Nachwehen des Wahlfälschungsurteils: Staatsanwaltschaft wirft Andrea Thiel uneidliche Falschaussage vor
Vorwurf der uneidlichen Falschaussage: Abentheurer Ortschefin sitzt auf der Anklagebank
Justitia
Im Zusammenhang mit der Abentheurer Ortsbürgermeisterwahl im Jahr 2019 ist Justitia erneut gefragt.
Peter Steffen. picture alliance / dpa

Abentheuer/Idar-Oberstein. Bei den beiden Prozessen gegen ihren Amtsvorgänger Klaus Glodt, der 2021 rechtskräftig wegen Wahlfälschung verurteilt wurde, war sie noch Zeugin, nun sitzt die Abentheurer Ortsbürgermeisterin Andrea Thiel selbst auf der Anklagebank. Sie muss sich am Amtsgericht Idar-Oberstein wegen des Vorwurfs der uneidlichen Falschaussage verantworten.

Lesezeit 4 Minuten

„Es ist ein Verfahren, bei dem es gefühlt auf jede Minute ankommt.“ Mit dieser Bemerkung des Vorsitzenden Richters Marcel Oberländer am Freitag ist auch diesmal das Wesensmerkmal der Verhandlung formuliert, das schon für die früheren Wahlfälschungsprozesse – erst im Sommer 2020 vor dem Amtsgericht Idar-Oberstein und dann im Frühjahr 2021 in zweiter Instanz vor dem Landgericht Bad Kreuznach – gegolten hatte.

Im Kern geht es also erneut um die Frage: Hat Andrea Thiel am 8. April 2019, dem Tag des Fristendes, bis pünktlich um 18 Uhr in Goldts Büro ihre Bewerbungsunterlagen für die Ortsbürgermeisterwahl vollständig ausgefüllt und unterschrieben oder nicht?

In den beiden früheren Verfahren hatten es die beiden Gerichte als erwiesen angesehen, dass Goldt in seiner Funktion als Wahlleiter in Abentheuer die Bewerbung entgegengenommen habe, obwohl es schon kurz nach 18 Uhr war. Deshalb wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt.

Sowohl Goldt als auch Thiel hatten in den beiden früheren Verfahren beteuert, dass am 8. April 2019 alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Thiel hatte in den beiden früheren Verfahren betont, dass sie – als um 18 Uhr die nahe gelegene Dorfglocke läutete – das Bewerbungsformular bereits unterschrieben habe. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war das eine „uneidliche Falschaussage“, wegen der die Abentheurer Ortschefin nun angeklagt ist.

Nach Urteil war Wahl 2019 ungültig

Zur Erinnerung: Nach dem Wahlfälschungsurteil im Mai 2021 hatte die Kommunalaufsicht die 2019er-Wahl, bei der sich Thiel gegen drei Konkurrenten durchgesetzt hatte, für ungültig erklärt. Sie wurde aber bei der im November 2021 angesetzten Neuwahl als nun noch einzige Kandidatin mit 84,6 Prozent der Stimmen deutlich bestätigt und konnte somit ins Amt zurückkehren.

Im aktuellen Verfahren sei es die Aufgabe des Gerichts, „unabhängig zu urteilen“, ob der Vorwurf der Falschaussage zutrifft, betonte Richter Oberländer im Verlauf des zweiten Verhandlungstags, der sich am Freitag über fast fünf Stunden erstreckte. Beim ersten Termin war nach Auskunft des für Medienanfragen zuständigen Amtsgerichtsdirektors Olivier Merten zunächst die Anklageschrift verlesen worden, bevor die Beweisaufnahme mit der Befragung Thiels begonnen wurde. Diese habe ihre frühere Aussagen bestätigt, dass sie am 8. April 2019 noch vor 18 Uhr die Wahlbewerbung unterschrieben abgegeben habe.

Bestritten wird dies – wie schon in den beiden früheren Verfahren gegen Goldt – vor allem von zwei Zeugen. Markus Berang und Thorsten Flick hatten 2019 ebenfalls für den Posten des Ortsbürgermeisters in Abentheuer kandidiert. Beide waren am besagten Abend ebenfalls bei Goldt im Büro gewesen. Der eine (Berang), um ebenfalls noch kurz vor Fristende seine Bewerbung abzugeben, der andere (Flick), um den damaligen Ortschef über seiner bei der Birkenfelder Verbandsgemeindeverwaltung abgegebene Kandidatur zu informieren.

Auch Berang hatte am ersten Verhandlungstag im aktuellen Prozess gegen Thiel als Zeuge ausgesagt. Deren Verteidiger Felix Rettenmaier ging an Tag zwei aber nochmals auf Berangs Ausführungen ein. Diese seien zwar einerseits von „massiven Erinnerungslücken“ geprägt gewesen, andererseits habe er behauptet, dass er exakt um 17.55 Uhr nach dem Verlassen von Goldts Haus auf die Uhr seines Autoradios geschaut habe. Berangs Aussage, so Rettenmaier, sei „nicht glaubhaft“ gewesen. Dieser weise eine „erhebliche Belastungstendenz“ auf und „erinnert sich im Zeitablauf nur an Sachen, die die rechtzeitige Abgabe der Bewerbung meiner Mandantin unwahrscheinlich erscheinen lassen“, erklärte der Verteidiger.

Geschehen liegt fünf Jahre zurück

Grundsätzlich – das zeigte auch die beim zweiten Verhandlungstag folgende Vernehmung der Zeugen Flick und Goldt – besteht beim aktuellen Prozess das Problem, dass das Geschehen an einem Abend entscheidend ist, der nun fast genau fünf Jahre zurückliegt. „Beim zugrunde liegenden Sachverhalt ist die es schwierig zu beurteilen, was sicheres Wissen und was nur Vermutung ist. Deshalb auch die intensiven Nachfragen“, erklärte Richter Oberländer deshalb auch, als Flick fast zwei Stunden im Zeugenstand war.

Dieser hatte nochmals erklärt, dass er gegen 18.05 Uhr bei Goldt eingetroffen sei und dort gesehen habe, wie die ebenfalls anwesende Thiel an einem Tisch noch beim Ausfüllen der Unterlagen gewesen sei. Es sei für ihn eine „ziemlich, skurrile und unangenehme Situation“ gewesen. Er habe aber nichts dazu gesagt und nur Small Talk gehalten, „um eine Eskalation zu vermeiden“, so Flick auf eine Nachfrage von Staatsanwalt Udo Wohlleben. Um 18.20 Uhr habe er Goldts Haus verlassen. Thiel sei da noch da und das Formular noch nicht unterschrieben gewesen.

Ganz anders schilderte erneut Goldt die Situation. Demnach habe Thiel vor Flick das Haus verlassen. Es sei zwar richtig, dass er am Tag danach gegenüber der VG-Verwaltung die Uhrzeit von Berangs Abgabe der Bewerbungsunterlagen nicht korrekt angegeben habe, sicher sei er aber nach wie vor, dass auch Thiel noch vor 18 Uhr mit ihren Unterlagen, von denen er Teile bereits wegen einer vorherigen telefonischen Ankündigung vorbereitet hatte, fertig war. Um 17.55 Uhr habe er auf die Uhr geschaut und sich gedacht: „Es könnte ja noch einer kommen“, wiederholte Goldt eine Aussage, die er schon im Prozess gegen ihn selbst gemacht hatte.

Die Verhandlung gegen Thiel wird am 12. April fortgesetzt. Dann wird unter anderem ein Polizeibeamter als Zeuge aussagen. Er hatte schon für die früheren Prozesse die Strecke zwischen Thiels früherer Arbeitsstätte in Idar-Oberstein und Abentheuer nachgefahren, um herauszufinden, ob das überhaupt rechtzeitig zu schaffen war. Laut Staatsanwaltschaft sieht der Tatbestand der falschen uneidlichen Aussage als Strafmaß Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Von Axel Munsteiner

Top-News aus der Region