen wir eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung über ein komplexes Symptomgeschehen. Die Erkrankung muss weit fortgeschritten sein und in absehbarer Zeit zum Tod führen. Wir können leider nicht alle aufnehmen, die kommen wollen, sondern haben eine Warteliste für unsere zwölf Plätze. Meist rufen uns Sozialdienste aus den Krankenhäusern oder ambulante Dienste an, die ihre Patienten auf die Wartelisten setzen lassen. Sie verfahren auch so bei anderen Einrichtungen. In Simmern im Aenne-Wimmers-Hospiz der Kreuznacher Diakonie gibt es acht weitere Plätze.

Wie lange bleiben die Menschen im Hospiz?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche nur wenige Stunden oder Tage, andere Monate. Manche werden wieder nach Hause entlassen, wenn sich der Zustand wider Erwarten stabilisiert. In der Regel übernehmen die Kostenträger eine Zeit von vier bis sechs Wochen im Hospiz und verlängern, wenn es nötig ist.

Wer kommt zu Ihnen ins Hospiz? Sind das überwiegend allein lebende Menschen?

Es können allein lebende Menschen sein oder Patienten, bei denen das Umfeld nicht oder nicht mehr in der Lage ist, sie daheim zu versorgen. Für die Angehörigen kann der Aufenthalt im Hospiz die letzte Zeit unglaublich entlasten, weil sie dann nur noch in ihrer eigentlichen Rolle als Schwester oder Bruder, Ehefrau oder Ehemann, Freund oder Freundin für die Menschen da sein können. Das bringt sie wieder näher zueinander.

Worum geht es in ihrem neuesten Werk?

In einem Teil meines Buches erzähle ich über die Begleitungen von Menschen, die in unserem Hospiz gelebt haben. Ich schreibe darüber, wie diese Menschen ihre letzte Zeit bei uns verbringen, wie sie sie mit Leben füllen, was sie bewegt und wie sie sterben. Ich beschreibe, wie unser Therapiebegleithund den Menschen Frieden und Entspannung bringt, wie es ist, wenn unser Minipferd unsere Gäste besucht oder wie eine Aromatherapie Menschen helfen kann, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Hinzukommen psychologische, philosophische und spirituelle Gedanken sowie Kommentare, um das Erlebte einzuordnen. Aber auch meine Selbstzweifel, meine eigenen Irrungen und Wirrungen kommen zur Sprache.

Das Gespräch führte

Cordula Kabasch

„Den Tod umarmen – Aus dem Tagebuch einer Hospizleiterin“ ist in der Kelkheimer Edition Pauer erschienen, hat 186 Seiten und kostet im Buchhandel 16 Euro.

Top-News aus der Region