Doch so wie sich die Bedeutung von Heimat im Laufe des Lebens verändert, wandelt sich auch die weihnachtliche Festkultur. Nichts ist beständiger als der Wandel.
Für viele Hunsrücker gehört heute der Besuch von Weihnachtsmärkten zur Einstimmung auf das Frohe Fest. Dabei handelt es sich um eine recht neue Erfindung. Es gibt in Deutschland nur wenige Weihnachtsmärkte, die bis ins Spätmittelalter zurückreichen. Bei Märkten in der Vorweihnachtszeit konnten die Stadtbürger ihren Bedarf für die Wintermonate durch das Angebot von Lebensmitteln, Handwerkern und Spielzeugmachern decken. Einer der ältesten Märkte ist der Dresdner Striezelmarkt, auf dem 1434 das „Christbrot“ (Christstollen) verkauft wurde. Die Anfänge des Augsburger Chistkindlesmarkt reichen bis 1498 zurück. Der gleichnamige Markt in Nürnberg ist 1628 nachweisbar.
Auch in den Städten Koblenz und Mainz gab es schon früh Weihnachtsmärkte. Im Hunsrück dagegen wurden sie erst Mitte des 20. Jahrhunderts Teil des vorweihnachtlichen Brauchtums. Sie entwickelten sich aus den regelmäßig abgehaltenen Kram- und Viehmärkten. Hier konnten man sich mit winterlicher Kleidung versorgen. Vor 1980 gab es erst wenige Weihnachtsmärkte im Hunsrück.
Zu den ältesten gehört der Morbacher „Schwänzjesmarkt“, der am ersten Samstag im Dezember stattfindet. Der Name kam nach 1945 auf, als noch viele Hausschlachtungen zur Selbstversorgung der bäuerlichen Bevölkerung beitrugen. Damals entstand der Brauch, dass Bauernburschen Marktbesuchern mit einer Sicherheitsnadel Schweineschwänzchen auf den Rücken hefteten – zur Belustigung der übrigen Besucher.
Bockwurst mit Kartoffelsalat
Rituale waren an Weihnachten immer schon wichtig. Das galt besonders für das Essen. Traditionell kam in vielen Häusern am Abend des 24. Dezembers Bockwurst mit Kartoffelsalat auf den Tisch. Ein möglicher Grund: Nach dem Stress der zurückliegenden Tage war man froh, dass man an Heiligabend nicht noch stundenlang in der Küche stehen musste. Laut einer Umfrage gibt es heute nur noch bei 36 Prozent der Befragten Würstchen mit Kartoffelsalat. Es folgen Geflügel (27 Prozent), Raclette (14 Prozent), Fleischfondue (10 Prozent) und andere Gerichte.
Auch beim Backen von Weihnachtsplätzchen ist ein Wandel erkennbar. Wenn sich früher im Herbst der Himmel rot färbte, sagte die Mutter: „Dat Christkindche backt Plätzje.“ Da war es selbstverständlich, dass die Kinder halfen. Heute verzichtet ein Großteil der Bevölkerung (41 Prozent) darauf, selbst zu backen. Schon seit August kann man überall fertiges Weihnachtsgebäck kaufen. Am beliebtesten sind Vanillekipferl aus dem deutsch-österreichisch-böhmischen Raum.
Neben den Ausstechplätzchen, dem Spritz- und Anisgebäck, waren im Hunsrück vor allem Zimtwaffeln beliebt. Die im Waffeleisen gebackenen dünnen Waffeln gab es auch in der angrenzenden Westpfalz. Heute ist in vielen Familien nur die Erinnerung an den Duft geblieben, der verschlossene Erinnerungskammern an Weihnachten wieder aufspringen lässt. Fast ganz vergessen sind die Neujahrswecken, die aufgrund ihrer Form „Bubenschenkel“ hießen und im Hunsrück, in Westfalen und Hessen-Nassau verbreitet waren.
Auf dem Rückzug ist auch der Waldböckelheimer Lebkuchen, der früher in großen Mengen hergestellt wurde. Zahlreiche Kleinhändler trugen ihn im Hunsrück von Haus zu Haus. Einst gab es mehrere Lebkuchenfabriken im Nahetalort. Heute produziert nur noch die Bäckerei Andrae die herzförmige Leckerei. Das Rezept wurde von der Lebkuchenfabrik Dietz übernommen, die seit 1760 die Süßigkeit herstellt. Mit Blick auf die jüngere Kundschaft gibt es die Waldböckelheimer Lebkuchen heute auch mit Schokoladenglasur.
Das Weihnachtsbrauchtum wandelte sich im Lauf der Jahrhunderte oft. Eine wichtige Zäsur stellte die Reformation dar: Im Mittelalter beschenkte der Heilige Nikolaus am 6. Dezember die Kinder. Bei Martin Luther war der Bischof von Myra wegen seiner Eigenschaft als Heiliger aber in Misskredit. Der Reformator versuchte, den „Heiligen Christ“ an die Stelle des Nikolaus zu setzen. Der Volksglaube verniedlichte schließlich Christus zum Christkind, das in den evangelischen Gebieten zum Gabenbringer wurde. Im 19. Jahrhundert passten sich die Katholiken an und verschoben den Geschenktermin vom Nikolaustag auf Heiligabend. In vielen Familien gibt es bis heute zweimal Geschenke: am 6. und am 24. Dezember.
Die konfessionelle Scheidung machte sich auch bei einem anderen Brauch bemerkbar: Während anfangs der Nikolaus zusammen mit einem finsteren Gehilfen (dem Knecht Ruprecht oder Krampus) durch die Dörfer zog, wurde der Nikolaus in den evangelischen Regionen zur Begleitperson des Christkinds degradiert. Als „Pelznickel“ trug er traditionell einen langen Mantel, einen breiten Hut und eine Rute. In manchen Hunsrückorten war er – wie im Rechtsrheinischen – als „Markolwes“ bekannt. Der Name stammt von Markolf, dem Eichelhäher, der aufgrund seines Schreckensrufes auch „Polizist des Waldes“ genannt wird.
Arme Kinder werden zu Königen
Es gibt auch einen alten Brauch, der im vorigen Jahrhundert wiederbelebt worden ist: das Sternsingen, das im Hunsrück weit verbreitet war. Am Dreikönigstag, dem 6. Januar, verkleideten sich drei arme Jungen als Könige und zogen bettelnd von Haus zu Haus. Dabei sangen sie ein altes Dreikönigslied. Die evangelische und die katholische Kirche kritisierten seit dem 18. Jahrhundert angebliche Missstände bei den Umzügen.
Um 1900 war der Heischegang fast ganz ausgestorben, bis die katholische Kirche ihn wiederbelebte. Seitdem ziehen die Sternsinger wieder durch die Dörfer, segnen die Häuser und sammeln Spenden für wohltätige Zwecke.
Heute ist es völlig ungewiss, wie sich das Weihnachtsbrauchtum weiter entwickeln wird. Mit der zunehmenden Entkirchlichung tritt der religiöse Sinn des Fests immer mehr in den Hintergrund. Die klassische Form der häuslichen Bescherung mit Christbaum, Weihnachtsgeschichte und Singen von Liedern, wie es vor 50 Jahren üblich war, wird kaum noch geübt. Für die meisten Menschen ist Weihnachten heute vor allem das Fest der Familie, der Liebe und der Besinnlichkeit.