Idar-Obersteinerin kämpft
Querschnittsgelähmt und der Bürokratie ausgeliefert
Cosma Will (39) möchte sensibilisieren und andere warnen: Sie kämpft gegen bürokratische und juristische Hürden.
Evelyne Will

Eine 39-jährige Idar-Obersteinerin, die im Rollstuhl sitzt, kämpft nicht nur mit den Folgen ihrer Behinderung, sondern auch mit bürokratischen Hürden, undurchsichtigen Versicherungsprozessen und einer unzureichenden Pflegeversorgung.

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Cosma Will findet klare Worte: „Ich habe keine Lust, ständig zu kämpfen. Ich bin dazu gezwungen. Es leben rund 8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland, und ich kann nur ahnen, wie viele davon leise vor sich hin kämpfen. Ich höre ständig von ähnlich schwierigen und dramatischen Geschichten. Es läuft hier so viel verkehrt. Es muss sich endlich was verändern. Angefangen bei dem Bewusstsein der Menschen. Behinderung kann jeden treffen. Und natürlich in der Politik wie auch im Pflegewesen.“ Die 39-Jährige ist seit Kurzem stellvertretende Vorsitzende des Inklusionsbeirats der Stadt Idar-Oberstein und sitzt seit einem Verkehrsunfall im Dezember 2000 im Rollstuhl. Sie saß beim Freund ihrer damals besten Freundin im Auto: nicht angeschnallt. Seitdem ist Cosma Will querschnittsgelähmt. Seit mehr als 20 Jahren kämpfe sie nicht nur mit den Folgen ihrer Behinderung, sondern auch mit bürokratischen Hürden, undurchsichtigen Versicherungsprozessen und einer unzureichenden Pflegeversorgung, fasst sie ihre Situation zusammen.

Nicht angeschnallt gewesen ... „Diese vermeintliche Mitschuld von 25 Prozent hatte später weitreichende und tragische Folgen – juristisch, finanziell und menschlich“, schildert sie rückblickend die Situation. Der Scheidungsanwalt ihrer Eltern übernahm den Fall. „Fachlich war er für solche schwerwiegenden Verletzungsfolgen nicht qualifiziert. Das wussten wir damals nicht. Informationen waren schwer zugänglich, und wir vertrauten auf sein Urteil. Ich erhielt eine einmalige Schmerzensgeldzahlung und halbjährliche Zahlungen, die wir immer wieder neu beantragen mussten. Niemand erklärte uns, dass wir dringend einen Fachanwalt gebraucht hätten.“

Von Familie geträumt

Damals lebte Cosma Will im Raum München, eine teure Stadt: Das Schmerzensgeld war schnell weg. „Wir lebten ohnehin eher bescheiden, dennoch war das Geld nach 15 bis 20 Jahren größtenteils aufgebraucht – für Auto, Wohnraumanpassungen und andere notwendige Ausgaben. Da meine Mutter wenig Unterstützung bei der Pflege erhielt und zusätzlich wegen der Krankenversicherung arbeiten musste, waren wir auf die Hilfe von Nachbarn und Freunden angewiesen. Ohne dieses Netzwerk hätte ich es nicht geschafft. Doch ein solches Netzwerk ersetzt kein stabiles Unterstützungssystem.“

2015 wurde mit der Versicherung eine monatliche Rente vereinbart. Doch auch hier machte der damalige Anwalt aus Sicht der jungen Frau schwerwiegende Fehler. „Die Rente war zu niedrig angesetzt, und viele Leistungen wurden eingeschränkt. Nur noch 75 Prozent der notwendigen Kosten für Umbauten oder Hilfsmittel wurden übernommen.“

Trotz allem versuchte Cosma Will, ihr Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten: „Ich zog mit meiner Mutter in den Hunsrück, träumte von einer Familie und wünschte mir Kinder. Nach einer medizinischen Diagnose war jedoch klar: Kinder sind auf natürlichem Wege nicht möglich und eine Alternative finanziell nicht tragbar. Mein Lebensgefährte trennte sich.“

Ab da erhielt sie Unterstützung durch Haushaltshilfe: „Wir hatten uns auch mit dem Thema Assistenz beschäftigt, doch da Familienangehörige von der Pflegekasse nicht berücksichtigt werden, dachten wir, es verhielte sich hier ähnlich.“

Die Sache mit dem Bus

Die jahrelange Pflege hinterließ Spuren – bei Cosma Wills Mutter wie bei ihr selbst: „Ich bekam Druckstellen am Rücken, weshalb ein anderer Rollstuhl nötig wurde. Der neue Rollstuhl war zwar nicht faltbar und größer, hatte aber einen speziellen Rücken, der die Druckstellen verhinderte. Ein neues Fahrzeug stand ohnehin längst an. Ich wollte einen Bus mit Kassettenlift – zum einen wegen des leichteren Transfers, zum anderen, weil ich dann jederzeit ein mobiles WC dabei haben könnte, was für mich wichtig ist, sobald ich das Haus verlasse.“

Der Umbau sei der Versicherung zu teuer gewesen, ohnehin habe diese nur 75 Prozent der Kosten übernehmen wollen. Außerdem wären noch die Anschaffungskosten für das Fahrzeug hinzugekommen: „Der erste von der Versicherung beauftragte Berater ließ mich hängen, weil er die Arbeit wechselte, der nächste ging ohne ein Wort in Rente. Ich fand dann einen bereits umgebauten Bus, den ich mir mit Unterstützung meines Ex-Partners leisten konnte, allerdings war er etwas älter. Einige Sommerwochen konnte ich ihn genießen, bevor Probleme auftraten. Für die Reparaturen fehlte es hier an Know-how, und mir fehlte das Geld.“

Inzwischen sitzt sie wieder in ihrem alten Rollstuhl, der fast auseinanderfalle, da der neue bei ihr unerträgliche Rückenprobleme verursache: „Der schöne Bus steht seit mehr als einem Jahr ungenutzt herum.“ 2019 wurde Cosma Will, die als berufsunfähig gilt, durch befreundete Rollstuhlfahrer auf ihre verhältnismäßig geringe Rente aufmerksam gemacht: „Daraufhin wandte ich mich an eine Fachanwältin, die meinen Fall erneut prüfte. Nach Sichtung der Akten klärte sie mich über die Fehler auf, und ich ging mit ihr gegen den früheren Anwalt in Regress.“

„Was ich jetzt brauche, ist Öffentlichkeit, Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und Menschen, die mir helfen, gehört zu werden.“
Cosma Will

Der Prozess dauerte mehr als vier Jahre, die Beweislast sei erdrückend gewesen, die Gutachterkosten bereits bezahlt. Trotzdem habe das Landgericht Bad Kreuznach die Klage abgewiesen – obwohl sich der Anwalt im Verlauf sogar entschuldigt habe: „Ich blieb auf 15.000 Euro Gerichtskosten sitzen. Eine Berufung ist notwendig – nicht nur juristisch, sondern aus menschlicher Sicht. Ich war immer auf das Wohlwollen meines Umfelds angewiesen, aber irgendwann reicht das nicht mehr. Ein Leben in einer Einrichtung kam für mich nie infrage. Ich will selbst entscheiden, wie ich lebe. Ich will nicht verwahrt werden.“

Heute kämpfe sie nicht nur für sich selbst: „Ich kämpfe für Gerechtigkeit – gegen ein System, das Menschen mit Behinderung strukturell benachteiligt. Was ich jetzt brauche, ist Öffentlichkeit, Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und Menschen, die mir helfen, gehört zu werden. Damit mein Fall nicht folgenlos bleibt. Damit andere nicht dasselbe durchmachen müssen.

Für Cosma Will hat Priorität, dass es eine Möglichkeit gibt, in Berufung gehen zu können. Ein funktionierendes Fahrzeug mit ausreichend großem Innenraum, das ihren Bedürfnissen gerecht wird, wäre ebenfalls eine Chance auf mehr Lebensqualität. In ihrer Freizeit malt, kocht, singt und musiziert sie gern. Cosma Will ist ein kreativer Mensch.

Mehr Unterstützung

Es sei dringend notwendig, dass Entscheidungen, die das Leben von Menschen mit Behinderung betreffen, von Menschen getroffen werden, die sich wirklich auskennen – idealerweise sogar selbst betroffen sind. Es gibt zahlreiche Betroffene, die sich aktiv für Veränderungen einsetzen möchten und bereit sind, beratende Rollen einzunehmen – sei es bei Gerichten, Krankenkassen oder im öffentlichen Dienst. Außerdem müsse die Unterstützung in schweren Lebenslagen deutlich leichter zugänglich werden. Familien, die sich diesen Herausforderungen stellen, verdienten bessere Förderung und Entlastung. „Und nicht zuletzt: Anwälte und Versicherungen müssen ihre Verantwortung ernst nehmen. Wenn sie das nicht tun, müssen sie wie jeder andere Mensch auch mit den Konsequenzen rechnen“, fordert die Idar-Obersteinerin, die in einer WG mit Mutter, deren Ehemann und Freunden lebt.

Kontakt: cosmaha@gmail.com (Cosma Will)

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