Neuauflage im September
Prozess wegen Vergewaltigung geplatzt
Strafverteidiger Timo Scharmann (Essen) mit seinem Mandanten am Jugendschöffengericht Idar-Oberstein
Günter Schönweiler

Bei Prozessen wegen Vergewaltigung steht am Ende oft Aussage gegen Aussage. Und dann wird es schwierig für das Gericht. Am Amtsgericht Idar-Oberstein musste nun eine Verhandlung komplett in den September geschoben werden. Alles auf Anfang...

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Es war eine Hauptverhandlung am Jugendschöffengericht, die einen schweren Vorwurf von Staatsanwältin Heike Finke als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach zum Inhalt hatte: Vergewaltigung. Angeklagt war ein inzwischen 23-jähriger Deutscher, der im Zeitraum zwischen Ende 2022 und Anfang 2023 in fünf Fällen eine zum Tatzeitraum erst 15-Jährige gegen ihren ausdrücklichen Willen vergewaltigt haben soll.

Die Jugendliche habe sich durch körperliche Verweigerungshaltungen und verbale Aufforderungen gegen die sexuellen Übergriffe gewehrt, sodass es für den Angeklagten ersichtlich gewesen sei, sein Vorgehen in der etwa dreimonatigen Beziehung hätte jeweils stoppen müssen, stand in der Anklage zu lesen. Dem widersprach der Angeklagte und behauptete stetige Einvernehmlichkeit beim sehr häufigem Geschlechtsverkehr.

Die Häufigkeit bestätigte die junge Opferzeugin vor Gericht – bestritt jedoch unter Tränen das Einvernehmen bei bestimmten Praktiken. Spätestens an dieser Stelle wird es bei der Einordnung strafrechtlicher Relevanz für das Gericht absehbar kompliziert. Denn die reklamierte Beweislage beruhte lediglich auf Aussagen der inzwischen fast 18-Jährigen. Und hier bleiben am Ende, wie so oft, Aussage gegen Aussage übrig.

So konnte im späteren Prozessverlauf und gegen Ende eines fast neunstündigen Sitzungstages lediglich eine von weiteren Zeugen beschriebene Bissspur in die Brust als Beweis festgehalten werden. Aber selbst diese war nicht in einem medizinisch gestützten Spurenbericht oder durch Fotos dokumentiert. Grundsätzlich ein Dilemma – das im Klinikum Idar-Oberstein inzwischen durch eine vertrauliche und kostenlose Spurensicherung aufgefangen werden kann. Wieder einmal blieb eine Zwangslage für den Vorsitzenden Jugendrichter Johannes Pfeifer und seine beiden Schöffen…

Juristenschach vom Allerfeinsten

Das erörterte Leben des Angeklagten verlief alles andere als geradlinig: Schulisch beschrieb er sich selbst als „lernfaul“, machte mehrere Praktika, hatte kurzzeitig Jobs, den begonnenen Führerscheinerwerb verfehlte er. Durch unzählige Onlinekäufe und ausufernde Handykosten kamen nach eigenen Angaben Inkassoschulden über rund 40.000 Euro zusammen. Briefe mit Mahnschreiben wurden ignoriert und zuletzt nicht mal mehr geöffnet. Inzwischen hat er den Weg zur Schuldnerberatung gesucht, ein Pfändungsschutzkonto sei eingerichtet. Immerhin hat er als ungelernte Kraft zurzeit ein Nettoeinkommen von etwa 1500 Euro, konsumiere weder Alkohol noch Drogen und könne Wohnung und Lebensunterhalt selbst tragen.

Nach Verlesen der Anklageschrift und Erörterung des Lebenslaufes verpackte Richter Pfeifer seine ganze Berufserfahrung in einen offenen Hinweis an den Angeklagten und dessen Strafverteidiger Timo Scharmann (Essen): Es sei ein ungeschriebenes Gesetz im Gerichtsbezirk, dass man – angesichts der Anklagevorwürfe – mit einem Geständnis über eine zweijährige Freiheitsstrafe zur Bewährung reden könne, um dem Tatopfer die Aussage vor Gericht zu ersparen. Ein Angebot, dem der Essener Fachanwalt für Strafrecht sofort offen gegenüberstand: „Ich vermeide grundsätzlich gerne die Konfrontation der Opferzeugen vor Gericht, weil ich um die Belastungssituation weiß.“ Eine Offenbarung, die von der Nebenklagevertreterin Ruth Streit-Stifano (Trassem) mit einer gewissen Zufriedenheit und hoffnungsvoll aufgenommen wurde. Es hätte also ein kurzer Prozess werden können, den Richter Pfeifer so auch im Zeitplan vorgesehen hatte: Prozess und Urteil an nur einem Sitzungstag.

Doch es sollte anders kommen, wie er am späten Nachmittag kurz vor 18 Uhr feststellen musste. Denn in diesen fast neun Stunden lagen nicht nur etliche Unterbrechungen – dazwischen wurde ein virtuelles Juristenschach vom Allerfeinsten gespielt…

Opfervernehmung wird unvermeidlich

Denn der Angeklagte mochte kein Geständnis im Sinne der Anklage ablegen, wie Verteidiger Scharmann nach kurzer Beratung mit seinem Mandanten erklärte – der Sex sei jeweils einvernehmlich gewesen und zum Teil sogar vom Tatopfer ausgegangen.

Damit war die Opfervernehmung unvermeidlich geworden. Und hier kam seitens des Strafverteidigers ein erster Schachzug: Er wollte eine direkte Vernehmung der Zeugin im so genannten Kreuzverhör. Und keine Fragestellung über den Jugendrichter, wie es die Strafprozessordnung (StPO) vorsieht. Seiner Argumentation folgend ginge es hier um ein schwereres Verbrechen mit angedrohter Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren. Ein Kreuzverhör? Das kam weder für Staatsanwältin Finke noch die Nebenklagevertreterin in Frage. Und wurde mit Gerichtsbeschluss am Ende antragsgemäß abgewiesen – keine direkten Fragen an die Opferzeugin.

Immer wieder kam es so im Sitzungsverlauf zu verbalen Scharmützeln zwischen den Prozessbeteiligten. Die Vernehmung zog sich so über Stunden hin, etwas, was der Strafverteidiger vorausgesagt hatte – bis die Nebenklage die Reißleine zog und eine physische wie psychische Überforderung der Jugendlichen reklamierte. Immerhin konnten alle weiteren geladenen Zeugen noch gehört werden. Zwei weitere Beweisanträge (psychiatrische Gutachten zur Persönlichkeit und zum aussagepsychologischen Verhalten) wurden nach längerer Beratung vom Jugendschöffengericht abgewiesen.

Als vorläufig letzten Trumpf zog Verteidiger Scharmann noch eine weitere notwendige, im polizeilichen Ermittlungsverfahren allerdings unterbliebene Zeugenvernehmung und die Anhörung von zwei Polizisten. Hatten die Staatsanwältin und die Nebenklagevertreterin bisher die Abweisung von Beweisanträgen in den Erklärungen jeweils noch gefordert, knickten diesmal beide ein. Damit war der Prozess geplatzt, nachdem selbst eventuelle Sprungtermine nicht weiterhelfen konnten – Paragraf 229 StPO ist da gnadenlos: Eine Hauptverhandlung darf grundsätzlich nur bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Das war für die Prozessbeteiligten nicht „händelbar“. So beginnt der Prozess ab September komplett von Neuem – diesmal aber vorsichtshalber angelegt auf drei Tage.

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