Dass Tiere keine gefühllosen Reflexautomaten sind, bewies Kappes mit einem kurzen Video: Im Zoo von Arnheim verabschiedete sich eine im Sterben liegende Schimpansin von Pfleger Jan van Hooft. Über 44 Jahre kannten sich die beiden. Augen wurden feucht, als man sah, wie emotional, ja mit welch tiefen Empfindungen dieser sterbende Schimpanse auf die Nähe seines vertrauten menschlichen Freundes reagierte.
Kappes formulierte daraus die Quintessenz: „Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass Tiere Gefühle haben, sie denken und besitzen eine individuelle Persönlichkeit.“ Als Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar weiß er, wie man die Zuhörer aus der Passivität führt. Und so unterbrach Kappes mehrfach seinen Vortrag, um das Publikum aufzufordern, in kleinen Gruppen über ihr persönliches Verhältnis zu Tieren zu sprechen.
Dass auch die Kirche ihr Verhältnis zu den Tieren neu definiert, dafür lieferte Kappes Beispiele aus der Bibel. Früher galt der Schöpfungsakt mit Adam und Eva abgeschlossen, als Krone der Schöpfung, „denn allein der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen und zur Herrschaft über die Erde und alle Erdgeschöpfe bestimmt“, so die anthropozentrische Lesart der Schöpfungsgeschichte.
Doch „nach der neuen, ökologischen Lesart, ist der Mensch das letzte Geschöpf Gottes und damit das abhängigste.“ Alle Geschöpfe können ohne den Menschen leben, aber der Mensch kann nicht ohne die anderen existieren. „Somit ist die Bibel viel weiter, als wir es sind, und somit ist die Bibel ein Plädoyer für einen fürsorglichen und verantwortungsvollen Umgang mit den Tieren“, sagte Kappes, der in seiner Zeit als Entwicklungshelfer sehr konkret und schon sehr früh mit ökologischen Fragen konfrontiert wurde.
Bibel ruft auf, Vegetarier zu sein
Selbst für manch theologisch Vorgebildeten war es doch eine Überraschung an dem Abend, dass sich in der Bibel bei Genesis 1,30 der Aufruf zum Leben als Vegetarier, vielleicht sogar als Veganer, findet: „Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben.“
Die Arche Noah kann man als heutigen Auftrag sehen, alle Tiere, nicht nur die nützlichen, zu erhalten und zu schützen, auch damit zog Kappes die Brücke von der Bibel zur heutigen Zeit. Denn „von allen Tieren soll je ein Paar zu dir hineingehen, dass sie leben bleiben“, fordert es das Alte Testament. Dadurch, dass heute ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, zwei Drittel aller Insekten verschwunden sind, gewinnt die uralte Geschichte einer Arche eine neue, dramatische Aktualität.
Und so ist es kein Wunder, dass Kappes als Theologe Papst Franziskus zitiert, der in der Laudatio si schreibt: „Jedes Jahr verschwinden Tausende Pflanzen- und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer. Die weitaus größte Mehrheit stirbt aus Gründen aus, die mit menschlichem Tun zusammenhängen. Unseretwegen können bereits Tausende Arten nicht mehr mit ihrer Existenz Gott verherrlichen, noch uns ihre Botschaft vermitteln. Dazu haben wir kein Recht.“
Artenschutz ist somit nicht nur naturwissenschaftlich fundiert durch Biologen und Ökologen zu leisten. „Denn schließlich ist das Verhältnis zu den Tieren auch eine Glaubensfrage, die alle Menschen angeht und berührt. Allerdings reichen die gesetzlichen Standards nicht aus, sie sind viel zu tief gesetzt“, bedauert das Mitglied im Kuratorium für Theologische Zoologie in Münster. Wer sich tiefer in das Thema einlesen möchte, dem sei sein Buch „Mitgeschöpfe – Vom Umgang mit Tieren aus christlicher Sicht“ empfohlen.
Nächste Akademie Ende November
Es war ein Abend voller Überraschungen, Gespräche und anregenden Diskussionen, der das Verständnis für unsere Mitgeschöpfe neu weckte und der den Bogen spann von der Wissenschaft zum Glauben. Freuen kann man sich jetzt schon auf die nächste Nationalpark-Akademie am Montag, 25. November. Dann wird über die Intelligenz der Natur informiert, die immer wieder aufs Neue nicht nur die Wissenschaftler überrascht: von Orang Utans, die sich mit Medikamenten aus der Natur behandeln, von Ameisen, die Gliedmaßen verletzter Artgenossen amputieren, oder von Schimpansen, die mittels Zeichensprache kommunizieren. Und Lebewesen, die ganz selbstverständlich mit der Quantenphysik hantieren.