Messerstecher-Prozess
Palästinenser muss für viereinhalb Jahre hinter Gitter
Symbolfoto
David-Wolfgang Ebener. dpa-tmn

Nach einem blutigen Vorfall auf dem Idar-Obersteiner Europaplatz  belässt es das Landgericht Bad Kreuznach in seiner Urteilsfindung überraschend bei gefährlicher Körperverletzung. 

Der Strafprozess wegen versuchten Totschlags gegen einen 24-jährigen Palästinenser ist mit einem ebenfalls engagierten Schlussvortrag der Verteidigung vorläufig zu Ende gegangen. Vorläufig deshalb, weil gegen das von der Vorsitzenden Dr. Claudia Büch-Schmitz verkündete Urteil der Schwurgerichtskammer von der Verteidigung sofort Rechtsmittel eingelegt worden waren.

Die 1. Strafkammer hatte überraschend auf gefährliche Körperverletzung statt versuchtem Totschlag erkannt und eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Staatsanwaltschaft hatte im Schlussvortrag eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gefordert. Nebenklagevertreter Klaus Uebel (Idar-Oberstein) hatte sich dem angeschlossen – allerdings ohne Nennung eines Strafmaßes (wir berichteten).

Links Pflichtverteidigerin Sina Sterzel, rechts Wahlverteidiger Roj Khalaf (beide aus Würzburg)
Günter Schönweiler

Gegen Prozessende war insoweit die Verteidigung gefordert, den schlüssig aufgebauten Vortrag von Staatsanwältin Laura Soukup anzugreifen. Und das war nicht einfach: Die arabischstämmigen Zeugen der Auseinandersetzung am Helmut-Kohl-Europaplatz Anfang Februar 2024 waren dabei zum Teil alles andere als hilfreich. Als Prozessbeteiligter wie als Zuschauer kam man sich zeitweise vor, als blättere man in einem Märchenbuch von 1001 Nacht. Das dürfte für Einzelne wegen falscher uneidlicher Aussage noch ein gerichtliches Nachspiel haben…

Pflichtverteidigerin Sina Sterzel führte zunächst aus, dass weder Hintergründe noch Verläufe nach umfänglicher Beweisaufnahme sicher abzuleiten seien – dem Tenor einer ersten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft gegen zunächst drei Verdächtige. Das dynamische Geschehen sei aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Zeugen geschildert worden. Der Angeklagte sei eben nicht mit einem Messer in der Hand identifiziert worden. „Es war dunkel, und ein Messer war im Video nicht sicher erkennbar.“ Um dann das Tatopfer zu zitieren, wonach er kein Messer gesehen habe und nicht wisse, wer ihm die Stiche beigebracht habe.

Pflichtverteidigerin plädiert auf Freispruch aus Mangel an Beweisen

Der Angeklagte sei auch nicht geflüchtet, weil man Martinshorn und Blaulicht wahrnahm. Die Verletzungen an Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand ihres Mandanten könnten auch durch andere Gegenstände verursacht worden sein. Auch sei das nur wenige Sekunden dauernde Video nicht als Beweis der Täterschaft geeignet, weil die Auseinandersetzung mehrere Minuten gedauert habe. Auch das Tatopfer selbst habe immer ein Messer mit sich geführt. Auch sei die Angabe im Klinikum verwunderlich, wonach die blutende Verletzung Folge eines Treppensturzes sei. Die Polizei sei hinsichtlich der Stichverletzungen erst am frühen Nachmittag des Folgetages durch Anzeige des Bruders des Tatopfers informiert worden. Folgerichtig beantragte sie wegen fehlendem Tatnachweis Freispruch, die Aufhebung des Haftbefehls und die entstandenen Kosten der Staatskasse aufzuerlegen.

Wahlverteidiger Roj Khalaf (ebenfalls Würzburg) knüpfte nahtlos an, indem auch er „die komplizierte Beweisaufnahme“ Revue passieren ließ. Mit einem beeindruckenden sprachlichen Exkurs in freier Rede versuchte er das geschlossene Bild aus vielen Mosaiksteinen, das von Anklägerin Soukup und Nebenklägeranwalt Uebel geschaffen worden war, zu zerstören: „Das Geschehen war dynamisch und ist nicht aufklärbar.“ Ein Ausschlussverfahren wie bei ‚Wer wird Millionär‘ sei nicht zulässig, um den Angeklagten zu verurteilen.

Angeklagter schweigt während des ganzen Prozesses

Er vermöge sich aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Bild zu machen: „Wir werden angelogen, dass sich die Balken biegen.“ Sein Mandant wollte dazu keinen eigenen Beitrag leisten – er schwieg im gesamten Prozess, bis auf die Angabe, er sei Palästinenser, nicht Syrer… Der Fachanwalt für Strafrecht bemühte geschickt den „Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung“, um die Kammer von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Sein Stilmittel im Juristenschach: ein zu kurzes Video, die Dunkelheit, ein nebulöses Handy statt des Messers in der Hand des Angeklagten. Die im Video sichtbare Krümmung am Messergriff sei auch durch ein Knickhandy denkbar.

Mit den jeweiligen Zeugen ging er dann hart ins Gericht und unterstellte unterschiedliche Motive beim Lügen: laufende Bewährungen wegen räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung. „Alle Zeugen haben sich nicht auf die Seite des Staates begeben, um dem Staat zu helfen. Das Gericht wollte aufklären, und der Rechtsstaat wurde von Zeugen mit Füßen getreten, lobte er strategisch schmeichelnd das Gericht und das Rechtswesen. Hilfsweise beantragte er zugleich eine weitere Zeugenvernehmung und die Einholung eines technischen Gutachtens, ob in der Hand des Angeklagten ein Messer oder ein Knickhandy geführt wurde - falls es zur Verurteilung komme. „Hier gibt es jede Menge Zweifel“, forderte er ebenfalls Freispruch.

Schwurgericht hatte nach dreistündiger Beratung keine Zweifel

Das Schwurgericht hatte nach dreistündiger Beratung aber keine Zweifel: Im Vordergrund der Indizien standen der 18 Sekunden dauernde Videoclip der Schlägerei und die kriminalistische Arbeit des Sachbearbeiters der Kripo Trier. Demnach sei in der Reflexion ein metallischer Gegenstand zu sehen, der zu einem Messer passe – keineswegs ein schwarzes iPhone XS Max. Kein anderer als der Angeklagte habe ein Messer mitgeführt. Die Schnittverletzungen an Zeige- und Mittelfinger seien keinesfalls durch angebliche Stromschläge bei der Polizei entstanden. Behauptungen zum übertriebenen Alkoholkonsum mit 4,4 Promille seien weder im Video erkennbar noch medizinisch gedeckt. Der anhand von Geodaten nachgewiesene Aufenthaltsort in der Restnacht widerspreche den Behauptungen der Schwägerin, sie habe ihn nicht in ihre Wohnung eingelassen.

Allerdings sei der Angeklagte vom Versuch der Tötung strafbefreiend wieder zurückgetreten. Als die blutenden Verletzungen entdeckt wurden, sei der Angeklagte nicht mehr vor Ort gewesen. „Im Zweifel für den Angeklagten“ sei daher anzunehmen, dass er bereits weggelaufen war, als aus seiner Sicht ein Tötungsversuch noch nicht beendet war. Er hätte weiter zustechen können. Es seien noch Personen vor Ort gewesen, die für eine notfallmäßige Versorgung hätten sorgen können, sodass aus der abstrakten Lebensgefahr keine konkrete werden konnte. Das Urteil geht nach Antrag der Verteidigung zum Bundesgerichtshof in die Revision.

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