Bei Straftaten, die sich im sozialen Nahbereich abgespielt haben, stößt die Justiz in der Abarbeitung vielfach an rechtliche Grenzen – oft bleiben Aussage gegen Aussage, falls die Strafverfahren in langer zeitlicher Differenz zwischen Tatzeit und Verfahrenseinleitung beginnen. Dem begegnen Politik wie Klinikum inzwischen mit entsprechenden Strategien – durch eine vertrauliche Spurensicherung. In der Grauzone zwischen unmittelbarer Strafanzeige bei der Polizei und gänzlichem Verzicht einer unmittelbaren Strafverfolgung gibt es jetzt diesen neuen Rahmen.
Den zu beschreiben und zu nutzen, war das Anliegen der Klinikleitung. Der Kaufmännische Direktor Joachim Krekel hatte zu einer Infoveranstaltung in den Besprechungsraum eingeladen. Die dargebotenen Informationen stießen auf ein breites Interesse: aus Mainz waren Staatssekretär Janosch Littig, Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz, und die Projektleiterin am Institut für Rechtsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Cleo Walz, angereist.
Novum im Bundesgebiet
Zurecht ist man im Klinikum Idar-Oberstein stolz auf die geleistete Pionierarbeit – begonnen hatte man mit fünf Kliniken in Rheinland-Pfalz. Weitere werden folgen. In der Vorgabe liegen das Vorhandensein einer Gynäkologie und einer Zentralen Notaufnahme (ZNA). Während Littig die politische Einordnung in seinem Grußwort hervorhob und die volle ministerielle Unterstützung begründete, hatte der kaufmännische Klinikchef in seiner Begrüßung zuvor herausgestellt, dass seit Einführung bereits zehn vertrauliche Beweissicherungsverfahren erfolgt seien.
Littig führte weiter aus, dass das kostenlose Angebot Unterstützung finde und auch vom Innenministerium mitgetragen werde: „Es geht um den Schutz von Frauen vor sexualisierter, oft damit einhergehender physischer Gewalt.“ Es seien zu viele Frauen und Jugendliche, aber auch Männer von körperlichen Übergriffen betroffen. Wenn sich die Straftaten im sozialen Nahbereich abspielten, sei die Hemmschwelle vor Erstattung einer Strafanzeige besonders hoch. Den Kopf in den Sand zu stecken, sei keine Lösung – Wiederholungen der Taten auch unter Versprechen seien leider nicht ausgeschlossen, so ein Fazit. Und in einem solchen Dilemma, die Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zusammen mit der vertraulichen Spurensicherung als zusätzlichen Beweis zu haben, stärken Polizei wie Justiz Betroffene. Finanziell werde das Projekt in Rheinland-Pfalz von gesetzlichen wie privaten Krankenkassen gemeinsam getragen – letzteres gilt sogar als Novum im Bundesgebiet.
Fünf Jahre verfügbar
Die engagierte Rechtsmedizinerin und Projektleiterin der Rechtsmedizin Mainz Cleo Walz führte fachlich in das Thema ein, indem sie relativ schnell abheilende Unterblutungen in Weichteilgewebe und oberflächliche Hautdefekte als Spurenbilder an die Wand projizierte. „Solche Belege unterstützen Betroffene in ihrer Aussage auch Jahre später, wenn sie sich eines Tages in einem Strafverfahren doch noch öffnen möchten.“ Wiederholungstaten etwa, auch gegenüber anderen Personen, können die Motivation zur eigenen Aussage beflügeln. Die Fachärztin betonte die Wichtigkeit und Technik mithilfe von Übersichts- und Detailaufnahmen mit einer Digitalkamera. Ein aufgelegter Maßstab dient bei Verletzungen der Größenbestimmung.
Mithilfe eines standardisierten Untersuchungsbogens und entsprechenden Untersuchungskits können Blut, Alkohol, Drogen und sonstige DNA-Spuren gesichert und fünf Jahre in der Rechtsmedizin Mainz eingelagert werden. Eine Auswertung finde erst dann statt, wenn die Betroffenen die Rechtsmedizin von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Insoweit bleibe die Autonomie jeglicher Entscheidung stets bei den Betroffenen, ohne dass die Polizei beteiligt sein müsse. Es bleibe also alles zunächst vertraulich – ohne jeden Druck. Nach fünf Jahren Aufbewahrung würden die gesicherten Asservate vernichtet, nach 30 Jahren sogar erst die schriftlichen Befunde der ärztlichen Dokumentation.
Prozess der Heilung
Alle Chefärzte betonten Wichtigkeit der professionellen Unterstützung und die breite psychosoziale und damit abschreckende Wirkung. Ricardo Gomez Nava als Chef der ZNA ist überzeugt, dass „das Projekt das Leben verändern und auch Leben retten“ werde. Der Ärztliche Direktor Ulrich Frey mahnte die Bedeutung zusammenfassend an: „Das sollte nicht versanden.“ Er erhielt von der Rechtsmedizinerin prompt ein Versprechen: „Keine Sorge, wir werden uns zweimal im Jahr sehen.“ Die Ausbildung der Pädiatrie stehe als Nächstes im Terminkalender. Auch Barbara Zschernack, Frauennotruf, beschrieb in ihrem Statement für weitere anwesende Frauenunterstützungseinrichtungen die sichtbaren Veränderungen in der Gesellschaft während der vergangenen 30 Jahre. Beziehungsgewalt finde vielfach am Wochenende statt, was die Hilfe des Frauennotrufes überfordern könne. „Daher ist dieses Projekt sehr wichtig“, so die Notruf-Mitarbeiterin im Schlusswort. „Gewalt sollte durch Ärztinnen und Ärzte erkannt und mit Verweis auf das Projekt Vertrauliche Spurensicherung begegnet werden.“ Littig fasste zusammen: „Früher kamen Betroffene an die Pforte und wurden an die Polizei verwiesen. Jetzt ist alles aus einem Guss, und es wird ein Prozess der Heilung eingeleitet.“