Der akute Fachkräftemangel gefährdet nicht nur die handwerkliche Tradition, sondern auch die wirtschaftliche Zukunft vieler Betriebe. Davon ist die Metzgerbranche nicht ausgenommen. Während die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Fleisch- und Wurstwaren weiterhin hoch ist, wird es für Metzgereien immer schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Davon betroffen ist auch die Feinkost Metzgerei Stephan in der Ingelheimer Rinderbachstraße. Es ist ein Traditionsbetrieb mit über 130 Jahren Geschichte, geführt von Fleischermeisterin und Fleischsommelière Petra Nieding. Angesichts der akuten Personalnot sieht sie sich gezwungen, persönlich an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu appellieren. „Wenn es so weitergeht, haben wir in fünf Jahren keine Metzger, Bäcker, Schreiner oder Heizungsmonteure mehr“, zählt Nieding beispielhaft auf.
Seit Jahresbeginn hat Nieding 16 Stellenanzeigen in verschiedenen Portalen geschaltet – doch die Bewerbungen bleiben aus. „Es ist absehbar, dass ich den Betrieb über kurz oder lang schließen oder die Öffnungszeiten erheblich einschränken muss“, warnt sie. Dabei handelt es sich bei ihrer Metzgerei um ein erfolgreiches Unternehmen, das stets schwarze Zahlen erwirtschaftet und für seine erstklassige Qualität mehrfach ausgezeichnet wurde. Als Partnerbetrieb der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall und verwendet sie ausschließlich Fleisch von artgerecht gehaltenen Tieren und Bio-Weidetieren.
Trotz Antrittsgeldes liegt die Bewerberzahl bei Null
Trotz des Erfolges steht der Betrieb nun vor einer ungewissen Zukunft. Seit Anfang Januar wurden zahlreiche Stellen in verschiedenen Sprachen ausgeschrieben, sämtliche Online-Kanäle genutzt. Aber niemand meldet sich. Dabei bietet Nieding ihren Mitarbeitern attraktive Arbeitsbedingungen. Das Gehalt ist übertariflich mit Bonuszahlung, die Arbeitszeiten flexibel. Dazu wird noch die kostenlose Jagdmöglichkeit im eigenen Revier, Mitarbeiterrabatte und zinslose Darlehen bei Umzügen geboten. „Doch das alles nutzt nichts“, sagt Petra Nieding. Selbst für den Einstieg gibt es attraktive Anreize: Meister erhalten 1000 Euro Antrittsgeld, Fachkräfte 500 Euro. Dennoch bleibt die Bewerberzahl gleich null.
In ihrer Verzweiflung richtete sich Nieding direkt an Kanzler Merz, in der Hoffnung, dass sich die Politik des Problems annimmt. Sie vermutet, dass vielen potenziellen Arbeitskräften das Bürgergeld die Entscheidung erleichtert, gar nicht erst zu arbeiten. „Wenn immer weniger Menschen bereit sind, für die Grundversorgung zu arbeiten, dann geht das nicht mehr lange gut“, sagt sie. Petra Nieding bekommt öfters zu hören, dass man sich mit der ausgezahlten Höhe des Bürgergeldes arrangiert habe und daher nicht mehr arbeiten gehe. Dies gilt leider auch für Flüchtlinge aus der Ukraine, auf die sie nach Ausbruch des Krieges große Hoffnungen gesetzt hatte. Anfang Januar haben etwa 5,5 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld erhalten, wovon etwa 4 Millionen erwerbsfähig sind. „Das bedeutet, diese Personen sind arbeitsfähig und könnten einer Erwerbstätigkeit nachgehen“, so Nieding, „dann gehört genau das schnellstens auf den Prüfstand gestellt.“ Sie sei stolz auf die Errungenschaften des deutschen Sozialstaates, aber wenn immer weniger Menschen bereit sind, für die Grundversorgung zu arbeiten, dann geht das nicht mehr lange gut.
Merz soll Arbeitskräftemangel zur Chefsache machen
Sie fordert den Bundeskanzler auf, das Thema Mitarbeiterengpass zur Chefsache zu machen. „Deutschland wird durch traditionsreiche Handwerksbetriebe geprägt. Wenn Sie diese Vielfalt nicht verlieren wollen, müssen Sie handeln!“ Nieding lädt Merz oder ein hochrangiges Regierungsmitglied ein, sich persönlich ein Bild ihrer Metzgerei zu machen – inklusive einer Verkostung der preisgekrönten Produkte. „Ich hoffe, dass der Bundeskanzler vorbei kommt und sich die prekäre Lage vor Ort ankuckt.“
Doch die Zeit drängt: Wenn keine Lösung gefunden wird, könnte auch dieser renommierte Handwerksbetrieb vor dem Aus stehen. Wenn die Öffnungszeiten eingeschränkt werden, bleiben die Fixkosten die gleichen. „Ob der Betrieb mit gekürzten Öffnungszeiten noch weitergeführt werden kann?“, fragt sich die Fleischermeisterin. Durch den hohen persönlichen Einsatz mit häufigen Doppelschichten habe sie mittlerweile Arthrose und beim Arbeiten ein akutes Schmerzlevel. „Aber ich weiß, dass ich nicht auch noch ausfallen kann und daher beiße ich die Zähne zusammen.“
„Wenn ich nur eine Person habe, die den Verkauf und die Produktion macht, kommt dabei nichts raus und es funktioniert nicht.“
Fleischermeisterin und Chefin Petra Nieding
Bereits Ende des vergangenen Jahres hat die Fleischermeisterin einen Betrieb geschlossen. Ende Dezember hat sie in der Wildkammer in Bad Sobernheim die Lichter ausgemacht und die Türen verschlossen. Genau aus dem gleichen Grund, wegen Personalmangels. „Wenn ich nur eine Person habe, die den Verkauf und die Produktion macht, kommt dabei nichts raus und es funktioniert nicht“, sagt Petra Nieding.
Eigentlich ist Petra Nieding gelernte Buchhändlerin mit entsprechender Abschlussprüfung der Industrie- und Handelskammer. Aufgrund persönlicher Entwicklungen hat sie die Faszination und Liebe für den Metzgerberuf entdeckt. Im Jahre 2017 hat Nieding nach der Ausbildung und dem Meisterkurs in der Frankfurter Fleischerfachschule Heyne die Meisterprüfung im Metzgerhandwerk bestanden. lm gleichen Jahr erwarb sie noch die Zusatzqualifikation zur Fleischsommelière und Traiteurin. 2019 hat sie die Feinkost Metzgerei Stephan übernommen. Bei der Übernahme blieb die gesamte Belegschaft an Bord - 21 Voll- und Teilzeit-Mitarbeiter. Durch den Eintritt in die Rente, aber auch krankheitsbedingt sind zwischenzeitlich Mitarbeitende ausgeschieden.
Metzgerei zählt zu den 500 besten in Deutschland
Das Magazin „Der Feinschmecker“ zählt den Betrieb seit 2010 ununterbrochen zu den 500 besten Metzgereien in Deutschland. Besonders die Wildprodukte der Metzgerei genießen höchste Anerkennung: Seit 2012 wurden sie mit 245 Goldmedaillen und 25 Siegerpokalen ausgezeichnet, darunter mehrfach als Gesamtsieger der Deutschen Wildwurst-Meisterschaft. Nicht nur Fleischesser kommen bei der Metzgerei auf ihre Kosten. Neben erstklassigen Fleisch- und Wurstwaren bietet der Betrieb ein vielfältiges Sortiment an vegetarischen und veganen Speisen. Ergänzt wird das Angebot durch eine exklusive Käsetheke mit regionalen Spezialitäten. Künstliche Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker haben hier keinen Platz. Alle Produkte werden ausschließlich mit Naturgewürzen in Demeter-Qualität veredelt.