Nach einem ernüchternden Wahlabend hat Joe Weingarten am Montag erst einmal versucht, den Kopf freizubekommen: mit Gartenarbeit. An seinem Haus in der Poststraße in Idar-Oberstein hat er die Hecken geschnitten – nachdem er sich bereits am frühen Morgen in einer Pressemitteilung als Bundestagsabgeordneter verabschiedet hat: „Ich bedauere das Ergebnis, weil ich meine Arbeit für die Region gerne gemacht habe und sie auch fortführen wollte. Ich bin zugleich dankbar für fünfeinhalb spannende Jahre als Abgeordneter und die vielen interessanten Menschen und Einrichtungen, die ich in dieser Zeit kennenlernen, begleiten und unterstützen durfte. Sie haben mir gezeigt: Unsere Region ist besser und stärker, als sie das im Moment selber wahrnehmen möchte.“
Vor allem das Ende seiner Arbeit im Verteidigungsausschuss erfüllt ihn mit Wehmut: „Da liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wir haben Deutschlands Sicherheit seit 2022 deutlich erhöht und den Wiederaufbau der Bundeswehr eingeleitet, aber es bedarf sicher noch eines Jahrzehnts der harten Arbeit und viel Geld, um unser Land dauerhaft vor den internationalen Bedrohungen zu sichern.“
Rückkehr ins Wirtschaftsministerium geplant
Es kommen schwere Zeiten auf Deutschland zu, ist sich Weingarten sicher. Die Wahlversprechungen, die jetzt gemacht wurden, seien kaum einzuhalten – „und das wird der AfD weitere Wähler zutreiben. Ich verstehe die Verunsicherung und die Zukunftsangst vieler Menschen angesichts dieser nationalen und internationalen Probleme und habe versucht, dagegen anzukämpfen und Zuversicht zu verbreiten, dass wir diese Probleme lösen können. Das ist mir aber offenkundig nicht ausreichend gelungen.“
Beruflich wird der 62-Jährige („Ich habe ja noch ein paar Jahre“) ins Mainzer Wirtschaftsministerium zurückkehren – in welcher Funktion ist derzeit noch unklar: „Da müssen wir jetzt Gespräche führen.“ Ansonsten will er die Arbeit seiner Frau unterstützen, die ein Architekturbüro in Idar-Oberstein betreibt, wo das Ehepaar seinen künftigen Lebensmittelpunkt sieht: „Sie hat mich all die Jahre stark unterstützt. Da will ich jetzt was zurückgeben.“ Wie es mit seinem Team weitergeht (es sind fünf Mitarbeiter im Abgeordnetenbüro), ist noch unklar: „Da müssen wir jetzt schauen. Ich unterstütze da, wo ich kann.“
„Weniger Cannabis-Freigaben und mehr gebaute Wohnungen wären mir lieber gewesen.“
Joe Weingarten
Die Gründe für die Wahlniederlage der SPD sind für Weingarten sonnenklar: „Die Fehler sind in Berlin gemacht worden. Olaf Scholz war, darauf habe ich auch vor der Wahl deutlich hingewiesen, der falsche Kanzlerkandidat. Er war den Menschen nicht mehr vermittelbar und jeder, der es sehen wollte, konnte das auch sehen. Aber der SPD hingen im Wahlkampf auch die Mühlsteine manch falscher Prioritäten der Ampel-Regierung um den Hals: Anstatt die sozialen Probleme der Menschen nach der Veränderung der Weltordnung durch den russischen Angriffskrieg entschlossen anzugehen und Konsequenzen für unsere Wirtschafts-, Verteidigungs-, und Sozialpolitik zu ziehen, wurde weiter eine unter ganz anderen Bedingungen geschlossene Koalitionsvereinbarung stur abgearbeitet und dabei auch Kleinkram in eine Wertigkeit gebracht, die er nie hatte: Weniger Cannabis-Freigaben und mehr gebaute Wohnungen wären mir lieber gewesen.“
Auch die Bedeutung der Migrationsdebatte habe „die SPD in ihrer politischen Führung nie wirklich wahrhaben wollen“. Weingarten hatte schon früh vor der Entwicklung gewarnt. „Aber die simple Logik, dass nur der dauerhaft hierhergehört, der sich an die Regeln hält, ist auf die Seite geschoben worden, und man hat sich hinter dem Dickicht von europäischen, deutschen und kommunalen Regeln versteckt, um nicht handeln zu müssen. Das Wahlergebnis ist auch dafür eine Quittung.“