Zweiter Prozesstag wegen des versuchten Doppelmords in Fischbach
Mordversuch in Fischbach: Umsichtige Polizisten überwältigten den Täter
Justicia im Gegenlicht
Justicia im Gegenlicht
Arne Dedert. DPA

Bad Kreuznach/Fischbach. Beim zweiten Prozesstag zum versuchten Doppelmord in Fischbach am 1. Dezember 2023 standen die Verteidigererklärung von Rechtsanwalt Dr. Felix Welker (Bad Sobernheim) und eine Aufbereitung des Polizeieinsatzes im Vordergrund.

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Der Verteidiger verlas eingangs eine zusammen mit dem Angeklagten erarbeitete schriftliche Erklärung zum Tatgeschehen, bei dem der 48-jährige Angeklagte ohne äußeren Anlass zwei völlig arglose Männer in der Nachbarschaft mit Stichwunden in Bauch, Brust und Hals schwer verletzt hatte. Beide Verletzte überlebten den heimtückischen Angriff wie durch ein Wunder (die NZ berichtete).

In dem verlesenen Schriftstück stellt sich der Angeklagte als „gerne arbeitender und grundsätzlich sozialer Mensch“ dar, dem durch Renovierungsarbeiten am Haus das familiäre wie private Leben „irgendwie entglitten“ sei („Der erlernte Beruf des Gärtners war ein Traumberuf“). Es habe vor dem durchschnittlichen Schulabschluss „ursprünglich einmal die Absicht bestanden, den elterlichen Betrieb zu übernehmen“. Wirtschaftliche Überlegungen hätten aber nicht die erhofften Perspektiven geboten. Schnell sei klar geworden, dass das kleine Unternehmen zukünftig „zwei Familien nicht hätte ernähren können“. So habe er sich auf dem Arbeitsmarkt orientiert und zusammen mit der Ehefrau ein Haus gekauft.

Die gewünschte Festanstellung habe er dann aber nicht gefunden. Hausrenovierung, Eheprobleme, Scheidung – erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung taten sich auf. In mehreren in der Wohnung aufgefundenen Arztbriefen war eine „drogenindizierte Psychose“ und später eine diagnostizierte Schizophrenie nachzulesen, wie polizeiliche Zeugen später berichten sollten – eine vielleicht entscheidende spätere Aufgabe für den psychiatrischen Sachverständigen Dr. Ralf Werner (Bingen) als Facharzt für Psychiatrie, forensische Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie.

Der Lesart von Angeklagtem und Verteidigung nach habe sich das Krankheitsbild ab etwa 2013 um Depressionen und anfängliche Suizidgedanken nach der Scheidung gedreht. Er sei „wegen des Drucks der damaligen Ehefrau“ in der Wahrnehmung Außenstehender zum Einzelgänger geworden.

Im Januar 2023 habe er seine Arbeit verloren und danach „50 bis 60“ erfolglose Bewerbungen geschrieben. „Im Sommer 2023 gab es lediglich ein Vorstellungsgespräch bei der Stadt Idar-Oberstein, das am folgenden Tag mit einer Absage endete“. Danach verspürte er eine zunehmende Unruhe und sei schließlich planlos mehrere Tage quer durch Deutschland gefahren. An mehreren Tankstellen wurden von ihm Rechnungen nicht bezahlt – obwohl er Bargeld mitführte. Im September 2023 überstieg eine notwendige Reparatur die verbliebenen finanziellen Möglichkeiten.

Die beiden fast identischen Tatmesser habe er lange vorher gekauft und für seine Arbeit als Gärtner benötigt. Den Tattag schilderte der Verteidiger wie folgt: Gut ausgeschlafen, Frühstück, Fernsehen und danach die Mutter besucht. Inhalte zum Gespräch wisse er aber nicht mehr. Später zu Hause wurden Hausarbeiten erledigt und weiter ferngesehen. Nach dem Öffnen von Haus- und Wohnungstür zwecks Lüftung habe er Stimmen gehört. Diese seien ihm „anders, nicht menschlich vorgekommen“.

Die Opfer waren für den 48-Jährigen keine Menschen

Er nahm daraufhin seine beiden Messer, klappte diese auf und ging nach draußen. Er habe mit den beiden Messern in den Händen beim ersten Opfer zweimal, beim zweiten einmal zugestochen, danach aber weder eine Schmerzreaktion noch Blut gesehen. Deshalb die Nachfrage: „Tut das weh?“ Die beigebrachten Verletzungen erkannte er nicht: „Für ihn waren das in der Situation keine Menschen“, erläuterte der Anwalt. Der Täter habe sich umgedreht und sei in seine Wohnung zurückgekehrt. Er legte die Messer ungereinigt ab.

Beide Waffen wurden von der Polizei mit zum Teil sichtbaren Blutanhaftungen auf einer Armlehne der Couch gefunden. Später hörte er vom Badfenster aus Stimmen („Stell das Auto quer“) und schaute aus Neugierde draußen nach. Dabei nahm er zwei Polizisten wahr, die ihre Dienstwaffen auf ihn richteten. Er habe die Hände erhoben und sei überwältigt worden. Bei den Geschädigten wolle er sich für das Geschehene entschuldigen. Auf Nachfrage der Vorsitzenden Dr. Claudia Büch-Schmitz wurden keine weiteren Fragen zugelassen.

Hohe Professionalität im polizeilichen Vorgehen

Was sich am ersten Verhandlungstag bereits aus der geschilderten Wahrnehmung eines der beiden Tatopfer andeutete, nämlich eine hohe Professionalität im polizeilichen Vorgehen, hinterließ vor Gericht Eindruck. Der 38-jährige Polizeioberkommissar als Einsatzleiter vor Ort gab Einblicke in die Gefahrenlage, die sich ihm und der 27-jährigen Kollegin damals darstellte. Mit Einsatzauftrag per Funk habe man sich elektronisch über den Einsatzort vorinformiert und die Durchgangsstraße durch Querstellen der Dienstfahrzeuge weiträumig abgesperrt.

Wegen der unklaren Gefahrenlage näherten sich die Polizisten dem Tatort zu Fuß. Dabei sei man auf eine männliche Person gestoßen, deren Rolle man zunächst nicht einordnen konnte. Die Person sei mit Schusswaffen im Anschlag aufgefordert worden, die Hände zu heben und sich zu identifizieren. Waffen habe man bei ihm keine gesehen, aber in der dynamischen Situation und hereinbrechender Dunkelheit ein Mitführen nicht ausschließen können.

Die Person, wie sich später herausstellen sollte der Täter, missachtete die Anweisungen mit einem „Nö“ und ging auf den großgewachsenen, sportlichen Beamten zu. Der Beamte sah vom Einsatz der Maschinenpistole ab, setzte stattdessen Chemical Mace ein. Die Person habe auf die „chemische Keule“ sofort reagiert und sei zu Boden gegangen. Als er sich wieder erheben wollte, habe er den Angeklagten mit einem Faustschlag gegen den Kopf überwältigt und mit Handschellen fixiert.

Die ersichtlich blutenden Opfer, die inzwischen ins Freie gekommen waren, identifizierten den Festgenommenen als Täter und konnten schließlich den verdeckt wartenden DRK-Rettungskräften übergeben werden. Als Fazit blieb im Gerichtssaal die unausgesprochene Zustimmung, dass man eine solche unklare Gefahrenlage nicht besser hätte lösen können.

  • Die Verhandlung wird am Freitag, 14. Juni, um 9 Uhr fortgesetzt. Der Termin am 7. Juni wurde abgesetzt.

Von Günter Schönweiler

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