Hexenrock in Hettenrodt
Von Festivalmüdigkeit keine Spur
Die 257ers (ausgesprochen „Zwei-Fünf-Siebeners“), ein deutsches Rap-Duo aus Essen, kamen gut an.
Reiner Drumm

Der Hexenrock in Hettenrodt ist und bleibt Kult: auch wenn die Bedingungen für die engagierten Organisatoren nicht gerade leichter werden. 

29 Jahre Hexenrock – mindestens 20 davon hat der Autor selbst als Besucher miterlebt. Langeweile-Rock mit Liquido und Barclay James Harvest waren die wenigen enttäuschenden Ausnahmen. Oldies aus frühesten Jugendtagen mit Manfred Mann und Sweet, Popmusik mit Max Giesinger, erfrischender internationaler Hip-Hop mit Culcha Candela, Punkpop mit Jennifer Rostock und origineller Elektropop mit Laing – eine klare Linie ist nicht erkennbar. Bis Corona wurden die Headliner immer größer, ganz schön viel Geld, was die Ehrenamtlichen da in die Hand nehmen.

Dieses Jahr scheint alles anders: Das Line-up sagt vielen nur wenig, Wikipedia und YouTube müssen helfen. Immerhin, der Main-Act 257ers sagt Musikinteressenten etwas – wenn man aber auch ihren wohl bekanntesten Hit, „Ich und mein Holz“, eher nach Malle verdrahten möchte. Also etwas gemischte Gefühle im Vorfeld. Der Chef der Helferbrigade, Hettenrodts Ortschef Markus Schulz redet Klartext: Die Kosten im Zusammenhang mit Topacts aus der obersten deutschen Liga werden immer höher – der Verein hat jedoch ein klares Budget. Gewinne dürfen entstehen, werden aber an Vereine und soziale Projekte weitergegeben. Im Gegensatz zu „Wacken“ werden keine Reichtümer angehäuft, und deswegen scheut man es, Riesenverluste in Kauf zu nehmen.

Die Hexenrock- Besucher erlebten ein tolles Festival.
Reiner Drumm

Werden die alten Organisatoren müde? Diese Angst kann Markus Schulz nehmen. Die Organisatoren haben bereits mehrere Generationenwechsel hinter sich. Im Team der etwa 20 Mitarbeiter im engsten Kreis gibt es neben Schulz nur noch zwei „alte“. Die meisten sind Twens, haben mit ihren Eltern in früheren Jahren schon Festivalluft geschnuppert, mitgeholfen und sind so in die Situation hereingewachsen. Das scheint in Hettenrodt mittlerweile fast so etwas wie Dorfgenetik geworden zu sein.

Los geht es mit drei regionalen Künstlern: Yung Mevio singt mehr, als er rappt, die Hooks sind einprägsam, der Auftritt kurzweilig. Midnight Falling spielen ganz klassischen Punkrock, ein enormer Bass treibt die schrammelnden Gitarren vor sich her, und das schnelle laute Programm bringt allein aufgrund ihrer Lautstärke die Frontfrau mitunter an die Grenze ihrer Kraft. Wie schön, dass es eine solche kompromisslose Musik wieder gibt.

Still Ember als dritter lokaler Act haben sich Hardrock und Heavy Metal verschrieben. Hier ist es ein wuchtiges Schlagzeug, das die Band vor sich hertreibt, keine Zeit lässt zu entspannen. Tempo und Sound sind gewaltig, der Frontmann singt gut und brilliert beim Shouting. Dafür brauchen andere Bands zwei Sänger.

Ein wahrer Geheimtipp sind die folgenden Friends don’t lie. Sie haben diverse Nachwuchswettbewerbe gewonnen und werden von großen Veranstaltern für Nebenbühnen großer Festivals gebucht. Wacken, Rock am Ring und Rock im Park haben sie bereits gerufen, und schon bei den ersten Akkorden weiß man, warum. Nur zu dritt – trotzdem enorme Klangfülle, einprägsame Hooks und gnadenloses Tempo – sind sie wirklich prädestiniert für große Stadionkonzerte, das kann niemanden unbeeindruckt lassen.

Die Band Friends don't lie sorgte für Stimmung.
Reiner Drumm

Ein ganz anderes Genre bedienen Daniel Schneider und Mike Rohleder aus Essen. Als 257ers (Teil der PLZ von Essen) warten sie mit klassischem deutschem Hip-Hop, mit Elementen von Fanta 4 bis Deichkind auf, live unterstützt von einem Gitarristen und einem Schlagzeuger, der der auffallendste Schwerarbeiter des Abends ist. Zotige Texte, aber auch politische Ansätze („Halt’s Maul“ an die Adresse von Alice Weidel), Malle-Niveau („Ich und mein Holz“ oder „Holland“) fördern auf jeden Fall gute Laune und Bewegungsdrang – vom mobilitätseingeschränkten Oldie bis zu Kindern kann keiner im Zelt still stehen bleiben. Dank zweier Schaumkanonen sind die ersten Reihen ausnahmsweise von außen komplett nass. Es ist doch eine klare Linie des Hexenrocks zu erkennen: Die Musikauswahl wird geprägt von der großen Kompetenz der Beteiligten, die zuverlässig Geheimtipps finden.

Hexenrock hat sich ähnlich wie der Roarer Maad zu einem Ort entwickelt, an dem man sich trifft, alte Freundschaften wieder auffrischt und sich gerne auf dem Vorplatz aufhält. Dort hat man im Gegensatz zu vielen anderen Veranstaltungen draufgelegt, das Essensangebot ist vielfältig und hochwertig. Fazit: Tolle Musik und der Ortschef nähren die Vorfreude aufs 30. Festival im nächsten Jahr.

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