Der Mensch im Mittelpunkt?
Der Mensch im Mittelpunkt – die Bilder von den Zuständen in den Zimmern der behinderten Menschen, die Eltern uns zeigen, sprechen eine andere Sprache. 13 Eltern und einige in der Warteschleife sorgen sich um ihre Kinder, wollen sich mit den Missständen nicht weiter abfinden. Zwei Mütter, Margot Fückel und eine, die ungenannt bleiben möchte, trafen sich nun mit unserer Zeitung, um ihre Kritik öffentlich zu machen.
Dabei hat Fückel, deren behinderter Sohn seit 23 Jahren in einem Wohnheim der Diakonie lebt, erst das Gespräch mit den Verantwortlichen gesucht. „Fast alle Eltern unserer Gruppe haben mit Herrn Griebel gesprochen und Kritik an den Zuständen geäußert. Das Ergebnis ist gleich null“, sagen die besorgten Mütter. Holger Griebel ist Geschäftsbereichsleiter Behindertenhilfe der Diakonie. Während er sich zumindest die Kritik anhörte, werden laut Fückel in einer Wohneinrichtung Eltern sogar unter Druck gesetzt, wenn sie sich aus Sorge um ihre Kinder beschweren.
Grenzwertige Aussagen der Hausleitung
Rita Schieler, ein drittes Elternteil, musste das erleben. Seitens der Hausleitung habe man ihr gesagt, wenn sie mit ihrer Kritik nicht aufhöre, wirke sich das nachteilig auf die Pflege ihres Sohnes aus. „Das ist schon grenzwertig“, so beide Frauen unisono. Auch Griebel spricht da Klartext, sollte es zu so einem Vorfall gekommen sein: „Das passt weder zu meinem Verständnis noch zu dem der Diakonie. Wir werden dem nachgehen.“
Dabei war die Diakonie aus Sicht der Eltern, die sich zusammengeschlossen haben, um für das Wohl und die Rechte ihrer Kinder zu kämpfen, mal eine gute Adresse für behinderte Menschen. „Ich habe mittlerweile das Vertrauen in die Diakonie verloren“, sagt Fückel. Knackpunkt aus Sicht der beiden Kritikerinnen sind die Einsparungen beim Personal. Die wenigen Mitarbeiter sind engagiert, arbeiten daher am Limit und seien folglich häufiger körperlich und psychisch erkrankt. Die Folge sei, dass durch deren Ausfall noch wenigere noch mehr machen müssten.“
Essen oder Sauberkeit: Geht nur eines?
Eine Mutter musste sich auch schon anhören, dass sich das Personal entweder ums Essen oder um die Sauberkeit kümmern kann – beides ginge aus zeitlichen Gründen nicht. Aber Schwerst- oder Mehrfachbehinderte brauchen nun einmal deutlich mehr Pflegeaufwand. Diesen Mehraufwand lasse die Diakonie sich gut bezahlen. Fückel hat mal gerechnet und kam zu dem Ergebnis, dass die Diakonie für die Grundversorgung ihrer Behinderten zwei-, wenn nicht dreistellige Millionenbeträge erhalte. Für das Zimmer und Essen kassiere sie dann nochmals. „Dafür kann man eigentlich auch mal renovieren“, fordern die beiden Kritikerinnen.
Mutter organisiert Reiten nun selbst
Die Elterninitiative wundert sich: Werde doch immer wieder gesagt, das Geld reiche nicht. „Wieso schreibt der Bereich dann schwarze Zahlen?“ Dass das Angebot immer weiter eingeschränkt werde, sei fatal. Denn im Behindertenbereich gehe es nicht darum, Menschen bloß zu verwahren, sondern um Mobilität. Schwimmen oder therapeutisches Reiten seien beispielsweise wichtige Angebote, damit die behinderten Menschen fit blieben. Angebote in dieser Richtung gebe es nicht mehr.
Der Sohn von Margot Fückel sei zeitweise richtig fit gewesen, dann sei das therapeutische Reiten abgeschafft worden. Mit der Folge, dass er heute am Rollator gehe. Fückel organisiert das Reiten nun selbst. Als sie dann das Geld von der Kreisverwaltung ersetzt haben wollte, weil sie ja eigentlich eine Leistung der Diakonie übernehme, habe es aus dem Kreishaus geheißen, dass ihr Sohn dann aber an keiner Maßnahme in der Wohngruppe mehr teilnehmen könne. Sie verzichtete auf die Erstattung, denn wenn mal etwas angeboten würde, wollte sie ihrem Sohn die Chance lassen, mitzumachen.
Verstöße gegen Bundesteilhabegesetz?
Aus Sicht der Eltern komme die Diakonie ihrem Auftrag nach dem Bundesteilhabegesetz nicht nach. Danach müssen Behinderte beispielsweise den gleichen Zugang zu Veranstaltungen haben wie Menschen ohne Behinderung. Doch auch hierfür fehle es an Personal. Selbst ein Spaziergang der Gruppe am Wochenende sei oft nicht drin. Da zumeist nur ein Mitarbeiter arbeite, scheitere dies in dem Moment, in dem einer aus der Gruppe nicht mit wolle. „Das Wochenende meines Sohnes besteht dann daraus, dass er schläft oder Fernseher schaut“, berichtet Fückel.
So sind nach Informationen des „Oeffentlichen“ zwei Vollzeitstellen im Sport- und Freizeitbereich nicht mehr ausgeschrieben worden, als die beiden Mitarbeiter in Rente gegangen sind. Weil kein Geld da sei, wie es hieß. Vor diesem Hintergrund bekommt der Verdacht, die Stiftung Kreuznacher Diakonie könnte möglicherweise Steuergeld für behinderte Menschen rechtswidrig verwendet haben, etwa um finanzielle Löcher im Krankenhaus zu stopfen, ein ganz anderes Gewicht. Das Landesamt für Soziales prüft das jetzt.
Prüfung soll Klarheit bringen
Auch Matthias Schmidt-Ohlemann verspricht sich von einer solchen Prüfung Klarheit. Der Mediziner, der 30 Jahre lang bei der Stiftung als Leitender Arzt tätig war, kann sich zwar vorstellen, dass dabei herauskomme, dass die Diakonie tatsächlich vom Land zu wenig Geld bekomme, aber eben auch, dass das Geld zweckfremd verwendet worden sei. Fakt ist: Viele Angebote im Sportbereich, wie therapeutisches Reiten, Radfahren, Schwimmen, sowie im Freizeitbereich wurden reduziert oder ganz gestrichen. Für Schmidt-Ohlemann gravierende Punkte: Denn die soziale Teilhabe und die Mobilität der Menschen werde dadurch erheblich eingeschränkt.
Die Frage ist: Was passiert mit den eingesparten Geldern, da nicht nur die Angebote, sondern auch die Personalkosten wegfallen? Eine Prüfung könnte auch darüber Aufschluss geben, ob „unverhältnismäßig viel Geld aus diesem Bereich in den Krankenhausbereich geflossen ist“, so Schmidt-Ohlemann. Für ihn wäre das ein „Skandal“, „denn da fließen von Seiten des Landes Millionen“. Wenn die Leistungen reduziert würden, kämen die Gelder dann denjenigen, für die sie bestimmt seien, nicht zugute. Er unterstütze die Eltern: „Wichtig ist, dass die Diakonie merkt, dass sie nicht machen kann, was sie will. Leistungen, die ihnen zustehen, dürften Menschen mit Behinderungen nicht vorenthalten werden.“
Diakonie-Führung kontert mit deutlichem Nein
Im Gespräch mit den „Oeffentlichen“ räumen Griebel und Kathrin Gradwohl, Regionalleitung Rheinhessen/Bad Kreuznach, zwar ein, dass es zu Versäumnissen in der Pflege kommen könne, die Vorwürfe, dass Personal eingespart worden sei oder eine falsche Personalpolitik gemacht werde, weisen sie jedoch entschieden zurück. Man sei in einer Phase der Umstrukturierung, dabei, sich neu zu sortieren. „Das stellt eine große Herausforderung dar“, so Griebel. Da habe man den Schwerpunkt beim Personal zunächst auf die Pflege und Versorgung auf den Wohngruppen gelegt. Dadurch, dass die Bewohner älter und immobiler werden, zudem Verhaltensauffälligkeiten zunähmen, sei der Betreuungsbedarf größer. Es gebe aber weiter sehr wohl Angebote im Freizeit- und Sportbereich wie Schwimmen, Boccia oder Therapiehunde.
Mittel nicht anderweitig verwendet
Immerhin: Mit dem Kostenträger verhandele man seit Kurzem jährlich über Pflegesätze, die sich an dem individuellen Bedarf und auch der individuellen Freizeitgestaltung der Bewohner orientierten. Zudem unterstreichen beide, dass sie die Gelder, die die Diakonie für die Versorgung ihrer Bewohner erhält, eigentlich für zu knapp bemessen halten. Trotzdem schreibe der Bereich schwarze Zahlen, so Griebel. Dem Vorwurf, Mittel aus der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen würden anderweitig verwendet, widerspricht er mit einem klaren Nein.
Doch auch der bürokratische und organisatorische Aufwand bei der sozialen Teilhabe werde größer. So müsse neben der routinehaften, täglichen Dokumentation beispielsweise jeder Spaziergang, Freizeitaktivität oder Besonderheit erfasst werden. „Wir versuchen für jeden Menschen das Beste zu erreichen“, betont Griebel. Er und Gradwohl kündigen an, dass in den kommenden Jahren in den gesamten Bereich hohe Investitionen getätigt würden. Das geht von defekten Geräten über Instandhaltungen bis zu kompletten Neubauten. Gradwohl setzt dabei auch auf eine bessere Kommunikation mit den Angehörigen: „Wir sind stets offen für Kritik und wollen gemeinsam an Lösungen arbeiten“, sagt sie.