Ein 13-jähriger Junge blickt im März 1945 über die Straße in Hüffelsheim – und sieht, wie die Amerikaner in einem Panzer die Straße herauf rollen, mit Apfelsinen im Gepäck, wie sich später herausstellen wird: So erlebte der Heimatdichter Rudolf Hornberger (93), besser bekannt als de’ Hombes, das Kriegsende. Kreuznach lag am 8. Mai 1945 in Trümmern. Viele hatten durch die Luftangriffe insbesondere von Anfang Oktober 1944 bis Mitte März 1945 kein Dach mehr über dem Kopf. Und manche, wie die Familie Hornberger, flüchteten wenige Monate vor der Kapitulation Deutschlands vor den Bomben aufs Land.
Wie es für den Hombes als Kreuznacher Original typisch ist, schaut er auf diese Zeit nicht mit bitterem Ernst, sondern schildert selbst gefährliche, zermürbende Situationen am Kriegsende mit einem Augenzwinkern. In einer seiner Kolumnen, die am 8. Mai 2020 in dieser Zeitung erschien, blickt er zurück auf den Umzug seiner Familie nach Hüffelsheim zu Freunden ins Notquartier. Das war vor dem großen Bombenangriff am 2. Januar 1945. „Es Wohllebens Kaal un sei Fraa Bienche hadde uns in ihrem kleene Haisje uffgenomm. Mei Mudder, de Vadder, mei Schwesder un mich, zu ihre drei Kinner! Es Haisje am Aanfang vumm Weinsummer Weech war rabbelvoll“, berichtet der Hombes. Der Vater vom Hombes, Karl Hornberger, der in seiner Jugend deutscher Rekordhalter und deutscher Meister im Weitsprung war, musste kurz vor dem Kriegsende jedoch noch zum Volkssturm. Karl Wohlleben, in dessen Haus die Familie Hornberger unterkam, war ebenfalls an der Front.

Und immer näher kamen im März 1945 die Amerikaner. Sie standen schon in Idar, da haben Hombes’ Mutter und die Gastgeberin im Erdbeerfeld hinter dem Haus in Hüffelsheim zwei große Löcher gegraben: In einem Einmachkessel lagerten sie die Parteiuniformen der Männer, ein Koppel, ein Messer sowie Propagandaschriften. Das alles verbuddelten sie im Feld, erinnert sich der Hombes. Gerade, als das erledigt war, sah seine Mutter einen Panzer über eine Straßenkurve heraufkommen. Sie dachte, es handele sich um deutsche Soldaten. „Holt di Fahne, awwer hoddich!“, rief sie den Kindern und Gastgeberin „Bienche“ zu. Gesagt, getan, sie schwenkten eine Reichsfahne aus dem Fenster – bis sie bemerkten: Auf dem Panzer war ein Stern, es waren die Amerikaner, nicht die Deutschen. „Um Gottes Wille! Ziht di Fahn widder in! Bienche, heng Bettdicher aans Fenschder! Mir sinn neitral, mir ware schunn immer degeeje!“, rief seine Mutter aufgeregt.
Kurz darauf hielt der Panzer vor dem Haus in Hüffelsheim. Ein baumlanger schwarzer Soldat saß darauf und hatte in beiden Händen Apfelsinen, die er den Kindern geben wollte. Es war das erste Mal, dass der Hombes Orangen sah, erzählt er. Doch seine Mutter hielt die Kinder zurück, sie sollten nicht hingehen. Aus gutem Grund: Zwei junge amerikanische Soldaten mit Pistolen in der Hand kamen auf das Grundstück und wollten wissen, wo deutsche Soldaten seien. Die seien im Krieg, sagte der junge Rudolf ihnen auf Englisch. Damit nicht genug: Die beiden Offiziere verlangten, dass die Familie und die Gastgeber das Haus verlassen, um sich und ihre Soldaten dort einzuquartieren. Fünf Kinder und die beiden Mütter suchten also einen neuen Unterschlupf und fanden ihn in einem überfüllten Bauernhaus im Dorf, in dem schon fünf Kreuznacher untergekommen waren. „Hauptsach war awwer, mir hadde e’ Dach iwwerm Kopp, während draus im Dorf di deitsche Jachdfliicher ihr Aangriff gefloo honn. Mit de Panzergeschitze honn se vun Hiffelsumm geschoss bis no Freilawerschum.“

Der Hombes und seine Familie waren dabei kein Einzelschicksal. Wegen der ständigen Luftangriffe auf die Kreisstadt besonders in der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurden zahlreiche Einwohner aus Bad Kreuznach evakuiert. „Bad Kreuznach mit über 50 Prozent Kriegszerstörung lag schon über dem statistischen Mittel. Die Kurstadt Bad Münster am Stein war mit 80 Prozent Kriegsschäden bis zur Unkenntlichkeit entstellt“, schreibt Rainer Seil in den Bad Kreuznacher Heimatblättern Nummer 11/2015.
Menschen von überall her kamen in den Dörfern der nahen Umgebung unter, nicht nur aus Bad Kreuznach, sondern aus ganz Deutschland und sogar Luxemburg – auch wenn die Hauseigentümer die Zimmer nicht immer freiwillig abtraten: „Auf Anordnung des Herrn Militärkommandanten müssen bis heute 12 Uhr in Ihrem Hause zwei Zimmer für Frau H. frei gemacht werden. Sollte dieses bis zu diesem Zeitpunkt nicht geschehen sein, wird der hiesige Ortskommandant mit bewaffneten Soldaten die Wohnung frei machen. Es ist dann nicht ausgeschlossen, dass der Herr Militärkommandant das ganze Haus räumt“, heißt es aus einer Mitteilung vom 24. September 1945.
Dem Hombes allerdings, der das ja so ähnlich auch erlebte, blieb diese Zeit als eine in der Erinnerung, in der es nicht nur Schlimmes gab, sondern manchmal auch etwas Gutes – so etwa Apfelsinen und Schokolade von den US-Amerikanern für die Kinder. „Dene Ami ihr Truppeverpflechung in so graue Päckeler, di honn mir Kinner oft beim Schbiile im Chosseegraawe odder uff nahe Äcker gefunn“, blickt er zürück. „E’mol honn ich sogar e’ganze Kaschde mit Eierhandgranate mit heemgebracht.“
Jetzt war der Krieg für ihn vorbei, doch es war ja erst März. „Im Rescht vun Deitschland hodder noch e’ Monat gedauert. Am 1. Mai hot sich de Hitler erschoss, un am 8. Mai wa dann es ersehnte Kriegsende.“ Nach der schlimmen Zeit des Krieges kam für die Menschen die arme Zeit. „Das is no jedem Kriich so, un mir durfde ausbade, was di Ve’brecher vumm ,Gröfaz’ ihrm Volk aangedoon hadde.“
Eng ging es her: Viele flüchteten sich aufs Land
Nicht nur Bad Kreuznach, auch manche Dörfer drumherum erlitten in den letzten Kriegsmonaten noch schwere Schäden, darunter Eckweiler, Hundsbach, Weitersborn, Volxheim, Hargesheim und Spabrücken. Bei Kriegsende waren in Sobernheim beispielsweise 46 Wohnungen völlig zerstört, 122 beschädigt und damit unbewohnbar. In Kirn waren 39 Wohnungen und Geschäftshäuser zerstört, 75 waren schwer und 116 leichter beschädigt.
Während der Wohnraum durch die Bomben knapp wurde, stieg gleichzeitig die Zahl derer, die sich vor den Luftangriffen in die Dörfer flüchteten. Allein die Evakuierten von außerhalb des Nahelandes machten einen hohen Anteil aus, so etwa in Gutenberg (1939: 389 Einwohner), wo 29 Personen unterkamen. Braunweiler (1939: 441 Einwohner) nahm 42 Personen auf. In Hargesheim (1939: 886 Einwohner) fanden 74 Personen eine Unterkunft. Man kann sich vorstellen, wie eng es zugegangen sein muss.