Lassen wir die Kirche im Dorf. Das Klöckner-Interview sollte man nicht überbewerten, aber es ist wichtig, es zu hinterfragen. Kein Wunder, dass viele die Aussagen der Bundestagspräsidentin kritisch sehen und manche ihr gern die Leviten lesen würden. Christen haben sich immer politisch engagiert, und das ist richtig so. Das Evangelium, die Bergpredigt, die Umwelt-Enzyklika des am Montag verstorbenen Papstes Franziskus und der Moment, als er 2013 vor Lampedusa einen Kranz ins Meer warf, sind zweifellos wichtige politische Botschaften. Diese richten sich auch an jene, die keine Lobby und keine Stimme haben. Kirchen müssen sich in einer zunehmend orientierungslosen Welt positionieren, besonders wenn die Politik das christliche Wertesystem verletzt oder zu verletzen droht.
Sollen wir die Kommentierung zu Themen wie Flüchtlingspolitik, Klimapolitik, soziale Ungerechtigkeit, Terror und Krieg nur noch Influencern, Hatern, Verschwörungstheoretikern und Politikern überlassen, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehen? Was würde Dietrich Bonhoeffer dazu sagen, der lutherische Pastor, der sich früh gegen das Nazi-Regime stellte und dafür sein Leben ließ? Ähnliches gilt für den in Pferdsfeld geborenen Paul Schneider, den „Prediger von Buchenwald“, der den Nazis unerschütterlich Widerstand leistete.
Richtig ist: Maßstab für kirchliche Positionierung in politischen Fragen darf nicht der Zeitgeist sein. Es darf weder banal noch beliebig werden, wenn sich die Kirche einmischt. Aber die Kirche muss mit der Zeit gehen, den Zeitgeist im Blick haben und ein sensibler Wertekompass sein. In einer theoretischen theologischen Blase verliert sie weiterhin Relevanz und wendet sie sich von der Realität und den Menschen ab, die nicht in einem luftleeren, zeitlosen Raum leben.
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