Kampagne in Idar-Oberstein
Wenn Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind
Leah Kammerer (rechts) und Anna Clarissa Brinkmann referierten zum Thema Femizide und patriarchalische Strukturen. Der Vortrag stieß auf großes Interesse und enthielt auch Handlungsvisionen.
Vera Müller

Statistiken zeigen, dass in Deutschland durchschnittlich alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird – eine Realität, die oft wenig Beachtung findet oder verharmlost wird. Dafür soll in Idar-Oberstein sensibilisiert werden. 

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Gemeinsam gegen das Schweigen. Gemeinsam gegen Femizide. Unter diesem Slogan stand eine Veranstaltung im Fitnessstudio Mrs. Sporty in Idar. Der Vortrag zum Thema „Femizide – Eine Einführung in patriarchale Gewalt“, den Leah Kammerer und Anna Clarissa Brinkmann gestalteten, zog einige Interessierte an: Es mussten zusätzliche Stühle organisiert werden. Stark vertreten waren Akteure der Grünen, von Die Linke, aber auch CDU-Landtagskandidat Frederik Grüneberg war zu Gast.

Als Femizid wird die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet. Es geht um Frauentötungen, die durch hierarchische Geschlechterverhältnisse motiviert sind. Oft werden diese in (Ex-)Partnerschaften ausgeübt, sie können aber auch außerhalb stattfinden. Der Begriff zielt unter anderem darauf ab, die strukturelle Dimension der Gewalt zu betonen, und trägt dazu bei, die Taten stärker sichtbar zu machen.

Die Veranstaltung soll den Auftakt einer stadtweiten Aufklärungskampagne, die sich mit geschlechtsspezifischer Gewalt und Tötungsdelikten an Frauen befasst, markieren. Initiiert wurde das Projekt von zwei Studentinnen der Sozialwissenschaften der Katholischen Hochschule Mainz im Rahmen eines Studienprojekts. Der Vortrag von Leah Kammerer und Anna Clarissa Brinkmann lieferte eine Grundlage, um Femizide als strukturelles Problem in patriarchalen Gewaltverhältnissen zu beleuchten.

„Gewalt gegen Frauen muss klar als solche bezeichnet werden. Begriffe wie häusliche Gewalt oder Beziehungsdrama verschleiern oft die geschlechtsspezifische Dimension.“
Leah Kammerer und Anna Clarissa Brinkmann

Statistiken zeigen, dass in Deutschland durchschnittlich alle drei Tage eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet wird – eine Realität, die oft wenig Beachtung findet oder verharmlost wird. Die Kampagne soll das Bewusstsein für die Thematik schärfen. Ein Fall in Idar-Oberstein sorgte im Herbst 2024 für Aufsehen: Ein Mann tötete seine Partnerin nach einem Streit und legte die Leiche der jungen Frau an der preußischen Brücke in Oberstein ab.

Patriarchale Geschlechternormen, Sexismus, Misogynie, Gewalt als „Machtdemonstration“ und zur Wiederherstellung männlicher Dominanz, Armut, rassistische Strukturen und prekäre Lebensverhältnisse erhöhten das Risiko für Femizide. Gewalt sei Kernbestandteil patriarchaler Systeme: von Kriegen bis zu subtiler Manipulation, führten die Referentinnen aus. Überträger seien nicht nur Staaten, sondern auch Konzerne, Kirchen (Hexenverbrennung), NGOs und Einzelpersonen – vor dem Hintergrund der Annahme, Männer seien „mehr wert“ – was Gewalt gegen Frauen legitimiere. Es fehle vor allem an einer einheitlichen, differenzierten Datenerhebung in Deutschland.

Differenzierte Bewertung

Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasse keine geschlechtsspezifische Motivation, Femizide würden nicht als eigene Kategorie geführt. Diese Taten würden in Deutschland meist als „Beziehungsdramen“ oder „Totschlag“ verhandelt. Struktureller Sexismus werde selten juristisch als „niedriger Beweggrund“ anerkannt. Bei „Ehrenmorden“ hingegen werde die kulturelle Herkunft betont – ein Widerspruch, der rassistische Narrative fördere. Ein Ziel müsse die differenziertere strafrechtliche Bewertung und gesellschaftliche Sensibilisierung sein, führten die beiden jungen Frauen aus. In vielen Gerichtsverfahren zu Tötungen durch (Ex-)Partner werde das Motiv des Täters (Eifersucht, Trennungswut oder Kontrollverlust) nicht als „besonders verachtenswert“ (also niedriger Beweggrund) anerkannt. Stattdessen werde oft auf „Verzweiflung“ oder „emotionaler Ausnahmezustand“ verwiesen – was zur Abmilderung der Strafe führen könne.

Femizide sind keine privaten Tragödien, sondern Ausdruck patriarchalischer Strukturen.“
Leah Kammerer und Anna Clarissa Brinkmann

Ziele in diesem Kontext: Gewalt im Umfeld erkennen, ansprechen, unterbrechen; nachbarschaftliche Solidarität (zum Beispiel bei Gewalt eingreifen) sowie nach jedem Femizid Öffentlichkeit und Protest. Der Begriff „Femizid“ müsse gesellschaftlich und medial anerkannt werden. Es dürfe keine Verharmlosung durch Begriffe wie „Beziehungstat“ oder „Eifersuchtsdrama“ geben. Femizide sollen sichtbar benannt, rechtlich (auch durch Gesetzesänderungen) verfolgt und politisch geächtet werden, fordern die Referentinnen. „Nur öffentlicher Druck führt letztlich zur Veränderung“, betonten sie.

Stärkere Vernetzung

Zur Aufklärungskampagne gehören das Verteilen von Stickern, die bundesweite und lokale Hilfsangebote benennen, sowie sogenannte Care-Pakete, die Informationen über verschiedene Gewaltformen, Anlaufstellen und Handlungsmöglichkeiten enthalten. Ein zentrales Anliegen der Kampagne ist es, lokale Akteure stärker zu vernetzen – über institutionelle Grenzen hinweg. Ein erster Schritt wurde mit der Veranstaltung getan, weitere sollen folgen, was auch die Zuhörer betonten.

Im Anschluss an den Vortrag hatten alle Teilnehmenden die Möglichkeit, mit Expertinnen ins Gespräch zu kommen. Vertreterinnen des Frauenhauses Idar-Oberstein, der Interventionsstelle des Landkreises Birkenfeld und Pro Familia waren zu Gast, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten und einen Austausch zu ermöglichen.

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