Von den derzeit laufenden Olympischen Spielen in Paris will sich der 84-jährige Idar-Obersteiner so wenig wie möglich entgehen lassen. Bereits seit Monaten beschäftigt sich der Edelsteinschleifer mit einem Projekt, das ihm sehr am Herzen liegt: Im November erscheint ein Buch mit seinen Erinnerungen unter dem Titel „Der schnellste Schleffer der Welt“.
Malaika Mihambo traut er viel zu
„Ich bin ein Sprintertyp“, charakterisiert Cullmann sich selbst. Damit spielt er darauf an, dass er mit großer Begeisterung immer wieder neue Herausforderungen sucht. Leichtathlet, Sportlehrer, Fußballtrainer, als Betreiber der Minigolfanlage im Staden und Mitinhaber eines Sportartikelgeschäfts auch Unternehmer, Familienvater und noch viel mehr: Das alles prägte sein im wahrsten Sinne des Wortes bewegtes Leben.
An Paris hat er angenehme Erinnerungen: Im Prinzenparkstadion lief er im Mai 1961 mit 10,3 Sekunden seine absolute persönliche Bestzeit. Er freut sich auf die Wettkämpfe in der französischen Hauptstadt, neben der Leichtathletik insbesondere auf Fußball, Volleyball und Handball, während er beispielsweise Rugby eher wenig abgewinnen kann.
Und welchen deutschen Leichtathleten traut er eine Medaille zu? Vor allem Weitspringerin Malaika Mihambo, die nach seiner Einschätzung „zu 90 Prozent Gold holt“, danach Zehnkämpfer Leo Neugebauer und vielleicht auch Speerwerfer Julian Weber.
Ein bisschen hofft er auch auf die 100-Meter-Staffeln der Frauen und Männer. Optimistisch stimmt ihn dabei, dass Owen Ansah jüngst mit 9,99 Sekunden als erster deutscher Sprinter die 10,0-Schallmauer unterbot und Lucas Ansah-Peprah kurz danach nur eine Hundertstelsekunde langsamer war. „Der ist nicht nur schnell, sondern auch sympathisch“, meint Bernd Cullmann zum neuen deutschen Rekordmann, der „eine kleine Endlaufchance hat“. Seine Prognose zur Männerstaffel: „Wenn alles optimal läuft und die Wechsel gut klappen, ist Bronze drin.“
Im Olympiajahr 1960 lief Armin Hary in Zürich als Erster in der Welt blanke 10,0 Sekunden – allerdings handgestoppt. In Rom reichten dem Weltrekordler 10,2 Sekunden zum Sieg. Weil der 1959 zum ASV Köln gewechselte Bernd Cullmann nach Knieproblemen und einer Zahnvereiterung erst in letzter Minute für das Olympia-Ausscheidungsrennen in Hannover fit geworden war, reichte es dort nur zum vierten Platz. Damit war er nicht für das Einzelrennen, wohl aber für die Staffel qualifiziert.
Groß war die Freude bei der deutschen 4-mal-100-Meter-Saffel nach dem Olympiasieg in Rom 1960: (von links) Bernd Cullmann, Armin Hary, Walter Mahlendorf und Martin Lauer.
Als man noch auf Asche lief
Der aus Quierschied im Saarland stammende Armin Hary, mit dem sich Cullmann im olympischen Dorf in Rom ein Zimmer teilte, ist bis heute eine der wenigen Ausnahmen unter ansonsten fast durchweg dunkelhäutigen Weltklassesprintern. „Ihr Muskelaufbau und ihre Gene befähigen sie eher zu schnellen Zeiten“, ist sich der Tiefensteiner sicher, der am 16. August 2009 bei den Weltmeisterschaften in Berlin live miterlebte, wie der Jamaikaner Usain Bolt den immer noch gültigen Weltrekord von 9,58 Sekunden aufstellte.
Die 10,3 Sekunden des Tiefensteiners und erst recht die 10,0 von Armin Hary sind umso höher zu bewerten, wenn man die damaligen Rahmenbedingungen mit denen von heute vergleicht: Sie liefen auf Asche statt auf Tartan, ihre Spikes wogen knapp 400 Gramm statt wie heute unter 100. Ganz zu schweigen von der Sportförderung und dem Training. Das fand damals ausschließlich nach Feierabend statt. Weil auch die Besten vieles selbst finanzieren mussten, sagt Bernd Cullmann rückblickend: „Spitzensport war zu meiner Zeit ein Zuschussgeschäft.“ Wegen des strengen Amateurstatus durfte nämlich nichts gezahlt werden.
1964 wollte Cullmann noch einmal bei Olympia starten. Nach längerer Pause war er auf dem besten Weg zurück zu seiner Bestform, als ihn seine alte Knieverletzung abrupt stoppte. Sie war so schlimm, dass er nicht nur für Tokio passen, sondern seine Karriere mit nur 24 Jahren beenden musste. 1972 war er noch einmal dabei: Als Ehrengast erlebte er die Spiele in München hautnah mit. Der Überfall auf die israelische Mannschaft im olympischen Dorf geschah gegenüber von dem Appartement, in dem der Tiefensteiner mit seiner Frau untergebracht war. Sie erfuhren erst abends, als sie von den Kanuwettkämpfen in Augsburg zurückkehrten, was geschehen war.
„Der schnellste Schleffer der Welt“
Auch nachdem er die Spikes ausgezogen hatte, blieb Bernd Cullmann dem Sport weiter verbunden. 1966 absolvierte der Edelsteinschleifermeister ein verkürztes Sportstudium in Mainz und war danach bis 1985 als Sportlehrer in der Marktschule und in der Idarbachtalschule tätig, ehe er wieder in seinen alten Beruf zurückkehrte. Als Trainer feierte er mit den Fußballern des TuS Tiefenstein Erfolge. Zu seinen Leidenschaften zählen auch das Kochen und das Singen. Der Opernliebhaber macht inzwischen bei den Bachwagge mit, der Idar-Obersteiner Old Boygroup.
In seinem Buch „Der schnellste Schleffer der Welt“ schildert Bernd Cullmann aber nicht nur so detailliert wie noch nie seinen Weg zu Olympia und den Lauf seines Lebens, sondern auch die Tiefen in seinem Leben. Dazu gehört das schwierige Verhältnis zu seinem Vater. Er ist überzeugt, dass er auch deswegen so ehrgeizig durchs Leben lief, weil er ihm etwas beweisen wollte. „Ohne ihn wäre ich auch nicht Olympiasieger geworden.“ Den 100-Meter-Endlauf von Paris wird er am Fernseher verfolgen. Sohn Jens wird live im Stadion dabei sein: Er hat dieses besondere Erlebnis seinem Sohn Moritz zu dessen 30. Geburtstag geschenkt.