Schreck im ersten Durchlauf
Das sagen Politiker der Nahe zur Kanzlerwahl von Merz
Vor Kurzem trat Friedrich Merz (CDU) mit der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in Stromberg auf. Im ersten Anlauf der Wahl zum Bundeskanzler fiel er dann durch...
Rainer Gräff

Friedrich Merz ist im ersten Anlauf zur Bundeskanzlerwahl trotz Mehrheit der Koalition aus CDU/CSU und SPD gescheitert. Erst im zweiten Anlauf erhielt er die nötige Mehrheit im Berliner Parlament. Was sagen die Parteigrößen von der Nahe dazu?

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler am Dienstagvormittag durchgefallen. Obwohl die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD mit insgesamt 328 Sitzen die absolute im Deutschen Bundestag die Mehrheit besitzt, erhielt er erst im zweiten Wahlgang die nötige Mehrheit. Das hatte es zuvor noch nie gegeben. Der Schreck des ersten Wahlgangs hat auch die Politiker im Kreis Bad Kreuznach überrascht. Wie reagieren die Parteigrößen aus Stadt und Kreis Bad Kreuznach am frühen Dienstagnachmittag auf Merz’ Wahl-Debakel?

Für den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Joe Weingarten zeigt das Scheitern im ersten Wahlgang, „dass diese Koalition auf weitaus dünnerem Eis aufgebaut ist“, als das nach außen vermittelt werden solle. „Ich vermute, dass es sowohl bei den Unionsparteien als auch bei der SPD Menschen gibt, die die Wankelmütigkeit von Herrn Merz und die Tatsache, dass er heute oftmals etwas völlig anderes sagt, als vor der Bundestagswahl, nicht vergessen haben.“ Zudem habe es eine Rolle spielen mögen, dass in der Koalitionsvereinbarung zwar viele Formelkompromisse stehen, aber für Union und SPD entscheidende Themen – von der Begrenzung der illegalen Migration bis zum Mindestlohn – nicht wirklich geklärt seien.

„Das war für mich ein Paukenschlag“, äußert sich Michael Simon (SPD), Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtags, zur Pleite von Merz im ersten Wahlgang. Man müsse sich jetzt zusammenraufen. „Unabhängig davon, dass Friedrich Merz nicht unbedingt meine persönliche Euphorie auslöst, braucht es eine handlungsfähige Regierung“, ist der Sozialdemokrat überzeugt. „Das, was im ersten Wahlgang passiert ist, kann man sich nicht mehr erlauben.“ Wie es dazu kommen konnte? Da kann auch Simon nur mutmaßen. „Für die CDU war es ein Riesenschritt, die Schuldenbremse zu lockern – davon waren nicht alle begeistert.“

Auch Landtagsabgeordneter Helmut Martin (CDU) traf die Nachricht überraschend. „Ich bin traurig darüber, dass in so einer welt-, sicherheits- und wirtschaftspolitisch dramatischen Lage das nötige klare Signal der Mehrheit der Koalitionsparteien nicht gesendet werden konnte.“ Möglicherweise habe es Verletzungen bei der Verteilung der Ämter im neuen Kabinett geben, „aber das ist nur Spekulation“. Und so appelliert der Christdemokrat: „Jetzt gilt: das Land zuerst, erst dann andere Motive.“

Landtagsabgeordneter Markus Stein (SPD) befindet, es sei kein gutes Zeichen, wenn ein Kanzlerkandidat historisch erstmalig im ersten Wahlgang scheitert. „Ich hoffe, dass man das klärt. Das ist die einzige Möglichkeit für Stabilität.“ Planungssicherheit sei für die Wirtschaft und Bevölkerung besonders wichtig. Die Koalition müsse zusammenstehen, befindet Stein, und Merz wählen – gemessen an den Umständen sei das die einzige richtige Alternative.

Andrea Manz, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, zeigt sich „ein bisschen erschrocken“ über die Wahlniederlage im ersten Anlauf. Sie sei davon ausgegangen, dass die Mehrheit der Koalitionsparteien aus Union und SPD steht, und warnt: „Es ist der absolut falsche Zeitpunkt, um irgendwelche Rechnungen miteinander aufzumachen.“ Das Votum habe gezeigt, dass die Art und Weise, wie sich Merz gebe, nicht bei allen ankomme. Dennoch appelliert sie: „Heute ist kein Tag, an dem man schadenfroh ist.“ Es sei wichtig, dass Deutschland eine Regierung habe.

„Das ist eine schlimme Sache für die CDU, aber auch für Friedrich Merz“, findet die Kreuznacher CDU-Stadtverbandsvorsitzende Erika Breckheimer. „Ich hätte das wirklich nicht erwartet und war auch schockiert, als Julia Klöckner das Ergebnis des ersten Wahlgangs verkündet hat.“ Sie denke aber nicht, dass dadurch die Demokratie beschädigt werde. „Warten wir doch mal die ersten 100 Tage ab.“ Es komme darauf, was die Regierung mache, etwa bei den Themen Migration und Außenpolitik. Dann spiele es keine Rolle mehr, wie viele Wahlgänge Merz gebraucht hat, ist Breckheimer überzeugt – „auch wenn das für ihn persönlich nicht schön ist“. Claudia Eider, Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bad Kreuznacher Stadtrat, sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Mit einem solchen Scheitern hat keiner gerechnet.“

Für Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) war es fraglos ein sehr intensiver, anstrengender Tag – kaum im Amt, und schon passiert Historisches. Mit ernster, fast versteinerter Miene verlas sie das erste Wahlergebnis und musste es laut sagen: Friedrich Merz sei nicht zum Bundeskanzler gewählt worden. „Unverantwortlich“ – mit einem einzigen Wort kommentierte die 52-Jährige den ersten Wahlgang gegenüber unserer Zeitung. Zeit für ausführliche Statements und Interviews gab es angesichts der Dynamik der Ereignisse nicht. Passt auch nicht als Bundestagspräsidentin, die ein Stück weit über den Dingen stehen muss.

Bad Kreuznacher Jusos zeigen sich überrascht

Die Bad Kreuznacher Jusos zeigen sich überrascht vom Scheitern Friedrich Merz’ im ersten Wahlgang zur Wahl des Bundeskanzlers. „Zwar sind wir nicht vollkommen überzeugt vom Koalitionsvertrag, besonders angesichts der CDU, die unter Merz nach rechts gerückt ist. Dennoch teilen wir die Haltung unseres Bundesvorsitzenden und respektieren das Mitgliedervotum“, erklären die jungen Sozialdemokraten in einer Pressemitteilung. Merz’ Scheitern sei kein Zeichen von unversöhnlicherBlockade eines Koalitionspartners, sondern Ausdruck fehlender Integrationskraft seitens desKanzlerkandidaten. Die Jusos kündigen an, den weiteren Verlauf konstruktiv begleiten und sichweiterhin aktiv einbringen zu wollen. „Wir bleiben engagiert für eine starke sozialdemokratischeHandschrift in der kommenden Regierung.“

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