Kreis Birkenfeld
Ohne Diplom als Gutachter bei Gericht? Staatsanwalt ermittelt
Traumatische Erlebnisse hinterlassen Spuren im Erbgut

Kinder sind oft die Leidtragenden, wenn sich die Eltern vor Gericht streiten.

DPA

Kreis Birkenfeld. Die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach ermittelt gegen einen Psychologen aus dem Kreis Birkenfeld. Ihm wird vorgeworfen, dass er den Titel "Diplom-Psychologe" über viele Jahren hinweg getragen hat, obwohl er eigentlich kein entsprechendes Studium mit einem Diplom-Abschluss nachweisen kann. Vielmehr habe der Mann lediglich eine Erlaubnis zur Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz.

Von unserer Redakteurin Vera Müller

Einer Mitarbeiterin der Kreisverwaltung Birkenfeld war aufgefallen, dass die Diplom-Urkunde des Mannes Formfehler enthält. Sie leitete ihren Verdacht weiter. Zu den Hauptaufgabengebieten des Beschuldigten gehörte in den vergangenen Jahren das Erstellen von familienpsychologischen Gutachten für Familiengerichte. Er war in ganz Rheinland-Pfalz und auch häufig für das Idar-Obersteiner Amtsgericht tätig. „Aktuell allerdings nicht“, wie Hans-Walter Rienhardt, Direktor des Amtsgerichts, betont. Die Staatsanwaltschaft geht von einem hinreichenden Tatverdacht aus, die Ermittlungen werden wohl aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Es seien noch Fragen zu klären: Wo ist er als Diplom-Psychologe aufgetreten? Wie hoch ist der Schaden? Sofern Anklage erhoben werde, gehe es um gewerbemäßigen Betrug, der mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren geahndet werden kann.

Der Psychologe habe sein Handwerk offenbar recht gut verstanden, betonen jene, die mit ihm zu tun hatten – rückblickend mit leichtem Zynismus. In manchen Fällen seien die richterlichen Entscheidungen, die auf Grundlage der Gutachten getroffen worden seien, sicherlich gerechtfertigt gewesen. In anderen möglicherweise nicht: Da hätte man durchaus genauer hinschauen müssen, sind einige Juristen im Kreis überzeugt. Weder die Gerichte noch die Anwälte hätten wohl einen Gutachter, der kein Diplom-Psychologe ist, zugelassen.

In zwei Fällen sind bereits juristische Schritte angekündigt

So sei es durchaus möglich, dass – sofern es zu Anklage und Urteil kommt – einige Verfahren neu aufgerollt werden und auf Schadensersatz geklagt werde. Der NZ sind zwei Fälle bekannt, in denen betroffene Mütter bereits angekündigt haben, juristische Schritte einleiten zu wollen.

Der Psychologe erstellte unter anderem Persönlichkeitsprofile und -diagnostiken für Erwachsene, auf deren Grundlage Kinder aus Familien herausgeholt wurden. Das sind auf allen Ebenen emotional und sozial folgenschwere Entscheidungen. Gutachter an Familiengerichten können bekanntlich über die Zukunft ganzer Familien entscheiden – über die Frage, ob ein Kind beim Vater oder der Mutter lebt, wie oft ein Elternteil es sehen darf oder ob es sogar in einem Heim leben muss.

Ein Grundproblem: In Deutschland gibt es keine klaren Regeln dafür, wie ein Gutachten auszusehen hat. Außerdem existieren keinerlei Vorgaben, wer überhaupt ein familienrechtspsychologisches Gutachten verfassen darf. Und da sich in Deutschland letztlich jeder Gutachter nennen darf, kann ein Richter wegen der richterlichen Unabhängigkeit theoretisch jeden zum Gutachter ernennen.

Im Juli wurde eine Studie der Fernuniversität Hagen „Psychologische Gutachten für das Familiengericht“ veröffentlicht. Alle Gutachten von vier exemplarisch ausgewählten Gerichten waren untersucht worden. Mehr als 50 Prozent der untersuchten Gutachten weisen danach offenbar gravierende Mängel auf. Auch der deutsche Pflegeelternverband Deutschland interessiert sich sehr für den Fall im Kreis Birkenfeld: „Wir haben immer wieder mit solchen Geschichten zu tun.“

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