Urteil nach Messerangriff
„Man pflegte großzügigen Umgang mit der Wahrheit“ 
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Arne Dedert. picture alliance / dpa

Wie so oft nach solchen Taten kann man am Ende des Gerichtsverfahrens sagen: So weit hätte es nicht kommen müssen...

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Das Urteil, das die Vorsitzende Richterin am Landgericht Bad Kreuznach, Dr. Claudia Büch-Schmitz, am sechsten Verhandlungstag verkündete, war am Ende keine Überraschung mehr. Zuvor war die Beweisaufnahme gegen einen 43-jährigen Deutsch-Russen mit den Schlussvorträgen von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung geschlossen worden.

Oberstaatsanwältin Nicole Frohn hatte eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, Verteidiger Johannes Hollinka eine solche von drei Jahren als tat- und schuldangemessen gewertet (die NZ berichtete). Die ursprüngliche Anklage wegen versuchten Mordes überdauerte die nochmalige Prüfung während der fünftägigen Beweisaufnahme nicht. Mit diesem Vorwurf war die Oberstaatsanwältin in die öffentliche Hauptverhandlung zunächst eingestiegen. Es waren aber nicht nur viele Zweifel geblieben, für die Täter, Opfer und Zeugen gleichermaßen gesorgt hatten.

Tragend für die juristische Kehrtwende war ein klassischer Rücktritt von der weiteren Tatausführung des vorsätzlichen Tötungsdeliktes, verstärkt unter dem Mordmerkmal der Heimtücke. Am Ende ergab die juristische Prüfung, „dass der Angeklagte einfach aufgehört hat“, wie Frohn in ihrem Plädoyer ausgeführt hatte. In diesem „noch nicht beendeten Versuchsstadium“ sei auf jeden Fall die mögliche Fortführung der Tatherrschaft aufgegeben worden.

Urteilsbegründung dauerte eine Stunde

Dieser Vorgabe schloss sich nun das Schwurgericht in einer rund einstündigen mündlichen Urteilsbegründung umfassend an. Die Vorsitzende Richterin ließ eine fehlgeleitete Kindheit unter einem alkoholkranken und gewalttätigen Stiefvater Revue passieren. Aufgewachsen in Russland und am Ende 1997 aus Sibirien mit der Mutter im Saarland angekommen. Das galt aber nicht für seine Integration. In Russland scheiterte er in der Berufsausbildung als Maurer, in Deutschland als Autolackierer, wobei vor allem Sprachschwierigkeiten das Hemmnis in Richtung Gesellenbrief gewesen seien.

Früher Kontakt mit Alkohol, seine Verwurzelung in der russischsprachigen Community, zwischen 1998 und 2024 kamen immerhin 13 Einträge ins Bundeszentralregister: Gewalt, Beleidigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Trunkenheitsfahrten, Diebstahl... Diese Häufung hatte er genauso wenig erläutern wollen wie die Gründe für eine zerbrochene Ehe, aus der zwei Kinder hervorgingen, oder seine späteren gescheiterten Beziehungen, in der er auch ein drittes Mal Vater wurde.

Das Gericht hielt dem Verurteilten zugute, dass er stets bemüht war, durch stetige Arbeitsaufnahmen selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen. Eine erwartbare klassische Verwahrlosung hatte Gutachter Dr. Thomas Meyer verneint, der Mann hatte sogar nach dem Entzug der Fahrerlaubnis die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) bestanden. Bis es wieder zu einer Trunkenheitsfahrt und dem erneuten Verlust der Fahrerlaubnis einschließlich folgendem Arbeitsplatzverlust als Lkw-Fahrer kam.

Dem Messerangriff gegen den getrenntlebenden Ehemann seiner Geliebten, mit der er seit 2022 eine Liaison hatte, waren dessen Vorwürfe der „Zerstörung einer Ehe“ und Beleidigungen gegen die Mutter vorausgegangen. Auch das Verhalten der Geliebten, die den Verurteilten vorher mit einer weiteren Liebschaft nur ärgern wollte („Ich gehe gleich mit einem anderen Mann ins Bett“), fügte eine weitere Eskalationsstufe an. Bei dieser Gemengelage von impulsivem Leben, Bestreiten notwendiger Konfliktvermeidungsstrategien, Eifersucht und hohen Alkoholwerten mit Suchtpotenzial sei der Weg in einen blutigen Konflikt quasi vorgezeichnet.

Angeklagter war glaubwürdiger als mancher Zeuge

Es war unter den übrigen Prozessbeteiligten und der Kammer übereinstimmendes Fazit, dass die „Aussagen des Angeklagten glaubwürdiger als die von manchen Zeugen“ waren. So habe sich der Angeklagte vom Tatopfer herausgefordert gefühlt. Wie solche Auseinandersetzungen mit einem griffbereiten Messer im Hosenbund ausgehen, war von Anfang an klar, so die Vorsitzende Richterin. Gravierend sei der Widerspruch des Opfers gewesen, er sei ahnungslos zum Rauchen ins Freie gegangen versus die Mitteilung an die Noch-Ehefrau und Geliebte des späteren Täters, ihn am Fenster draußen gesehen zu haben. Die Geliebte habe das spätere Schubsen des Angeklagten und die angedrohte Tötung heruntergespielt. Den Urteilsgründen zufolge war er mit blutigem Messer in die Wohnung ihres Noch-Ehemannes gekommen. Das Gericht sehe in diesem Falle eine Absicht, „die Beziehung zum Angeklagten seit dessen Inhaftierung wieder herzustellen“.

Gleiches lese man aus dem Verhalten ihrer Schwester vor Gericht. „Man pflegte einen großzügigen Umgang mit der Wahrheit“, so die ernüchternde und harte Folgerung der Schwurgerichtskammer. Sechs der Stiche in den Oberkörper seien zwar abstrakt, aber nicht konkret lebensgefährlich gewesen – der unverzügliche chirurgische Eingriff habe Schlimmeres verhindert. Ein minderschwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung mittels einer Waffe und einer lebensgefährdenden Behandlung wurde verneint: „Täterverhalten und Schwere der Verletzungen widersprechen dem“, so der Urteilstenor.

Mit 2,17 Promille von Idar-Oberstein nach Baumholder gefahren

Eine eingeschränkte Schuldfähigkeit wurde trotz 2,17 Promille ebenfalls nicht gesehen: „Er war Alkohol gewohnt, war sogar schadenfrei von Idar-Oberstein nach Baumholder gefahren, zeigte aus der Sicht der festnehmenden Polizei keine körperlich auffälligen Ausfallerscheinungen und hatte sich zuvor selbstverschuldet in die Situation gebracht.“ Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde ebenso verworfen. Der Gesetzgeber fordert inzwischen – neben dem Hang zum Suchtstoff – auch Erfolgsaussichten in der Therapie. „Eine therapeutische Behandlung über einen zwischengeschalteten Dolmetscher aber funktioniert nicht. Der Therapeut muss sich ein eigenes Bild machen“, so die richterliche Begründung.

Um mit deutlicher, eigenverschuldeter Kritik in Richtung des Verurteilten fortzufahren: „Sie sind jetzt so lange in Deutschland und hätten das Erlernen der deutschen Sprache selbst in der Hand gehabt. Es ist eine schwere Situation, aus einem anderen Kulturkreis zu kommen, vielleicht sogar gegen den eigenen Willen. Aber nur in der eigenen Community zu leben, ist für die Integration nicht förderlich.“ Der Haftbefehl bleibe bestehen. Der Beschränkungsbeschluss des Amtsgerichts Bad Kreuznach vom 9. Januar zur Briefkontrolle wurde hingegen aufgehoben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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