Minister in Idar-Oberstein
Pistorius und Weingarten: Zwei, die sich verstehen
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (rechts) und SPD-Wahlkreiskandidat Joe Weingarten beim Wahlkampftermin in der Messe Idar-Oberstein
Sabine Greber-Maier

Er ist ein wichtiges Gesicht der SPD, und viele in der Noch-Kanzler–Scholz-Partei haben bedauert, dass Boris Pistorius nicht als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl am Sonntag antritt.

Das wollten sich rund 300 (vorangemeldete) Menschen nicht entgehen lassen: Lange Schlangen gab es bei der Sicherheitskontrolle am Eingang der Messe Idar-Oberstein, als am späten Dienstagnachmittag Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zum Wahlkampfauftritt mit dem SPD-Wahlkreiskandidaten Joe Weingarten eintraf. Der Spitzenpolitiker war extra nach der Trauerfeier für den verstorbenen Bundespräsidenten Horst Köhler im Berliner Dom über Ramstein eingeflogen. Im Anschluss an den rund zweistündigen Termin ging es am frühen Abend ebenfalls im Flieger auch schon wieder zurück nach Berlin.

Pistorius lobte die Arbeit Weingartens im Verteidigungsausschuss, man habe sich auf Anhieb verstanden, sagte der Minister, der 2022 mit einem Jahr Verzögerung zur Ampelregierung gestoßen war. Beide könnten sich gegenseitig sagen: „Ich weiß zwar nicht, was du denkst, aber ich höre, was du sagst, und ich weiß, dass du sagst, was du denkst.“ Pistorius, den Weingarten gerade bei einem Truppenbesuch in Litauen begleitet hatte, äußerte sich ausführlich zur derzeitigen sicherheitspolitischen Lage in Deutschland und Europa und bat um Stimmen für Weingarten, die SPD und Olaf Scholz: „Es wird viel zu wenig gewürdigt, was die Ampel in diesen Krisenzeiten geleistet hat.“

„Ich weiß zwar nicht, was du denkst, aber ich höre, was du sagst, und ich weiß, dass du sagst, was du denkst.“
So beschreibt Boris Pistorius die enge Beziehung zu Joe Weingarten.

Der frühere Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Osnabrück erinnerte daran, dass seine Generation im „Kalten Krieg“ aufgewachsen sei: „Für uns war das ganz normal, dass englische Soldaten Teil des Stadtbilds waren“ (Anm. d. Red: Osnabrück war damals der größte britische Militärstützpunkt außerhalb des Vereinigten Königreichs). Aber für die junge Generation sei das nun eine völlig unbekannte Situation, ein „Kulturschock“, wie er an seinen beiden Töchtern feststellen könne: „Wir müssen plötzlich wieder viel Geld ausgeben für die Landesverteidigung, das dann an anderer Stelle fehlt. Dabei hätte man mit wachen Augen schon 2014 erkennen können, was Putin plante. „Er hat es ja bei der Münchener Sicherheitskonferenz gesagt!“

Doch Deutschland und Europa sei erst acht Jahre nach der Krim-Annexion wach geworden – als russische Truppen in der Ukraine einmarschierten. Jetzt habe Russland einen riesigen Vorsprung, weil dort bereits seit Langem auf Kriegswirtschaft umgeschaltet sei. In Deutschland tue man sich dagegen schwer, die Bundeswehr wieder schlagkräftig aufzustellen. Da sei in den vergangenen Jahrzehnten zu viel zerschlagen worden: „Die Bundeswehr ist kaputt gespart worden“, sagt Pistorius ganz deutlich. Auch die Abschaffung der Wehrpflicht sei ein großer Fehler gewesen. Jetzt gelte es, „entschlossen zu handeln“. Er sei froh, dass Olaf Scholz wenige Monate nach seinem Antritt als Bundeskanzler die „Zeitenwende“ ausgerufen habe – der Begriff habe mittlerweile sogar Einzug in den englischen Sprachraum gefunden.

Jetzt schaltete der SPD-Politiker in den Wahlkampfmodus. Er erinnerte daran, wie die Ampel im Herbst 2022 die drohende Energienotlage gemeistert habe: „Niemand musste frieren, kein Industriebetrieb musste abgeschaltet werden.“

„Wer die Demokratie verteidigen will, muss auf die Straße gehen und gegen die Populisten vorgehen.“
Boris Pistorius

Spätestens nach der Rede des US-Vizepräsidenten J.D. Vance bei der jüngsten Münchener Sicherheitskonferenz sei klar, dass Europa sich darauf einstellen müsse, sich selbst zu verteidigen, alleine schon deshalb, weil sich die USA künftig auf den indo-pazifischen Raum, der Einflusssphäre Chinas, konzentrieren werden: „Ich weiß, das ist ein hässliches Wort, aber ich habe es bewusst benutzt, um wachzurütteln: Wir müssen schauen, dass wir ,kriegstüchtig’ werden.“ Das sei auch für Deutschland eine Riesenherausforderung. Doch es gehe nicht nur um Geld. Da sei auch die Frage: „Wer soll das Land verteidigen? Das Konstrukt Staat kann das nicht, das müssen Menschen tun.“ Das gelte im Übrigen auch für die Verteidigung der Demokratie, sagte Pistorius: „Wer sie verteidigen will, muss auf die Straße gehen und gegen die Populisten vorgehen.“

Julia Pies (links) und Caroline Pehlke begrüßten die Besucher und den Ehrengast
Sabine Greber-Maier

In der anschließenden Fragerunde konnte der Verteidigungsminister unter anderem Bedenken eines 16-jährigen Besuchers, dass es eine Art „Zwangsrekrutierung“ in Deutschland geben könnte, zerstreuen: „Die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung ist im Grundgesetz verankert.“ Die Bundeswehr habe ohnehin nicht genügend Kasernen, um Hunderttausende Wehrpflichtige unterzubringen. Zwischenruf Weingarten: „Da wüsste ich eine in Idar-Oberstein...“

Pistorius schwebt eine Freiwilligenarmee nach dem Vorbild Schwedens vor. Dort werden Fragebögen an alle 18-Jährigen verschickt, Männer müssen ihn ausfüllen, Frauen können. Dabei kann man auch ankreuzen, wenn man den Wehrdienst verweigern möchte. Aus dieser Auswahl werden dann solche Männer und Frauen ausgesucht, die für den Wehrdienst taugen – die werden dann zur Musterung eingeladen. Dieses und viele andere Themen möchte er als Verteidigungsminister anpacken, warb Pistorius erneut um Stimmen für die SPD.

Weingarten: Viele Gewissheiten drohen verloren zu gehen

Zu Beginn der Veranstaltung hatten die SPD-Kreisvorsitzende Julia Pies und Kreistagsfraktionssprecherin Caroline Pehlke die Besucher und den Ehrengast begrüßt und Pistorius’ „Einsatz für die Region und die Sicherheit in Deutschland“ gelobt: Er sei „einer, auf den man sich verlassen kann“. Auch Joe Weingarten begrüßte „viele bekannte Gesichter“. Er mahnte: Derzeit drohten viele „Gewissheiten“ verloren zu gehen: „Europa ist sich immer einig, Amerika ist unser Freund, Demokratie ist eine Selbstverständlichkeit“ – dem sei aber nicht so, dafür müsse man etwas tun, wie die vergangenen Jahre gezeigt hätten.

Der Direktkandidat begrüßte den Verteidigungsminister mit den Worten: „Du bist hier in Bundeswehrland.“ Nicht nur wegen der Artillerieschule und dem Truppenübungsplatz Baumholder, auch die Messe stehe auf einem ehemaligen großen US-Lager. Dort habe einst sein Vater wie viele andere auch als Zivilangestellter gearbeitet: „Da rührt auch mein amerikanischer Vorname her“, verriet Weingarten.

Der Ring für Pistorius
Tanja Falkenhayner

Am Schluss überreichten Weingarten und Moritz Forster, SPD-Fraktionssprecher im Stadtrat, dem Gast aus Berlin ein besonderes Geschenk: Ein Ring der Idar-Obersteiner Schmuckdesignerin Tanja Falkenhayner, gefertigt aus einem echten 1-D-Mark-Stück aus dem Jahre 1960, dem Geburtsjahr Pistorius’. Einen ähnlichen Ring (mit einem deutlich jüngeren Jahresstempel) hatte in der vergangenen Woche bereits der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer erhalten.

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