Einen Blick in das frühere Sobernheim während der Zeit des Nationalsozialismus mit einem parallelen Handlungsstrang in unsere Tage vermittelte eine Autorinnenlesung in der Öffentlichen Bücherei im Kulturhaus Synagoge. Irene Barthel, eine aus Bad Sobernheim stammende Schriftstellerin, stellte ihren Debütroman „Das Geheimnis der Pappeln“ vor und las aus ihrer Sammlung von Kurzgeschichten.
Es ist ein Roman mit Lokalkolorit, der aus dem Leben von zwei sehr unterschiedlichen Frauen erzählt. Im Mittelpunkt stehen die 1915 geborene Anna, die mutig den Nazis entgegentritt, und Rebecca, Jahrgang 1980, eine verwöhnte und intrigante Überfliegerin mit sozialem Defizit. Mit diesen beiden Persönlichkeiten baut Irene Barthel den Spannungsbogen ihres Romans auf. Dabei stattet sie die Handlung mit authentischen Orten, Firmen und Personen im damaligen Sobernheim aus. Zwar verfremdet sie die Namen, doch für Einheimische sind Personen und Institutionen leicht zu identifizieren. Unschwer erkennt man zum Beispiel in einer Druckerei namens Mellbruck die frühere Firma Melsbach.
Reale Vorbilder fiktiver Figuren?
Was die historischen Elemente angeht, stützt sich die Autorin auf Francis Henrys Buch „Victims and Neighbours“ (Opfer und Nachbarn) sowie auf Zeitzeugenberichte ihrer Eltern und Großeltern. So schildert sie in einer spannenden Szene Annas Begegnung mit dem NSDAP-Ortsgruppenleiter oder die Deportation der letzten zwölf Juden aus Bad Sobernheim, von der Annas Mutter berichtet. So gesehen ist das Buch eine Fundgrube für historisch bewanderte Bad Sobernheimer, die womöglich hinter den fiktiven Gestalten reale Vorbilder entdecken können.
Ich schreibe seit meinem zwölften Lebensjahr.
Autorin Irene Barthel
Allerdings sollte hier keine wissenschaftliche Messlatte angelegt werden, denn die Autorin lässt die Figuren in dichterischer Freiheit agieren. Die Schauplätze für ihren Roman zu wählen, fiel Irene Barthel nach eigenem Bekunden nicht schwer, denn sie verbrachte in der Felkestadt 25 Jahre ihres Lebens. Geboren auf dem Hüttenberg, wuchs sie hier auf, ging zur Schule, die sie mit dem Abitur abschloss, und kehrte nach dem Studium in Köln zurück in die Heimat. An der heutigen Disibod-Realschule unterrichtete sie Englisch und Textiles Gestalten. Heute lebt sie in Gutenberg. Den Hang zur Literatur aus eigener Feder entdeckte sie nicht erst im Ruhestand. Sich schreibend auszudrücken ist für sie offenbar eine Art Lebenselixier.
Auf Kurzgeschichten spezialisiert
„Ich schreibe seit meinem zwölften Lebensjahr“, erklärt sie. Was mit Tagebüchern begann, mündete in lyrische Ausdrucksformen und schließlich in die Spezialisierung auf Kurzgeschichten. Kostproben dieses Genres erhielten die etwa 40 Zuhörerinnen und Zuhörer aus dem Band „Einen Pulsschlag lang“. Es sind literarische Miniaturen mit teils autobiografischem Hintergrund, die einem bestimmten Muster folgen: Aus dem Charakter der handelnden Personen entwickelt sich die Erzählung mit scheinbar alltäglichen oder gar banalen Themen. Doch nichts ist so, wie es scheint. Die Verfasserin blickt gern in die Abgründe der menschlichen Seele und entlarvt Bilderbuch-Leben als schönen Schein. So baut sie Spannung auf und die Erzählungen enden mit einem Knalleffekt.
Wie die Geschichte von Anna und Rebecca ausgeht, wie sich ihre Lebensfäden verknüpfen, wollte Barthel während ihrer Lesung nicht verraten. Da lohnt sich die eigene Lektüre.
Das Buch „Das Geheimnis der Pappeln“ ist im Pandion-Verlag erschienen, ISBN 978-3-86911-111-7, und kostet 10,80 Euro. In der Öffentlichen Bücherei im Kulturhaus Synagoge liegt es zur Ausleihe bereit.