In der Forstwirtschaft wird in Jahrzehnten oder sogar in Jahrhunderten gedacht und geplant. Vor diesem Hintergrund sind die zehn Jahre, die seit der Gründung des Nationalparks Hunsrück-Hochwald vergangen sind, eine vergleichsweise kleine Zeitspanne. Doch was sich seitdem auf der rund 10.000 Hektar großen Fläche verändert hat, lässt auch Harald Egidi, den Leiter des Nationalparkamts, staunen: 58 Prozent davon sind schon jetzt Wildnis, viel, viel schneller als erwartet. Das geschah unter tatkräftiger Mitwirkung des Borkenkäfers. Auch durch sein Wüten unter den Fichten „herrscht eine bemerkenswerte Dynamik, die ich so nicht erwartet habe“, betont der Hausherr bei einer Pressefahrt mit Umweltministerin Katrin Eder im Vorfeld der Jubiläumsfeierlichkeiten an Pfingsten.
Die Grünen-Politikerin ist für klare Worte bekannt, die auch an diesem Nachmittag nicht lange auf sich warten lassen. „Ein Nationalpark muss in erster Linie seine Funktion für den Natur- und Artenschutz erfüllen“, unterstreicht sie mit Blick darauf, dass es in einem solchen Premiumschutzgebiet nicht zu viele Kompromisse geben darf. Deshalb hat sie verfügt, dass der Schutzkorridor von 1000 Metern zu den benachbarten Flächen dort, wo der Nationalpark an Staatswald grenzt, aufgehoben wurde.

Als der Bus gegen Ende der Tour einen kurzen Abstecher zum neuen Domizil des Nationalparkamts am ehemaligen Nato-Bunker Erwin in Börfink macht, darf natürlich eine Frage nicht fehlen: Wie sehr bedauert sie, dass die ambitioniertere Lösung auf dem Umwelt-Campus Birkenfeld ad acta gelegt wurde? Was in der Nationalparkregion gar nicht gut ankam.
„Das hat auch mir schon extrem wehgetan“, bekennt die Ministerin. Aber irgendwann habe man eben eine Entscheidung treffen müssen, die schließlich zugunsten der kostengünstigeren Variante ausfiel. Aber dafür habe man den Mitarbeitern dann auch „megaschnell eine andere Perspektive eröffnet“ – und noch dazu mit den 26 Rangern unter einem Dach. In dem Gebäude bei Börfink mitten im Nationalpark sind jetzt 65 Kräfte untergebracht.
Man nimmt der Ministerin ab, dass ihr der Nationalpark, der die Form einer Gitarre hat, am Herzen liegt. Ihr ist bewusst, dass deren Hals naturgemäß sehr dünn ist. Bei der Frage nach möglichen kleinen Erweiterungen, die unter dem Stichwort Arrondierungen quasi seit der Gründung im Gespräch sind, hält sie sich zurück. Das ist ohnehin nur möglich, wenn alle Beteiligten zustimmen – so steht es im Staatsvertrag. Und sie selbst weiß auch nicht, wie die neue Regierung nach der Landtagswahl am 22. März 2026 aussieht und ob sie dann noch Umweltministerin ist.

Yellowstone, der erste Nationalpark überhaupt, ist jedenfalls „charmante 90-mal größer als wir“, berichtet Amtschef Egidi. Aber auf seine Art ist der Hunsrück-Hochwald einzigartig, weiß der stellvertretende Amtsleiter Martin Mörsdorf. Altholzreiche Buchenwälder, Quellmoore, die Hangmoore, im Hunsrück Hangbrücher genannt, Rosselhalden, Felsenlandschaften: Das gibt es in dieser Kombination sonst nirgendwo.
An einem Langbruch lenkt Egidi den Blick auf eine knorrige ältere Buche mit deutlichen Lebensspuren. Es handelt sich um einen sogenannten Biotopbaum, weil er ökologisch wertvoll ist. Aus rein forstwirtschaftlicher Sicht ist er hingegen kein Gewinn. „Alte Bäume und Totholz müssen aber auch im Wirtschaftswald ihren Platz haben“, sagt die Ministerin. Der Amtsleiter verweist darauf, „dass es der Buche im landesweiten Vergleich bei uns noch relativ gut geht“. Dann macht er noch auf ein paar seltene Moorbirken aufmerksam. Die besondere Aufmerksamkeit der Journalisten zieht zudem ein Grasfrosch auf sich, der plötzlich zu ihren Füßen auftaucht.
Natur Natur sein lassen – so das Motto des Nationalparks: Das brauche man, um bestimmten Arten Lebensräume zu ermöglichen, gewisse Prozesse in Gang zu setzen und die dann zu beobachten. „Wir haben die Hand am Puls der Natur“, fasst Martin Mörsdorf das zusammen. Rund 4000 Premiumschutzgebiete gibt es weltweit, 273 in Europa und 16 bundesweit. Der Hunsrück-Hochwald als jüngster in Deutschland gehört damit zur Champions League des Naturschutzes.
Zwei neue Arten entdeckt
Wegen der großen Dichte an Wegen mussten dafür aufgrund der strengen Vorgaben etliche stillgelegt werden, erläutert Anja Eckhardt an der Stern-Wegkreuzung mitten im Schutzgebiet. Von 300 Kilometern sind rund 200 übrig geblieben. 30 davon haben noch eine Teerdecke. Das Nationalparkamt würde möglichst viel davon gern entsiegeln. Eigentlich gibt es dafür ein Programm, wonach genau das als Ausgleich für Baumaßnahmen dienen soll. Aber das greift laut Harald Egidi nicht, „weil es schon allein durch die Entsorgungskosten teuer wird“.
Was hat der Nationalpark der Region aus seiner Sicht neben dem exklusiven Natur- und Artenschutz gebracht? „Vor allem den großen Vorteil, dass sie bekannter geworden ist.“ Zudem seien Grenzen überwunden und die Beziehungen zu den Nachbarn verbessert worden. Einen gebietsübergreifenden ÖPNV, den Ausbau des Wildfreigeheges an der Wildenburg zum Nationalparktor und das Wasserwissenswerk: Auch das würde es ohne Nationalpark nicht geben.
Zwei neue Arten wurden bereits im Hunsrück-Hochwald entdeckt: eine Warzenflechte und eine nach der früheren Umweltministerin Ulrike Höfken, in deren Ära der Nationalpark gegründet wurde, benannte Rotalge. Ihrer Nachfolgerin hat der Ausflug in den Nationalpark, in dem sie sich nach etlichen Besuchen inzwischen gut auskennt, auch diesmal wieder bestens gefallen: „Auch weil ich es genieße, mal raus aus der Stadt zu kommen.“