Neu am Campus Idar-Oberstein
Schmuck übt ungeahnte Reize aus
Paul Adie zeigt beim Einführungsvortrag am Schmuck-Campus Idar-Oberstein auch Bilder seiner Diplomarbeit „Fruit from the Wasteland“
Stefan Conradt

Der Schmuckstandort Idar-Oberstein begrüßt zwei Persönlichkeiten mit ungewöhnlichem Lebensweg: Paul Adie und Ryan Seng. Beide stellten sich unlängst den Studierenden am Schmuck-Campus vor.

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„Fruit from the Wasteland“ - Früchte aus dem Ödland - heißt seine Diplomarbeit, eine streng gehaltene Arbeit aus Metall. Der Schotte Paul Adie hat schon viel gesehen und erlebt, geboren in Glasgow („Wir sagen Glezga“), wo er an der berühmten Art School auch sein Diplom ablegte, arbeitete er in Barcelona, Moskau und München, wo er heute noch seinen Hauptwohnsitz hat, er spricht fließend Spanisch und Russisch.

"Fruit from the Wasteland" heißt die Diplomarbeit von Paul Adie
Paul Adie

Nach seinem Bachelor of Arts in Russisch und Spanisch widmete er sich der Schmuckkunst und studierte zunächst an der Escola Massana in Barcelona. Anschließend absolvierte er ein Diplomstudium an der Akademie der Bildenden Künste in München. Seit 2015 ist Adie in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten, seit 2018 zeigt er seine Arbeiten in Solo-Ausstellungen. Dabei hat er zahlreiche internationale Preise gewonnen, etwa Talente oder den Loewe Craft-Prize.

Jetzt ist er für drei Monate in Idar-Oberstein, lebt als „Artist in Residence“ in der Bengel-Stiftung, arbeitet und unterrichtet am Schmuck-Campus und bildet sich selbst weiter. Er freue sich darauf, Edelsteine kennenzulernen – bisher hat er sich bei seiner Schmuckkunst vor allem auf Aluminium und andere Metalle beschränkt. In einem Vortrag stellte er sich und seine Arbeiten jetzt im Fachbereich Schmuck- und Edelsteingestaltung vor.

Adie sieht sich ausdrücklich als „Queer Artist“

Er habe noch keinen Schmuckkünstler erlebt, der derart respektlos mit dem klassischen Material umgehe wie Paul Adie, schmunzelt Theo Smeets, Studiengangleiter am Edelstein-Campus. Schmuck als Objekt – das sei die Sichtweise des Schotten, der sich selbst als eng mit der Pop-Art verbunden fühlt. Adie definiert sich ausdrücklich als „Queer Artist“, bei dem nicht selten Penisse in den Arbeiten auftauchen. Er provoziert gern, experimentiert viel mit Formen und Farben. Seit seiner Diplomarbeit sind die Schmuckstücke aber weicher geworden. Und tragbarer. Doch leben kann er noch immer nicht von seiner Kunst, so arbeitet er weiter im Hauptberuf als Übersetzer.

Er freue sich nun auf seine Zeit in Idar-Oberstein, sagt der 41-Jährige. Für die anwesenden Studierenden hatte er am Ende seiner Ausführungen einen Rat: „Nehmt alles mit bei Eurem Studium. Saugt alles auf! Probiert alles aus!“

Ryan Seng stellte sich am Schmuck-Campus Idar-Oberstein vor. Der erfolgreiche Modeunternehmer will kürzer treten und sich einen Traum erfüllen: lernen, Schmuck anzufertigen.
Stefan Conradt

Noch krasser dürfte der Kontrast beim neuen Lebensmittelpunkt beim zweiten Vortragenden des Abends ausfallen: Ryan Seng hat bereits eine beeindruckende Karriere in der Modebranche hinter sich, sogar mit erfolgreicher eigener Marke. Er lebte in Los Angeles und Detroit. Und nun in Idar-Oberstein. In seinem Vortrag stellte er ausgiebig die Arbeitsweise der US-Modeindustrie vor, wo er einst als Praktikant begann. Sein Ziel beim Weg zum Master in Schmuckdesign ist unter anderem herauszufinden, was die beiden Branchen verbindet und wo die Unterschiede liegen.

Für seine eigene Leinen- und Strickwaren-Modelinie kam er in Kontakt mit einer Manufaktur in Reutlingen – und da stieß er auf die Schmuck-Hochschule an der Nahe. Theo Smeets gesteht gerne ein, dass er selbst überrascht gewesen sei, dass eine solch gestandene Business-Persönlichkeit in Idar-Oberstein als Gasthörer studieren will. Aber es habe eine Kollegin aus Cranbrook/USA angefragt, mit der er gemeinsam in Amsterdam studiert hat – da wusste er, dass es sich nicht um einen Scherz handelte.

„Niemand kommt auf die Idee, seinen Schmuck wegzuschmeißen.“
Ryan Seng nennt einen einfachen Grund, warum ihn die Schmuckbranche so reizt.

Ryan Seng ist offiziell als Austauschstudent der Cranbrook Academy of Arts in Detroit in Idar-Oberstein. Er sei so neugierig auf die Schmuckherstellung, sagte er den Studenten und ließ auch durchschimmern, dass er die Schnauze voll habe vom harten Mode-Business und deren hoher Schlagzahl mit immer neuen Kollektionen zu jeder Jahreszeit. Jetzt stehe bei ihm eher eine gesunde Work-Life-Balance im Vordergrund. Kurz: Er macht nur noch, worauf er Lust hat. Und das sind derzeit – gut für den Idar-Obersteiner Campus – Schmuck und Edelsteine.

Ihm gefällt auch noch ein anderer Gedanke: „Niemand kommt auf die Idee, seinen Schmuck wegzuschmeißen“, spielt der Mittvierziger auf die aktuelle Unsitte an, Mode nur kurze Zeit zu tragen und sie dann in den Müll zu werfen.

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