Papiere liegen auf dem Tisch. Der Sachbearbeiter blättert darin, schaut auf seinen Monitor, spricht über Fristen und Geldbeträge. Die Frau auf der anderen Seite des Schreibtischs versteht ihn nicht. Sie ist aus Afghanistan geflüchtet, und damit sie ihre Anträge auf Elterngeld bei der Kreisverwaltung stellen kann, benötigt sie die Hilfe eines Sprachmittlers: Das ist der 26-jährige Milad Nasser aus Bad Kreuznach. Er gehört zu einem Pool aus 100 Leuten, die für Migranten dolmetschen.
Auch die Wurzeln von Milad Nasser liegen in Afghanistan. Sein Vater ist Ende der 1980er-Jahre nach dem Abzug der sowjetischen Truppen vor dem Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den verschiedenen Widerstandsgruppen nach Deutschland geflüchtet. Er drehte seiner Heimat den Rücken, wegen des Krieges und weil er nach dem Abschluss seine Ingenieursstudiums auf den Straßen des Landes am Hindukusch Orangen verkaufen musste, um zu überleben.
Eine große Portion Hilfsbereitschaft
Was Milad aus der Geschichte seiner Familie mitgenommen hat, ist eine große Portion Hilfsbereitschaft. „Mir ist das in die Wiege gelegt worden“, sagt er. Sein Vater brauchte selbst Hilfe, als er in Deutschland am Flughafen angekommen ist, und musste sich vieles mühevoll selbst erarbeiten. Jahre später, nach etlichen Umzügen und einer Stipvisite in den USA, eröffnete er ein Internetcafé an der Wilhelmstraße. Wann immer Landsleute Unterstützung benötigen, ist er seitdem für sie da. Das hat Milad Nasser, der als Bürokommunikationskaufmann arbeitet, geprägt.
Denn sein Vater holte ihn oft ins Boot und vermittelte Ratsuchende an ihn weiter. Milad ist zweisprachig aufgewachsen, er spricht außer Deutsch auch Dari-Persisch, eine der beiden Amtssprachen Afghanistans. Seit Ende 2019 ist er deshalb in einem ehrenamtlichen Sprachmittlerpool der Stabstelle Integration bei der Kreisverwaltung tätig. Die Männer und Frauen treten bei Arzt- oder Behördengängen als Dolmetscher auf.
„Dem Pool gehören Personen an, die es durch ihre Deutschsprachkenntnisse mindestens auf Sprachniveau B2 schaffen, aus den jeweiligen Muttersprachen heraus zu übersetzen“, erklärt Benjamin Hilger, Pressesprecher der Kreisverwaltung. Bei einer Infoveranstaltung haben die ehrenamtlich Mitwirkenden kürzlich im Sitzungssaal der Kreisverwaltung an der Salinenstraße Hinweise und Tipps für ihre Aufgabe erhalten. Denn es reicht nicht aus, zwei Sprachen zu sprechen. Die Aufgabe eines Sprachmittlers ist viel umfangreicher.
Manchmal belastet die Übersetzung
„Wir müssen auch über Fachwissen verfügen, damit wir angemessen übersetzen können“, berichtet Milad. Sein Ehrenamt führte ihn und die Migranten, für die er übersetzt hat, schon zu vielen Stellen. Zur Polizei, ins Gericht, auf das Ordnungs- oder Jugendamt, in Anwaltskanzleien, aber auch in Zahnarztpraxen oder in Krankenhäuser. Manchmal bekommt Milad Nasser dabei Dinge zu hören, die belastend sein können. „Eine Frau war zum Beispiel gefährdet, sich umzubringen“, berichtet er. Milad telefonierte mit der Erstaufnahmeeinrichtung und mit Psychologen, gab weiter, was die Frau ihm sagte, damit ihr geholfen werden konnte.
„Es ist wichtig, dass man dabei eine professionelle Distanz wahrt“, weiß er. Das gelinge ihm auch. Was er hört und übersetzt, bleibt dort. Er nimmt es nicht mit heim. Manchmal fragen ihn seine Schützlinge, ob er sich privat mit ihnen treffen würde. Oder sie wollen sich mit einer Einladung für seine Hilfe revanchieren. Doch das lehnt Milad stets ab. „Wir Sprachmittler müssen neutral sein und auch so dolmetschen“, sagt er. Bei Behördengängen dürfen keine Inhalte aus strategischen Gründen weggelassen werden. Alles soll übersetzt werden, und wenn doch mal ein Fachwort dabei ist, dass sie nicht kennen, sind sie angewiesen, dies offen zu legen.
Beim Übersetzen spielen auch Zwischentöne und körpersprachliche Signale eine Rolle, die die Sprachmittler richtig interpretieren müssen. Hat jemand Angst oder ist er verwirrt? Darauf muss Milad achten, wenn er die Anliegen der Klienten angemessen übersetzen möchte. Außerdem beruht seine Tätigkeit auf Verbindlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Verschwiegenheit. Er bereitet sich auf Termine vor und erklärt den Klienten seine Aufgabe, damit sie ihm alles Wichtige mitteilen. „Beim Zahnarzt bin ich dafür zuständig, zu sagen, welcher Zahn wie lange und wo genau weh tut. Dafür muss ich so viel wie möglich wissen.“
Die Stabstelle Integration der Kreisverwaltung unter der Leitung von Denise Demaré unterstützt die Sprachmittler dabei, zum Beispiel mit Infomappen, Nachweisen über ihre Tätigkeit oder eine Schweigepflichterklärung, die die Sprachmittler unterschreiben. Sie weist darauf hin, dass die Sprachmittler keine Simultanübersetzer sind. „Daher braucht es bei Arzt- oder Behördenbesuchen unter Umständen etwas mehr Zeit, da die Sprachmittler jeweils nur einzelne Sätze übersetzen können, nicht aber einen langen Sachverhalt auf einmal“, erläuterte Demaré.
Die Stabstelle Integration freut sich über weitere Anmeldungen von ehrenamtlichen Sprachmittlern über ihre Homepage www.kreis-badkreuznach.de Per E-Mail ist die Stabsstelle erreichbar unter integration@kreis-badkreuznach.de