Salinenplatz, 1980er-Jahre. Man saß draußen im „Bistro“ am Eichenauer-Brunnen, und wenn plötzlich ein Raunen durch die Gästeschaft ging und sich alle Blicke in eine Richtung verdichteten, war klar: Der Mann mit dem Lambo war mal wieder im Anmarsch. Theo Suess, erfolgreicher Bauunternehmer, kam mit wehender Haarwelle, knallengen Jeans, weißen Cowboystiefeln und der obligatorischen, blaugefärbten Porsche-Tropfenbrille über die Salinenstraße. Nun war es nicht seine Erscheinung, die bei den Gästen das „Ah!“ und „Oh!“ auslöste, sondern sein Automobil, das er gerne neben dem damals noch existenten Parkplatz am Salinenplatz ins Halteverbot stellte. Es war ein weißer Lamborghini Countach. Kenner wissen: Das Gefährt war ein Supersportwagen, ein wütend brüllender italienischer Bulle.

Aber ein Lamborghini Countach (richtig ausgesprochen: Kuntatsch) war mehr als ein Zwölfzylinder. Er war eine Ikone des Designs, ein automobiler Kulturschock, ein Sinnbild des in die Zukunft preschenden Zeitgeists. Wenn Suess also die legendäre Schwingtür öffnete, sich aus der grollenden Flunder schälte und über die Salinenstraße ins Bistro ging, war er beileibe nicht banal ein wohlhabender Mann. Sondern es war, als ob jemand mit einem Picasso oder van Gogh unter dem Arm ins Café schlenderte. Denn eben das war der Lamborghini Countach: ein Kunstwerk – und ist es heute noch, denn die seltenen Wagen werden heute für Preise gehandelt wie Gemälde aus Meisterhand.
Im siffenden Miura zu Olympia
Theo Suess, aufgewachsen in Gutenberg, hat schon immer eine Affinität zu Sportwagen gelebt. Sein erster Lamborghini war der famose Miura Ende der 1960er-Jahre, auch eine automobile Legende. Den kaufte er im Sommer 1972. Drei Jahre zuvor hatte er ihn auf der Frankfurter Automesse gesehen, „und ich lief zwei Stunden um ihn herum wie eine lauernde Katze“. Doch der Preis, damals schon 70.000 Mark, war astronomisch, dafür bekam man ein Haus. Erst nachdem Suess in Südafrika mit dem glücklichen Verkauf eines Mercedes SL Pagode zu Geld gekommen war, konnte er sich den ersten Miura als Gebrauchtfahrzeug leisten. Wobei der, das räumt Suess ganz nüchtern ein, so große konstruktive Macken hatte, dass längere Fahrten kaum möglich waren – der Motor verbrannte Öl, und nach einigen Hundert Kilometern war das Heck des Autos schwarz. „Ich fuhr damit zu den Olympischen Spielen nach München und musste an jeder zweiten Tankstelle anhalten, um Öl nachzufüllen.“ Suess verkaufte den ersten Miura, blieb aber dabei und holte sich bald den zweiten.

Übrigens war schon sein erstes eigenes Auto ein zweisitziger Sportwagen, nämlich ein britisches Sunbeam Alpine Cabrio. Nie habe er eine Limousine besessen. Den Countach, mit dem Suess in Kreuznach unterwegs war, hatte der Bauunternehmer in Bonn beim dort ansässigen Händler gekauft. So wild, wie er aussah, war er aber nicht, wie Suess heute einräumt: Die Vier-Liter-Maschine habe beim Gasgeben auf der Autobahn erst einmal einen Knick vollführt, bevor die Pferdestärken die Beschleunigung ansetzten. Später erwarb er ein neueres Modell dieses Wagens, das in einem speziellen Blau lackiert wurde. Und dieser Fünf-Liter-Motor des „ LP 500 Quattrovalvole“ sorgte endlich dafür, dass es richtig nach vorne ging. Suess erinnert sich gut, wie er mit dem extrem lauten Wagen durch die Ringstraße fuhr und sich alle Köpfe drehten – vor allem die der Diakonissen der Diakonie.
Mit dem kapitalistischen BMW M1 durch den Eisernen Vorhang
Fragt man ihn, welches Auto denn jenes war, was ihn am meisten fasziniert hat, kommt witzigerweise weder Ferrari noch Lamborghini, auch nicht der famose BMW M1, den er sein Eigen nannte. Und den er übrigens einmal durch den „eisernen Vorhang“ nach Prag fuhr, zusammen mit Freund Oliver Holste. Dort stellte Suess den Wagen auf dem Wenzelsplatz ab – und es gab bald kein Durchkommen mehr, so umringt war dieser automobile Lockruf des kapitalistischen Westens ...

Doch sein liebster Wagen war ein Porsche. Nein, kein 356er à la James Dean, auch kein banaler 911er, sondern der grandiose Carrera GTS 904 (gebaut 1963 bis 1965), der eigentlich für die Rennstrecke konstruiert worden war. Für diesen Wagen blutete Suess im Jahre 1966 sinnbildlich. Denn als er den Rennmotor, der unruhig lief, nach Stuttgart schickte, gab es irgendwann den Hinweis, er könne ihn nun wieder abholen – der Fehler liege in der Zündeinstellung. Suess fuhr los, um den Motor zu holen, aber übergeben wurden ihm die Einzelteile in Persil-Kartons. Als er entgeistert fragte, was das solle, hieß es: Man habe den Auftrag gehabt, nach dem Fehler zu suchen, und habe ihn gefunden. Das wär's.

Ein Zusammenbau wäre für Suess extrem teuer geworden. Also fuhr er die Einzelteile im Opel Kapitän seines Vaters nach Hause, besorgte sich die Explosionszeichnungen des Motors und baute ihn selbst zusammen. Es kam so, wie es kommen musste: Der selbst zusammengesetzte Motor gab keinen Pieps von sich. Doch Suess fand in Pirmasens das Porsche-Zentrum Leinenweber – der Chef hatte selbst einen 904 auf Rennen gefahren, man kannte sich mit dem Motor aus.
Der Porsche, der für läppische 17.000 Mark nach New York ging
Es wurde die schwierige Doppelzündung korrekt eingestellt, und der Porsche rollte wieder. Ihn verkaufte Suess dann nach New York, und er lacht heute noch über den Preis: Er bekam 17.000 Mark – heute würden für den 904er 17 Millionen Euro verlangt ... Er sei damals einfach nur froh gewesen, dass er den Rennwagen loswurde. Die 17.000 Mark investierte Suess dann bei Auto von Hoff in Bad Kreuznach für einen nagelneuen 911 Targa in blutorange. Und so weiter und so fort ...

Suess, heute 86 Jahre alt, zweifacher Papa und auch Großvater, hat seine Leidenschaft für Beschleunigung und Power gelebt, und sie hat ihn nicht losgelassen. Immer noch ist er bei Treffs der deutschen Lamborghini-Freunde dabei, wenn er auch mittlerweile ein anderes liebstes Stück gefunden hat. McLaren 720S. Diese hochgezüchtete Flunder mit 720 Pferden, die nur 1300 Kilo beschleunigen müssen, fahre sich „super, wie ein Gokart“.
Doch was ist mit seinem Lamborghini Countach, diesem famosen Kunstwerk, geschehen? Den hat Suess an sicherer Stelle deponiert. Nein, nicht im Louvre ...