Was stand im "Oeffentlichen" vor und nach der Kapitulation im Mai 1945?
175 Jahre Oeffentlicher Anzeiger in Bad Kreuznach: Das bittere Ende eines „wahnsinnigen Krieges“
Am 8. Mai bringt der Oeffentliche Anzeiger eine Sonderausgabe heraus. Deutschland hat kapituliert, ab Mitternacht schweigen die Waffen.
Repro Oeffentlicher Anzeiger

Der Oeffentliche Anzeiger, Heimatausgabe der Rhein-Zeitung im Kreis Bad Kreuznach, wird 175 Jahre alt. In einer Serie führen wir auf dieses Jubiläum hin. Diesmal schauen wir auf den 8. Mai 1945, als der Zweite Weltkrieg endete - und darauf, was der "Oeffentliche" dazu in seiner Sonderausgabe titelte.

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Am 8. Mai bringt der Oeffentliche Anzeiger eine Sonderausgabe heraus. Deutschland hat kapituliert, ab Mitternacht schweigen die Waffen.
Repro Oeffentlicher Anzeiger

Am 8. Mai 1945 um Mitternacht ist es vorbei. Endlich. Der Zweite Weltkrieg, den Deutschland begonnen hat, der Millionen Menschen das Leben gekostet und fast ganz Europa zerstört hat, ist nach sechs Jahren zu Ende. Und damit endet nach zwölf Jahren zugleich die NS-Ära in Deutschland.

Der Oeffentliche Anzeiger titelt in seiner Sonderausgabe vom 8. Mai in sehr großen Lettern denn auch befreit: „Frieden!“ und berichtet, dass der britische Premier Churchill, US-Präsident Truman und Sowjetführer Stalin am Nachmittag „das Ende des Krieges“ im Rundfunk angekündigt hatten. Tags zuvor hatten deutsche Generäle die bedingungslose deutsche Gesamtkapitulation im Hauptquartier der Alliierten in Reims unterzeichnet – auf Weisung von Hitlers Nachfolger, Admiral Karl Dönitz.

Stadt kampflos übernommen

Zu diesem Zeitpunkt ist der größte Teil Deutschlands längst von den Siegermächten besetzt. Amerikanische Truppen hatten ab dem 16. März auch die Stadt Bad Kreuznach kampflos übernommen. Der deutsche Stadtkommandant Kaup, der den Widerstand eingestellt hatte, um weiteres Blutvergießen und Verwüstungen zu vermeiden, erschießt sich später, als er vor das Kriegsgericht gestellt werden soll.

Schon in der Sonderausgabe zum Kriegsende, erst recht aber in den Wochen danach, zeigt sich in den Texten des Oeffentlichen Anzeigers ein deutliches Abrücken von „den Nazis“ und vor allem von jeder Verantwortung für die Geschehnisse seit 1933 – so als hätten Adolf Hitler und seine NS-Größen allein und ohne Rückhalt in der Bevölkerung gehandelt.

„Hitler ist zum Zerstörer Deutschlands geworden“, heißt es bereits am 8. Mai. „Ganz Berlin ist infolge des unsinnigen Widerstands die schlimmste Steinwüste des Krieges geworden, schlimmer als Stalingrad und Sewastopol.“ Und, schon ziemlich deutlich geschichtsklitternd: „Die brutale Gewaltherrschaft der Nazis hat nicht nur den besten Teil des deutschen Volkes empört, sondern Erbitterung und Mißtrauen gegen das politisch unmündige deutsche Volk auf der ganzen Welt hervorgerufen.“ Von Mitverantwortung keine Spur also.

Die Not der Bevölkerung zeigt sich auch in den Tauschanzeigen.
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„Der jetzt beendete wahnsinnige Krieg hat in Europa 20 Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – das Leben gekostet“, textete die Redaktion ebenfalls in der Sonderausgabe zum Kriegsende. Diese Zahl ist indes deutlich zu tief gegriffen. Heute wird die Zahl der Todesopfer in und durch den Krieg auf bis zu 80 Millionen geschätzt, Deutschland allein verlor mehr als 9 Prozent der Bevölkerung.

In den Tagen danach wird dieses Abrücken noch deutlicher erkennbar. Am 12. Mai lautet die Überschrift „Wie die Nazis die Juden ausrotteten“, als der „Oeffentliche“ über die Vorgänge im Konzentrationslager Auschwitz berichtet. Spätestens jetzt, vier Tage nach der Kapitulation, können die Bad Kreuznacher über die dortige Laderampe, die Baracken, das „Todeshaus“ und Menschen, die „wie Schlachtvieh“ behandelt wurden, in ihrer Zeitung nachlesen.

Jüdische Bürger deportiert

Allerdings sind es auch in Bad Kreuznach längst nicht nur „die Nazis“, die Schuld auf sich geladen haben. Aus der Stadt waren Dutzende jüdische Bürger in Konzentrationslager deportiert worden, 61 von ihnen sind heute namentlich bekannt. Viele andere mussten emigrieren. Die Synagoge wurde ebenso wie viele Geschäfte und Wohnungen jüdischer Bad Kreuznacher zerstört. Nicht wenige Bürger hatten das Regime unterstützt, auf Vorteile gehofft, die NS-Ideologie geteilt.

Einige Tage vor der Kapitulation ist dieses Abrücken von der Verantwortung für das Geschehen in den Artikeln noch nicht ganz so deutlich spürbar. „Hitler tot“ ist in der Ausgabe vom 2. Mai ein Artikel überschrieben, der berichtet, dass Hitler „seit einigen Tagen krank war“. In Wirklichkeit hatte er sich mit seinem Suizid im Führerbunker aus der Verantwortung gestohlen. In einer Meldung über das befreite Konzentrationslager Bergen-Belsen wird in derselben Ausgabe am 2. Mai ganz nebenbei Benito Mussolini für Hitlers Verbrechen mitverantwortlich gemacht: Der italienische Duce sei „Erfinder der Konzentrationslager“ gewesen, habe als erster „den Staat dem Terror der Partei unterstellt“ und habe eine „Zwangspropaganda“ geschaffen, „die alles eigene Denken erstickte“. Und überhaupt sei er „ein Lehrmeister und Vorbild für Hitler“ gewesen.

Tausche Flöte gegen Nähseide

Die Bad Kreuznacher Bevölkerung hatte indes in den Monaten nach der Kapitulation mehr mit konkreten Nöten und Problemen zu kämpfen als mit der Frage nach der Verantwortung für die Verbrechen seit 1933. Dies zeigt beispielsweise ein Blick in die Anzeigen Anfang Dezember 1945: „Biete Blockflöte, suche Nähseide“ heißt es beispielsweise in der Rubrik Tausch. Oder: „Tausche fast neuen Kinderwagen gegen Herrenschuhe Gr. 43 oder Kinderschuhe Gr. 35“. Oder: „Puppenwagen im Tausch gegen Marmelade oder Gelee“.

Wie sehr es im Dezember 1945 noch immer an allem fehlt, wird auch in dieser Anzeige deutlich: „Junger Landwirt, der aus der Gefangenschaft zurückgekehrt ist, sucht guten Mantel und Hut zu kaufen oder gegen Wein und andere Naturalien zu tauschen.“

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