Kreis Birkenfeld. In unserer Region fast unbemerkt liegen Stolpersteine, die an jüdische NS-Opfer aus Idar-Oberstein, Baumholder, Hoppstädten, Rhaunen oder Birkenfeld erinnern, keineswegs nur im Landkreis, sondern längst auch im angrenzenden Saarland, in zahlreichen deutschen Großstädten und sogar in Paris. Wer sich näher mit der damit verbundenen Erinnerungsarbeit beschäftigt, stößt auf bemerkenswerte Biografien und erschütternde Einzelschicksale.
So erinnert in Darmstadt ein von Gunther Demnig verlegter Stolperstein an den aus Baumholder stammenden Zahnarzt Dr. Emanuel Culmann, dem die Nazis die weitere Ausübung seines Berufs untersagten. Zynischerweise zwangen die braunen Rassenfanatiker den Mediziner in ein Arbeitserziehungslager in Frankfurt-Heddernheim, wo er am 30. Mai 1943 seinen erlittenen Misshandlungen erlag.
23-jährig hatte die Birkenfelderin Rosa Kahn 1899 den Binger Weinhändler Hermann Schmalz geheiratet. Schmalz starb 1935. Seine Witwe konnte 1940 alle Voraussetzungen für die Ausreise in die USA erfüllen und erhielt daraufhin die Wartenummer 27 452. Doch statt der erhofften Schiffspassage in die Freiheit blieb für sie nur die Deportation nach Auschwitz, wo Rosa Schmalz am 16. Mai 1944 starb.
Im nahen Wiesbaden lebte die 1862 in Oberstein geborene Elise Herz, die Saly Baer, ebenfalls ein Weinhändler, geheiratet hatte. Nach dem frühen Tod ihres Mannes wurde Elise Baer von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn finanziell unterstützt. Nachdem die Tochter deportiert worden war und der Schwiegersohn Selbstmord begangen hatte, fiel es der betagten Witwe immer schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Schließlich erhielt auch sie die schriftliche Aufforderung, sich an der Deportationssammelstelle des Wiesbadener Hauptbahnhofs einzufinden. Daraufhin räumte sie am 25. August 1942 in der Adelheidstraße 18 ihre Wohnung auf, zog sich gute Kleider an, legte sich auf ihr Bett und nahm die Zyankalikapsel, die ihr der Schwiegersohn hinterlassen hatte.
An der Grenze erschossen
Tragisch endete der Fluchtversuch von Ruth Loewy, der 1920 in Hoppstädten geborenen Tochter des dortigen Kantors. Nachdem bereits ihre Geschwister ins Ausland geschickt worden waren, kam Ruth 1938 in ein oberschlesisches Vorbereitungslager, in dem sie auf die Auswanderung nach Palästina warten sollte. Während der Reichspogromnacht wurde die 18-Jährige so entsetzlich von SA-Angehörigen zusammengeschlagen, dass sie kaum noch laufen konnte. Noch nicht ausreichend erholt von den erlittenen Verletzungen verließ Ruth Loewy das Lager und setzte sich nach Ulm ab, von wo aus sie die Eltern ins holländische Oldenzaal schickten. Dort fand die junge Hoppstädterin in einem jüdischen Haushalt Arbeit und betrieb weiter die Ausreise nach Palästina, die ihr aber nicht gelang.
1942 heiratete sie den ungarischen Juden István Marchand, mit dem sie Holland verließ, um einen Bekannten in Basel zu treffen. Doch in der Schweiz kam Ruth nie an. Zwar gelang es einem Bauern, sie mit einem Heuwagen unbemerkt aus Holland herauszuschmuggeln, doch wenige Kilometer vor der Schweizer Grenze entdeckten die Nazis das flüchtende Paar und erschossen die beiden sofort. In Saarlouis erinnert ein im vergangenen Jahr verlegter Stolperstein an Ruth Marchand.
Bislang konnten insgesamt 26 Stolpersteine für ehemalige jüdische Mitbürger aus dem Kreisgebiet nachgewiesen werden: In Berlin wird an die 1873 in Oberstein geborene Helene Herz erinnert, die nach ihrer Heirat Valfer hieß. In der Altstadt von Hamburg-Altona liegt der Stolperstein für die Sienerin Elise Schlachter (Jahrgang 1895). Gleich vier Stolpersteine weisen in Stuttgart auf jüdische NS-Opfer von der oberen Nahe hin. Neben Berta Reif (geboren in Idar), Hedwig Neuhäuser und Lucia Spielmann (beide aus Rhaunen) macht ein Stein auf den Hottenbacher Leo Allmayer aufmerksam. Er besaß in der Innenstadt ein Zigarren- und Zigarettengeschäft. Seine Leidenschaft galt dem VfB, dessen Heimspiele er regelmäßig besuchte. Bei einem Spiel pöbelte ihn ein früherer Bekannter an und rief: „Er ist ein Jude, raus mit dem Juden!“ Daraufhin verließ Allmayer die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“ und ward dort nie wieder gesehen. Mit seiner aus Kirn stammenden Frau wurde er zunächst nach Theresienstadt deportiert. Im Mai 1944 starb er in Auschwitz.
Weitere Stolpersteine liegen in Köln, Regensburg, Anrath, Freiburg im Breisgau und Cottbus. Naturgemäß gab es im Grenzgebiet zum Saarland einen regen Siedlungswechsel, durch den Juden von der oberen Nahe nach St. Wendel, Neunkirchen, Saarwellingen oder Saarlouis zogen, wo ihnen in den vergangenen Jahren Stolpersteine zugedacht wurden.
Zusätzlich zu den Stolpersteinen wurde in der Mannheimer Innenstadt als Mahnmal ein großer Glaskubus installiert, auf dem die Namen von Ida Kahn (Idar-Oberstein), Abraham Mendel (Birkenfeld), Rosa Leiser, Hermine Mayer, Auguste Schiffmann und Johanna Strauß (alle aus Hoppstädten) sowie Abraham Heinrich Heymann (Gonnesweiler), Moritz Moses Rosenberg, Rosa Wolf und Mathilde Kahn (alle Sötern, damals noch Kreis Birkenfeld) eingraviert sind. Sie alle waren Opfer der berüchtigten Bürkel-Aktion vom 22. Oktober 1940, bei der mutmaßlich 6000 Juden, vornehmlich aus der Saar-Pfalz-Region, in das französische Pyrenäenlager Gurs verschleppt wurden und zum großen Teil den Tod fanden.
Frankreich bot keine Zuflucht
Unter diesen Opfern befand sich auch der aus Oberstein stammende Arzt Dr. Leo Wolff, der seine Praxis in Appenweier hatte aufgeben müssen und auf die Ausreise in die USA wartete. Trotz völlig unzureichender Mittel kümmerte er sich mustergültig um seine kranken Mitgefangenen, bis er schließlich am 1. Mai 1942 in Toulouse selbst einer schweren Magenerkrankung erlag. Sein zweiter Heimatort widmete ihm ein Mahnmal.
Sogar das Shoah Memorial in Paris weist auf 22 verfolgte Juden der oberen Naheregion hin: Neben vielen anderen Namen findet sich dort der Hinweis auf die 1897 in Rhaunen geborene Hermine Ermann, die den Frankfurter Karl Sundheimer geheiratet hatte und mit ihm nach Frankreich geflüchtet war. Wie so viele andere Juden wurde auch das Ehepaar Sundheimer Opfer des Antisemitismus der französischen Kollaborationsregierung und landete im berüchtigten Sammellager Drancy bei Paris. Von dort führten regelmäßige Transporte direkt nach Auschwitz. Obwohl die Nazis Hermine Sundheimer bereits nach ihrer Flucht ausgebürgert hatten, verfolgten sie sie weiter bis in den Tod. Axel Redmer