Idar-Oberstein – Als dieser Tage die Abrechnung der Stadtwerke bei ihr ins Haus flattert, schlägt Katharina P. (Name von der Redaktion geändert) verzweifelt die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Weihnachten fällt schon wieder flach“, schießt es ihr angesichts der verlangten Nachzahlung durch den Kopf. Geld für einen Weihnachtsbaum hat die 40-Jährige ohnehin nicht. Dass sie aber der elfjährigen Tochter nun zu Heiligabend noch nicht einmal einen Herzenswunsch wird erfüllen können, treibt ihr das Wasser in die Augen. Gut, dass die Kleine in der Schule ist. Vor ihr weinen? Nein, das gibt es nicht – sind die Sorgen auch noch so groß. Erst in der Nacht, wenn das Kind im Bett liegt und schläft, dann lässt sie ihren Gefühlen, ihren Tränen freien Lauf.
Seit knapp vier Jahren geht das schon so. Bis Februar 2008 verläuft das Leben für Katharina P. in geregelten Bahnen. Mit Ehemann und Tochter wohnt sie in Koblenz zur Miete in einem schmucken Häuschen. Sie haben ihr Auskommen, sind glücklich und zufrieden. Beide Elternteile gehen arbeiten, der Mutter reicht ein 400-Euro-Job. Über Geld muss sich die Familie keine Sorgen machen – bis zu jenem verhängnisvollen Nachmittag. Katharina P. und das Mädchen, damals sieben Jahre alt, gehen kurz aus dem Haus, besuchen eine Verwandte. Sie sind nur eine Stunde weg. Doch als sie nach Hause kommen, liegt der zuvor stets kerngesunde Vater regungslos auf der Coach – tot, das Herz hat nicht mehr mitgemacht. Und das mit 45.
Alltag läuft aus dem Ruder
Für Mutter und Tochter bricht eine Welt zusammen. Der Alltag gerät vollkommen aus dem Ruder. Langsam wird das Geld knapp, vorgesorgt hat die Familie nicht. Katharina P. kann das Haus nicht mehr halten, muss mit der Tochter ausziehen. Aus der Not will die gebürtige Birkenfelderin eine Tugend machen; sie zieht nach Idar-Oberstein, versucht hier einen Neuanfang. Doch der Versuch schlägt fehl.
Die trauernde Witwe lässt immer mehr schleifen, kümmert sich um nichts mehr. Zur Tochter sagt sie immer öfter: „Mach's doch selbst.“ Hinzu kommen gesundheitliche Probleme. Der Rücken schmerzt, eine Operation ist unvermeidbar. Das Kind fällt zusehends in der Schule ab. Die Pubertät beginnt, die Tochter lässt sich nichts mehr sagen, wird rebellisch, redet immer weniger, igelt sich ein. Hinzu kommen Verlustängste. Geht Katharina P. etwa am späten Abend noch einmal mit dem Hund vor die Tür, wird die Tochter sofort wach, schaut verängstigt aus dem Fenster, wartet, bis die Mutter zurück ist. Erst dann kann sie einschlafen.
Es folgt, was folgen musste: der totale Zusammenbruch. Die Nerven von Katharina P. spielen nicht mehr mit. Der Tod des Partners, der Auszug aus dem gemeinsamen Haus, der Umzug an die Nahe – nun kommt alles wieder hoch. Sie ist sogar kurz davor, ihr Kind zu schlagen. Schnell wird klar, dass Katharina P. die Schicksalsschläge längst noch nicht verkraftet, längst noch nicht verarbeitet hat – ebenso wenig wie die Tochter. Ein Wunder ist dies nicht. Denn Freunde oder Familienmitglieder, die sie aufrichten, die ihr Mut zusprechen und ihr helfen, gibt es nicht. Katharina P. und ihre Tochter stehen völlig alleine da.
Gang zum Jugendamt
Doch die Mutter gibt nicht auf, unternimmt stattdessen einen mutigen Schritt. Sie geht zum Jugendamt und gibt zu: „Ich kann nicht mehr. Ich komm' nicht mehr klar. Bitte, helfen Sie mir!“ Das war vor einem Jahr. Und das Jugendamt hilft ihr, gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Unterstützung erhält Katharina P. seit Januar von der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) der AWO Südwest mit Sitz in Kirn. Einmal in der Woche schaut die SPFH-Leiterin Diplom-Sozialpädagogin Sabine Elsner bei Mutter und Tochter vorbei. In enger Absprache mit dem Jugendamt leistet sie Hilfe zur Selbsthilfe. Elsner stellt in Kooperation mit Jugendamt und Familie einen Hilfeplan auf, bringt Struktur in den Alltag, hilft bei Behördengängen und Anträgen, gibt organisatorische Tipps. Auch die Finanzen werden geregelt; eine Schuldnerberatung greift der 40-Jährigen unter die Arme.
Es geht aufwärts – Schrittchen für Schrittchen, langsam, aber stetig. Doch immer wieder muss Katharina P. auch kleinere Rückschläge einstecken. Etwa wenn das Geld nicht reicht, um Obst oder Joghurt kaufen zu können. Wenn das Kind wieder neue Schuhe braucht, für die natürlich auch kein Geld da ist. Wenn sie sich wieder einmal anhören muss, dass Hartz IV-Bezieher faul und arbeitsscheu seien. Aber Katharina P. hat gelernt zu kämpfen. Zu kämpfen für sich und vor allem für ihre Tochter.
Neuer Auftrieb durch Umschulung
Neuen Auftrieb gibt der Frau eine Umschulung, die sie im August beginnt und Mitte November abschließt – mit der Bestnote 1. Seitdem ist Katharina P. Pflegediensthelferin in der Seniorenbetreuung. Sie kann jetzt in einem Altenheim arbeiten. Nun heißt es: Bewerbungen schreiben. Eine Arbeitsstelle ist ihr größter Traum. Und vielleicht klappt es ja dann auch mit dem Führerschein. Denn langfristig gesehen möchte die treu sorgende Mutter wieder komplett auf eigenen Füßen stehen – auch wenn ihr der Kontakt mit AWO-Mitarbeiterin Sabine Elsner guttut. Aber Katharina P. gibt auch zu: „Ohne Sabine Elsner hätte ich den Weg bis hier hin nie geschafft.“
Elsner war es auch, die dafür gesorgt hat, dass Weihnachten für Katharina P. und die Tochter doch nicht ausfallen muss – trotz Nachforderung der Stadtwerke. Mit Spenden von HELFT UNS LEBEN, einer Aktion unserer Zeitung in Zusammenarbeit mit der AWO, konnten wenigstens kleinere Wünsche erfüllt werden. Und wer weiß? Vielleicht springt ja noch ein kleiner Tannenbaum heraus.
Spenden an HELFT UNS LEBEN, Stichwort „Nachbar in Not“, Konto 1313 bei der Sparkasse (BLZ 570 501 20) oder bei der Santander Bank (BLZ 570 101 11).
Von unserem Redakteur Andreas Nitsch