Idar-Oberstein. Fährt man derzeit durch Idar, dann befällt einen ein Hauch von Wehmut. Am legendären Café Carré stehen die Abrissbagger und verrichten ihre Arbeit. Die einstige Kultstätte Idarer Kneipenkultur wird zurzeit endgültig platt gemacht.
Eigentlich sollte Carré-Chef Martin Lenzen in der Edelsteinindustrie Karriere machen. Doch schon recht früh zog es ihn in die Gastronomie. Sein erster Arbeitgeber war Werner Effgen. Von 1978 bis 1981 war er in der Discothek „El Cid“, dort wo heute der Edeka-Markt in der Mainzer Straße beheimatet ist, im Thekendienst und als Kellner beschäftigt. Nach einer kleinen Pause ging es in der Gastronomie für ihn in der wohl ersten Kultkneipe der 1980er-Jahre weiter. Im „Engelchen“ gegenüber des Gloria-Kinos traf Lenzen auf Bernd Ruppenthal, dem heutigen Besitzer des Café Eckstein am Idarer Marktplatz. Aus der ehemaligen „Weiherbitz“, einer ganz gewöhnlichen Kneipe, hatten Ruppenthal und seine Partnerin Petra einen Jugendtreff gemacht. Hier war der Andrang so groß, dass die Gäste oft auf den Bürgersteig an der stark befahrenen Mainzer Straße ausweichen mussten. Gemeinsam beschlossen Ruppenthal und Lenzen, das Café Carré in der Idar in der Hauptstraße 26 zu eröffnen. Zwar konnte man sich nicht so richtig vorstellen, wie aus dem ehemaligen Bekleidungshaus von Albert Weilemann eine Kneipe entstehen sollte, doch Lenzen und Ruppenthal gelang es mit für Idar-Oberstein neuen Ideen, eine urgemütliche Musikkneipe zu errichten, die viel von einem englischen Pub hatte.
Eröffnet wurde das Café Carré an einem Sonntagmorgen. Für eine Kneipeneröffnung einen Morgentermin zu wählen, war ungewöhnlich. Es war der 23. Juni 1985. Und das „Karrre“, das ab 10 Uhr morgens ganztägig geöffnet hatte, wurde ein Riesenerfolg. Zwar trennten sich Ruppenthal und Lenzen bereits 1986, doch „de Maddin“ führte die Kneipe mit Erfolg weiter.Ob zur Mittagspause oder an Abenden, oftmals gab es keinen Platz. „Dett Karre“ war oft rappelvoll. Mit ein Grund für die Popularität war die Musikauswahl und die große Getränkekarte. Hier gab es unter anderem Biere aus aller Welt, wie etwa Kilkenny aus Irland oder Guinness.
Ein wesentlicher Teil des Erfolges war auch die Auswahl des Personals. Lenzen hatte einfach ein gutes Händchen für seine Mitarbeiter. Kamen bekannte Musiker in die Stadt, so hatte man auch einen Ort, wo man mit ihnen hingehen konnte. Unter anderem waren Bassist Mike Porcaro von Toto und auch Uriah Heep im Carré zu Gast. Wenn es einen Abend in der 24-jährigen Öffnungszeit des „Carré“ gab, an denen sich manche nur schemenhaft erinnern können, dann die Party mit Uriah Heep. Wie aus dem Rockmusiklehrbuch zeigten die weltweit bekannten britschen Musiker („Lady in black“) wie man sich die Kante gibt. Es wurden alle gängigen Klischees in Sachen Rockgruppen auf Tour bedient. Am nächsten Morgen musste Lenzen seine Getränkebar komplett neu auffüllen. Eine unvergessene Nacht... Doch im Laufe der Jahre wurde es auch im Café Carré ruhiger. Die Besucher wurden weniger. Und das trotz zahlreicher Ideen. Ein Beispiel war die Sportsbar, die trotzdem nicht den Pubcharakter veränderte.
Immer wieder tolle Konzerte
Wenn wir vom Café Carré als Musikkneipe sprechen, dann sind es die letzten Jahre. Zwar gab es immer wieder Live-Auftritte im Café Carré, doch eine richtige Musikkneipe mit Konzerten war es nie. Ab 2006/2007 änderte sich dies. Regelmäßig gab es dann Live-Konzerte. Vor allen Dingen aus dem Blues- und Folk-Bereich. Und Lenzen gelang es, echt gute und auch namhafte Bands und Künstler zu verpflichten. Unvergessen sind dabei die Konzerte mit Jim Kahr, der Steelyard Blues Band aus England, dem Altrocker Demian Bell und seiner Begleitband Maypole oder dem damals blutjungen Johnny Rieger, der heute zu den führenden Bluesgitarristen in Deutschland gezählt wird. Auch Rockabilly hatte immer ein Zuhause. Aus dem Bereich Folk gastierten unter anderem Paddy Schmidt und die Band Morrrighan in der kleinen Kneipe. Doch auch das half alles nicht, das Café Carré am Leben zu erhalten. Am 8. Juni 2009 kam das Ende, und Martin Lenzen zog es nach Neuwied, wo er heute das Thirsty Lion mit Erfolg führt. Und die Region war wieder einmal um eine Attraktion ärmer...
Martin Lenzen: Gewisse Distanz ist da
Martin Lenzen kommentiert den Abriss seiner Kneipe dieser Tage in Facebook: „Auch aus der Entfernung höre ich das Krachen, Splittern, Ächzen und Brechen des Hauses, das als wichtiger Teil Idars fast 100 Jahre dort gestanden hat und fast 25 Jahre mein Zuhause war. Mit dem vielen Geld der Firma Fissler hätte es doch sicher andere Lösungen gegeben, oder?“ Viele Reaktionen erhält er in dem sozialen Netzwerk; groß ist das Bedauern. „Letztlich fühle ich aber wenig, wenn ich die Abrissbilder sehe. Ich habe da schon eine gewisse Distanz entwickelt. Es waren schöne 24 Jahre, aber die sind vorbei. Es war ein wichtiges Kapitel in meinem Leben. Die Tränen wurden bei der Schließung 2009 geweint, jetzt nicht mehr...“ Und: „Wären all jene gekommen, die das jetzt mit großen Worten bedauern, hätte ich vielleicht nicht geschlossen.“
Viele Erinnerungen kommen hoch: „Legendär war wirklich die Geschichte mit Uriah Heep. Die Band hat mir beinahe den gesamten Schnapsvorrat weggesoffen. Danach haben die Jungs dann einen ganzen Flur im damaligen Merianhotel zerlegt. Kultig waren auch die Rosenmontage, an denen in den ersten zehn Jahren mein Lokal im Inneren regelmäßig in Schutt und Asche gelegt wurde. Die Folge daraus war dann der konsequent eingehaltene Ruhetag am Montag...“
Von Vera Müller und Erhard Hahn