Mitten in Idar-Oberstein, gegenüber des Amtsgerichts, wagt der Biologe und Dozent Thomas Brodbeck „mehr Wildnis in meinem Garten“, wie er es selber ausdrückt. Dabei verwandelt er seine knapp 2000 Quadratmeter Gartenfläche mitten in Oberstein in ein kleines Naturparadies. „Lazy gardening“, zu Deutsch „faules Gärtnern“, ist das Stichwort. Diese Art von Faulheit bekommt der Natur gut, gerade in einer Zeit, in der viele Hausbesitzer glauben, nur ein Steingarten befreit von der lästigen Gartenarbeit.

Beim Rundgang durch sein grünes Paradies entdeckt man meterhohe Steinhaufen. „Die sind ein exzellentes Refugium für Eidechsen und Blindschleichen“, weiß Brodbeck, der an der Hochschule Coburg Bionik im Studiengang Zukunftsdesign unterrichtet. „Die Steine dafür habe ich peu à peu in den umliegenden Feldern gesammelt. Die Bauern ärgern sich darüber in ihren Äckern, hier bei mir im Garten schaffen sie einen neuen Lebensraum.“

Ein paar Meter weiter liegen grob am Zaunrand aufgehäuft Zweige und Blätter. Brodbeck trug jahrelang Astschnitt zusammen, denn ab und zu muss man ja doch seinen Urwald lichten. Eine sogenannte Benjeshecke wächst hier heran. „Anfangs geschieht in dem Totholz nur wenig, doch nach kurzer Zeit wird es richtig lebendig“, berichtet der Biologe. „Die Benjeshecke ist eine wahre Fundgrube für Pilze, die sich über das Holz hermachen. Als Nächstes kommen die Käfer und schließlich auch Wildbienen, die hier ihre Bruthöhlen anlegen. In der unteren Etage überwintern gern Igel. Und mittendrin Eidechsen, die gern die zahlreichen Käfer naschen. Natürlich legen hier auch die Wildbienen ihre Brutgänge im Totholz an. Und zwischendrin brüten Amseln, Zaunkönige, Rotkehlchen und Heckenbraunelle, die diesen geschützten Bereich gerne als Nistmöglichkeit annehmen.“
Mehr als 30 Nistkästen sind Jahr für Jahr besetzt
„Die Natur mag keinen Perfektionismus“, weiß Brodbeck, „sie erfreut sich an Unregelmäßigem, an Kaputtem, an Aufgebrochenem, an Ritzen, Spalten und Löchern.“ Erdhummeln finden ihre Behausungen in ehemaligen Mäusebauten mitten in der Wiese. Andere Hummelarten lieben die Ritzen im Mauerwerk vor der Terrasse, wo sich nach fast 90 Jahren der Mörtel löst. Und in einem abgestorbenen, aber noch aufrecht stehenden Kirschbaum picken sich Bunt- und Schwarzspecht ihre Mahlzeiten aus der morschen Rinde.

Schaut man sich in Brodbecks Garten um, dann findet man mehr als 30 Nistkästen in ganz unterschiedlicher Form und Größe. „Ich war selbst überrascht, dass Jahr für Jahr fast alle meine Nistkästen besetzt sind, allerdings nicht nur von den mehr als 20 Vogelarten, die ich an der Futterstelle beobachten kann. Einige dienen den seltenen Gartenschläfern als Kinderstube, in einem fand ich beim Saubermachen einen verschlafenen Siebenschläfer. Und in den Nistkasten neben meiner Eingangstür ist eine Baumhummelkolonie eingezogen“, lacht Brodbeck, sichtlich erfreut und auch ein wenig stolz ob all der seltenen und bedrohten Arten in seinem Garten.

Überhaupt ist der Biologe begeistert von Bienen und Hummeln. An seiner Hauswand hängt ein halbes Dutzend sogenannter Wildbienen-Hotels: Holzkästen mit unterschiedlich großen Holz- und Schilfröhrchen, in die die Wildbienen ihre Eier legen. „Ich überlege, ob ich noch weitere aufhängen soll. Denn mittlerweile sind die Niströhrchen bis auf den letzten Platz ausgebucht. Und einige sind auch schon etwas demoliert – durch den Specht, der sich hier zuweilen sein Frühstück holt.“
An zwei der großen Bäume in seinem Garten hängen meterdicke Baumstämme, jeder fast zwei Meter hoch. Einer in fünf Meter Höhe mit Stahlseilen fixiert, der andere nur eineinhalb Meter hoch befestigt. „Das sind sogenannte Klotzbeuten, eine alte und ursprüngliche Haltungsform von Honigbienen. Denn einst waren unsere Bienen Waldbewohner, die in ehemaligen Spechthöhlen und hohlen Baumstämmen ihre Waben bauten.“ Noch im Mittelalter gab es den Beruf des Zeidlers.

Dies waren Wald-Imker, die in mehreren Metern Höhe entweder dicke Bäume aushöhlten oder lange, dicke Baumstücke präparierten und anschließend in die Höhe wuchteten. Darin bauten die Honigbienen dann ihre Waben. Und mehrmals im Jahr kletterte der Zeidler dann hinauf und klaute den Bienen ihren süßen Schatz. „Meine Klotzbeuten hab ich mit Seilwinde und viel Kraft in die Höhe gehievt“, erzählt der Hobby-Imker und Jäger. „Denn dort fühlen sich die Bienen sicher vor Bären und Nachtfrösten. Ich brauche halt eine Leiter, um hinaufzukommen. Aber es ist eine Freude zu sehen, wie sie Honig und Pollen eintragen. Und dabei meine Himbeeren, Äpfel, Kirschen, Pflaumen und Quitten bestäuben.“ Seitdem er die Honigbienen hält, „explodiert meine Obsternte regelrecht. Und für die Gartenschläfer und den Siebenschläfer bleibt auch noch genug übrig.“

Neben der Klotzbeute hängt noch ein sogenannter Kobel – so werden die rundlich gebauten Nester der Eichhörnchen bezeichnet. Die Tiere bauen das stabile Grundgerüst ihrer Kobel meist aus Reisig, Ästen oder Blättern. Im Inneren verwenden Eichhörnchen beim Nestbau weiche, gemütliche Materialien wie Moos, Federn oder Gräser. Immer wieder tauchen die Eichhörnchen an der Vogelfutterstelle auf.
Unter dem Dach Richtung Süden hängen auch Fledermauskästen. Doch zum großen Bedauern von Brodbeck ist noch keiner dieser faszinierenden Nachtjäger bei ihm eingezogen, „obwohl ich sie regelmäßig über meinem Grundstück in der Dämmerung kreisen sehe“.

Und natürlich hat Brodbeck auch kein Problem mit Brennnesseln. Im Gegenteil, er kultiviert sie, „sie sind schließlich die Kinderstuben für viele Schmetterlingsarten. Ihre Raupen ernähren sich von den Blättern. Kleiner Fuchs, Tagpfauenauge, Landkärtchen und der Admiral nutzen die stickstoffliebende Pflanze als Futter für ihre Raupen.“
Eine wertvolle Bienenweide ist sein Efeu, der an mehreren Hauswänden hinauf wächst. „Er kühlt, er isoliert, er bietet nicht nur Amseln eine hervorragende und gut versteckte Brutgelegenheit. Für Bienen ist Efeu ab August eine wertvolle und wichtige Nektarquelle, wenn alle anderen Blütenpflanzen nichts mehr liefern. Und im Winter fressen unsere hier überwinternden Vogelarten die blau-schwarzen Früchte des Efeus als eine der letzten verbliebenen Nahrungsquellen.“ Auch an einigen seiner Bäume wächst Efeu empor. Entgegen landläufiger Meinung schädige Efeu die Bäume nicht. „Dies bestätigen wissenschaftliche Studien aus ganz Europa“, weiß der engagierte Biologe.
Garagendach wird zu einer grünen Oase
Das Dach seiner Garage hat der „faule Gärtner“ schon vor einigen Jahren begrünt: „Vorher war es eine hässliche, im Sommer heiße, schwarze Asphaltfläche.“ Ein paar Quadratmeter Teichfolie untergelegt, für ein paar Euro ein wenig Blumenerde aufgebracht – „und dann einfach abgewartet“. Mittlerweile ist das Flachdach eine grüne Oase, auf der sogar schon Bäume wuchsen. „Die musste ich allerdings absägen, damit es nicht zu schwer auf dem Dach wird.“ Brodbeck freut sich darüber, dass er seit der Begrünung Jahr für Jahr ein paar Euro an Abwassergebühr spart.

In einer Ecke seines Gartens befindet sich noch ein kleiner Teich, zugewachsen und verlandet durch Blätter und Äste. Doch es bleibt genügend Wasserfläche, damit sich Vögel wie Bienen an heißen Sommertagen daran laben können.
Dass Brodbeck nur ein- bis zweimal im Jahr seinen Rasen mäht, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Denn hier blühen viele Wildblumen und -kräuter, die nur gedeihen können, wenn der Rasenmäher in der Garage bleibt – und Brodbeck auf der faulen Haut liegen kann. Ehrlich gesagt bleibt aber immer noch ein Haufen Arbeit in dem Naturparadies mitten in der Stadt.

„Als Lohn für meine Faulheit erfreue ich mich an dem Gesang der Vögel von der Morgendämmerung an bis spät in den Abend. Nach Sonnenuntergang flitzen dann die Gartenschläfer an der Hauswand entlang zum Vogelfutter. Und immer wieder überraschen mich neue Schmetterlings- und Wildbienenarten, die sich bei mir heimisch fühlen. Zuweilen entdecke ich ein neues Bäumchen, das aus irgend einem Samen, den ein Vogel vorbeitrug, hier emporwächst.“
Dabei weiß Brodbeck, dass so ein wilder Garten nicht für jeden Hausbesitzer das Ideal darstellt. Doch auch schon eine entlegene Ecke mit Totholz, ein kleiner Steinhaufen an der Sonnenseite, ein paar Brennnesseln, die man stehen lässt, ein paar Nistkästen und Bienenhotels, die man aufhängt, oder eben ein nicht ganz so oft gemähter Rasen sind nicht nur für die Natur ein Gewinn. „Eine solche naturbelassene Ecke macht sich gut in einem gepflegten Garten“, ist er überzeugt.