Apotheker im Kreis versuchen, ihre Kunden aufzuklären
Ukraine-Krieg steigert Nachfrage nach Jodtabletten: Apotheker aus dem Kreis Birkenfeld klären Kunden auf
Auch Achim Nauert von der Birkenfelder Hirsch-Apotheke verzeichnet schon seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine eine verstärkte Nachfrage nach Jodtabletten – die allerdings bei einer nuklearen Katastrophe völlig ungeeignet wären.
Reiner Drumm

Kreis Birkenfeld. Als vor ein paar Tagen ein Kunde nach Jodtabletten fragte, hatte sich Heide Mayer von der Felsen-Apotheke in Idar-Oberstein noch nichts dabei gedacht. Viele Menschen brauchen Jodtabletten für die Produktion von Schilddrüsenhormonen, es ist also nicht ungewöhnlich, dass sie jemand kaufen will. Doch dann wollten immer mehr Kunden Jodtabletten haben.

Warum, das war Heide Mayer schnell klar: Seitdem die Russen das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ukraine angegriffen haben und es auch im unheilvoll bekannten AKW Tschnernobyl unweit von Kiew zu einem Brand samt Stromausfall gekommen war, wächst in Europa die Angst vor einer nuklearen Bedrohung, Menschen wollen sich mit Jodtabletten eindecken, um zu verhindern, dass die Schilddrüse radioaktiv verseuchtes Jod aufnimmt.

Das sei aber Unsinn, sagt Apothekerin Mayer: Die Dosierung in den handelsüblichen Jodtabletten sei dazu viel zu niedrig. Darüber klärt sie jetzt jeden Kunden auf, der in diesen Tagen nach den Tabletten fragt. Nur beim allerersten wusste sie noch nicht, warum er sie haben wollte: „Hoffentlich denkt der jetzt nicht, er sei im Nuklearfall geschützt.“

Denn die herkömmlichen Jodtabletten sind bei einer nuklearen Katastrophe vollkommen ungeeignet. Trotzdem: Die Nachfrage nach ihnen ist in den letzten Tagen bundesweit stark gestiegen. Die Nahe-Zeitung hat stichprobenweise in Apotheken in der Region nachgefragt. Das Ergebnis: In jedem der befragten Geschäfte stieg die Nachfrage Jodtabletten schon zu Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine an. Was also ist der richtige Weg? Abwarten und riskieren, dass es zu spät ist? Natürlich nicht. Aber den richtigen Zeitpunkt finden, sich vorab informieren und schlussendlich das Richtige tun – das ist sinnvoll.

„Die Unwissenheit ist groß“, hat Achim Nauert von der Hirsch-Apotheke in Birkenfeld beobachtet. In seiner Apotheke fing die Nachfrage bereits an, als die Russen in die Ukraine einmarschiert waren, und nach dem Angriff auf den Reaktor in Saporischschja habe sie noch mal stark zugenommen.

Für Johannes Jaenicke, den Inhaber der Adler-Apotheke in Rhaunen, hat die Suche nach Jodtabletten etwas typisch Menschliches: Man hört etwas in den Medien, baut gefährliches Halbwissen auf, ein kurzfristiger Markt wird erzeugt – und dann flaut alles auch wieder ab.

Jaenicke setzt auf Aufklärung, nicht nur im Kundengespräch, was vermutlich in allen Apotheken so gehandhabt wird, sondern auch auf der Facebook-Seite der Apotheke. Dort hat er am 4. März einen Text zum Thema geschrieben, auch ein Plakat, das über das richtige Vorgehen informiert, ist dort zu sehen. Er hofft auf Kunden, denen er und sein Team die Hintergründe erklären und die weiterzählen, was sie gehört haben. Das hat Erfolg: Die Nachfrage sei in den ersten zehn Tagen seit Kriegsausbruch zwar gestiegen, lasse jetzt aber merklich nach.

In einem Artikel der Stiftung Warentest ist gut beschrieben, welche Wirkung normale und spezielle Jodtabletten haben. „Die Schilddrüse“, heißt es dort, „braucht kontinuierlich eine gewisse Menge Jod, um es in Hormone einzubauen.“ Werden normale Jodtabletten zu früh eingenommen, dann weist der Schilddrüsenspeicher schon wieder Lücken auf, wenn das radioaktive Jod beim Menschen ankommt. Werden sie zu spät eingenommen, kann die Schilddrüse bereits radioaktives Jod aufgenommen haben. Ist der Speicher komplett mit Jod gefüllt, so nimmt die Schilddrüse kein weiteres Jod mehr auf – egal mit welchem Stoff, mit dem handelsüblichen oder dem radioaktiven, er gefüllt ist.

Das radioaktive Jod schädigt menschliche Zellen und kann über die Jahre Schilddrüsenkrebs verursachen. Bei Menschen ab 45 Jahren besteht zudem die Gefahr einer Überfunktion der Schilddrüse, wenn sie eine größere Menge Jod aufnehmen.

Und wann sollten die hoch dosierten Jodtabletten im Ernstfall eingenommen werden? Das Bundesamt für Strahlenschutz informiert, dass die Einnahme dieser Tabletten zur Schilddrüsenblockade (um zu verhindern, dass radioaktives Jod hineinkommt) nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Katastrophenschutzbehörden (über die Medien) erfolgen solle und nur in der Dosierung, die die Behörde nennt. Das Bundesamt bevorratet eine Menge von rund 190 Millionen entsprechender Jodtabletten, die im Ernstfall – und nur dann – an die Bevölkerung ausgegeben werden.

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