Öffentlichkeit und Bürgernähe kann sie, da macht Julia Klöckner keiner so leicht was vor. So bringt sie ihr Berliner und internationales Leben im zweithöchsten Staatsamt als Bundestagspräsidentin mit in die persönliche Heimat und präsentiert ihre ersten 100 Tage im Amt bei öffentlichen Veranstaltungen in Bad Kreuznach und Idar-Oberstein. Eine solche Resonanz hätte sich mancher Politiker bei seinen Wahlkampfveranstaltungen gewünscht. In Bad Kreuznach lauschten 160 Gäste im Brauwerk der Präsidentin, die immer wieder betont, zugleich direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Wahlkreis Bad Kreuznach/Birkenfeld zu sein. Nach dieser Zahl der Gäste musste die Anmeldeliste aus Platzgründen geschlossen werden. Es waren weniger die bekannten Parteigänger und Mandatsträger, die die Reihen füllten, sondern vielmehr interessierte Männer und Frauen – spürbar natürlich Sympathisanten der Karriere-Christdemokratin, die jetzt die Balance zwischen „staatsmännischer“ Autorität, Neutralität und meinungsstarker Volksvertreterin suchen muss.
Streitbar sein und anecken gehört dazu
Daraus, dass sie damit bisweilen medienwirksam aneckt, macht die 52-Jährige keinen Hehl: „Ich bin neutral in der Amtsführung – aber ich bin kein politisches Neutrum, sondern auch gewählte Abgeordnete. Man hat immer verschiedene Hüte auf.“ Es gab schon unauffälligere Vorgänger in ihrem exponierten Amt. Damit beherrscht sie Schlagzeilen und Social-Media-Kanäle und wird auch heftig kritisiert. Und das in politisch ohnehin turbulenten Zeiten: „So polarisiert war noch nie in der Geschichte des Bundestags ein Parlament.“
Doch zurück ins Brauwerk. Sehr herzlich wird sie empfangen und überspielt professionell die Tatsache, dass die Technik anfangs nicht mitspielt, dass die vorbereiteten Foto- und Videosequenzen nicht laufen. Dann eben verbal in freier Rede und mit Standbildern der Parforceritt durch ihre 100 Tage und die Zeit davor: der Weg ins Amt, die Wahl, das Präsidium und der Moloch Bundestag. Erstaunen und Raunen löst im Saal das Organigramm des Riesenapparates aus: Julia Klöckner ist Chefin über 3200 Mitarbeiter in dem Parlament, das im Jahr 2 Millionen Besucher hat – mehr als jedes andere der Welt.

Chefin über 3200 Angestellte im Bundestag
Eindruck macht nicht nur der Einblick in die Herzkammer der parlamentarischen Bundesrepublik. Es sind auch die politischen Momente, die unvergessen bleiben – so wie die Kanzlerwahl mit Hindernissen, die sie als Bundestagspräsidentin organisatorisch mit zu managen hatte. Und es sind die internationalen Beziehungen und Begegnungen, die sie wie im Zeitraffer erlebte: Staatspräsidenten, Diplomaten, Stars – aber auch die Beerdigung des Papstes und die Einführung des neuen, der evangelische Kirchentag, der erste deutsche Veteranentag, die Veranstaltung 80 Jahre Kriegsende, das deutsche Fußballpokalfinale. Wie viele Hände sie geschüttelt hat, kann sie nicht wissen. Aber an den Moment, wo sie weiße Handschuhe tragen musste, erinnert sich Julia Klöckner genau: die Amtseinführung von Kanzler Friedrich Merz, bei der sie die Originalschrift des Grundgesetzes in Händen hielt.
Und immer wieder Termine im Wahlkreis Bad Kreuznach/Birkenfeld, wo ihr „das Herz aufgeht“. Sie braucht zweifellos die große und die kleine Bühne – aber wer sonst hat eine solche Karriere aufzuweisen, hat das zweithöchste deutsche Staatsamt erreicht? Ob sie lieber Ministerin geworden wäre? Eine Option, aber die neue Aufgabe sei einzigartig. Mancher mag denken, weniger Präsenz und Meinungsfreudigkeit wären mehr – aber eben nicht mit Julia Klöckner, die wie der Bundestag auf vielen Kanälen zu Hause ist. „Wir müssen an die digitale Theke gehen“, nennt sie das. Überhaupt ist Digitalisierung auch im Bundestag ihr Ziel; ebenso will sie für mehr Präsenz bei den Sitzungen sorgen und das Fragerecht forcieren. Und: Sie will weiter für Anstand und Würde bei den Sitzungen eintreten. Locker gestaltet sie ihren Abend im Brauwerk und hat Zwischenapplaus und Lacher auf ihrer Seite. Eben ein Abend in der Heimat, wo sie „nah bei de Leut“ ist und wo ihr das Herz aufgeht.