Am Landgericht Bad Kreuznach lief eine Berufungsverhandlung zum Ende völlig aus dem Ruder: Verteidiger Axel Balzer (Bad Kreuznach) konnte einem schon leidtun, weil er trotz aller Mühen seinen 38-jährigen Mandanten nicht bremsen konnte. Dieser war vom Amtsgericht Idar-Oberstein in acht Fällen des Betrugs, in zwei Fällen wegen Bedrohung sowie in drei Fällen wegen Verstoßes betreffend Anordnungen gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden. Seit November 2023 saß der Angeklagte ohne festen Wohnsitz deswegen bereits in Untersuchungshaft. Am Amtsgericht vollumfänglich geständig, war die Strategie von Verteidiger Balzer auf Rechtsfolgenbegrenzung ausgerichtet – die Reststrafe zur Bewährung.
In der Schweiz gelebt
Die Chancen standen nicht schlecht: Die acht Betrugstaten waren allesamt Tankbetrügereien in jeweils zweistelliger Höhe. Der angerichtete Schaden war insoweit durchaus überschaubar und kriminologisch gut erklärbar. Der 1986 in Kasachstan geborene Mann war Anfang der 1990er-Jahre mit seiner Mutter nach Deutschland gekommen, der leibliche Vater in Kasachstan geblieben. Auch wenn die ersten Jahre etwas holprig in der Eingewöhnung waren, schloss er die Hauptschule mit einem Notenschnitt von 2,7 ab, war vier Jahre Zeitsoldat bei der Bundeswehr. Er hatte danach eine Ausbildung zum Bürokaufmann begonnen, die Prüfung aber nicht bestanden. Sein Bruder war 2012 bei einem Verkehrsunfall um Leben gekommen.
Im Juli 2015 heiratete er seine von ihm schwanger gewordene Freundin, kurz danach wurde er Vater einer Tochter. Seine Mutter verstarb 2016 an Lungenkrebs. Die eigene Ehe stand allerdings unter keinem guten Stern, das Paar trennte sich. Er machte eine Ausbildung als Baggerfahrer, verließ Deutschland, arbeitete und lebte bis November 2018 in der Schweiz. Den Kontakt zur Tochter wollte er wieder intensivieren, sie fehle ihm sehr.
Drogen „probiert“
Er verdingte sich fortan als Lkw- und Baggerfahrer wieder in Deutschland, arbeitete auch in Fabriken. Immer wieder wechselnde Anstellungen waren jedoch nie von langer Dauer. Hinzu kamen – trotz der fünf Jahre zurückliegenden Ehe – ein problematischer Umgang und Streitigkeiten mit der früheren Ehefrau. Im März 2023 verlor er seine Wohnung – er konnte ohne Einkommen und schmalen Lohnersatzleistungen Miete und Nebenkosten nicht mehr tragen. Der Pkw wurde nun sein neues Zuhause.
Ein Hintergrund, der mit ruhigen Worten von Verteidiger Balzer aufzuarbeiten versucht wurde – aber der Angeklagte nahm dem Juristen dazu jede Chance und fiel immer wieder störend ins Wort. Im späteren Untersuchungsbefund von Dr. Ralf Werner (Bingen), Facharzt für Psychiatrie, Forensische Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie, wurde angerissen, dass der Angeklagte in der Jugendzeit kurz Drogen „probiert“ hatte, kein Alkoholmissbrauch bestehe – aber wohl eine Spielsucht den unsteten Lebenswandel prägte. Der Schilderung des Angeklagten nach habe er einmal eine ihm in einer Gaststätte servierte Pizza gegessen, die mit Kokain bestäubt gewesen sein soll. Dies will der Angeklagte nach einer Unterredung mit einem Bekannten erfahren haben.
Eingeschränkt schuldfähig
Dem Bekannten habe er gesundheitliche Auffälligkeiten nach Genuss der angeblich vergifteten Pizza geschildert. Letztlich aber gab es zu dieser Behauptung keinerlei Belege. Fortan kreisten seine Gedanken nur noch „um gute und schlechte Lebensmittel“ – je nach gesundheitlicher Wahrnehmung. Und diese Auffassung brachte er immer wieder in starker Erregung und ungebremst lautstark ein. Er schonte in dieser Phase weder den erfahrenen Gutachter Dr. Werner noch Gericht oder Staatsanwältin Anke Wildberger mit Vorwürfen, Beleidigungen bis hin zu neuen Drohungen. Die Vorsitzende Richterin Laura Hebling ermahnte den Angeklagten immer wieder, dass er für die angestrebte Bewährungsstrafe eine positive Sozialprognose erkennen lassen müsse: „Was Sie hier betreiben, ist das Gegenteil!“ Verteidiger Balzer war sich dessen bewusst – und bat um Sitzungsunterbrechung, um seinem Mandanten den Ernst der Lage nochmals vor Augen zu führen.
Nach gut zehn Minuten gab Rechtsanwalt Balzer resigniert auf: „Ich kann ihn leider nicht erreichen, wir können weiterverhandeln.“ Das von ihm ausdrücklich bedauerte Ergebnis fehlender Einsicht unterstrich der Angeklagte immer wieder mit impulsiven und beleidigenden Drohungen – selbst in Richtung des Bundespräsidenten. In seinem Gutachten beschrieb der Sachverständige schließlich, dass sich der erste psychiatrische Befund mit Verdacht Wahnsymptomatik bis hin zur Schizophrenie festige. Das heutige ungezügelte Auftreten, trotz ultimativer Warnung der Vorsitzenden mit Ausschluss von der Verhandlung, lasse ihn nun zu einer „Erkrankung im schizophrenen Formenkreis“ gelangen – somit sei er eingeschränkt schuldfähig. Eine entsprechende medikamentöse Behandlung lehnte der Angeklagte ab.
Staatsanwältin: Verhalten sanktionieren
Schwieriges Feld für Verteidiger Balzer, der im Schlussvortrag eine Bewährungsstrafe forderte. Staatsanwältin Wildberger war angesichts der Hasstiraden und Drohungen ziemlich geladen, beantragte Klageabweisung und kündigte noch im Gerichtssaal die Einleitung eines weiteren Verfahrens wegen Beleidigungen und Bedrohungen an. Nach kurzer Beratung verkündete Vorsitzende Richterin Hebling die erwartbare Klageabweisung – eine positive Sozialprognose sähe in der Tat anders aus. Das Urteil wurde noch im Gerichtssaal rechtskräftig – von verhängten 20 Monaten müsse er nur noch acht Monate in Strafhaft einsitzen. Ob das aber dann das Ende sein wird, darf mit Worten der Staatsanwältin bezweifelt werden: Sie will neue Anklage erheben und das ungezügelte Treiben im Gerichtssaal sanktioniert wissen.